ray Filmmagazin » Filmkritiken » Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller
Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller

Filmkritik

Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller

| Jörg Schiffauer |
Großartiges Porträt des Dokumentaristen und Autors

In einer Szene blickt Georg Stefan Troller mit der für ihn charakteristischen feinsinnigen Ironie einer Veranstaltung entgegen. Er könne seine Biographie „Geboren am 10. Dezember 1921 als Sohn eines jüdischen Pelzhändlers in Wien …“, wie diese bei solchen Gelegenheiten fast immer identisch vorgetragen wird, schon auswendig rezitieren.

Ruth Rieser hat sich für einen anderen, nicht-chronologischen Zugang entschieden, um sich dem Leben und dem Schaffen des großen Dokumentaristen, Schriftstellers, Drehbuchautors und Journalisten anzunähern. Denn zunächst steht die Arbeit Trollers – und hier insbesondere Fernsehsendungen wie Pariser Journal und Personenbeschreibung, die er ab den sechziger bzw. siebziger Jahren für den WDR und das ZDF gedreht hat. Troller porträtierte dabei so unterschiedliche Charaktere wie den gelähmten Vietnam-Veteranen Ron Kovic, die Schauspielerin Liv Ullmann oder Peter Handke. Seine subjektive Art des Fragens und Kommentierens, die dem damals vorherrschenden Neutralitätsgebot zuwiderlief, hat sich mittlerweile als durchaus stilbildend etabliert. Dem sorgsam ausgewählten Archivmaterial, das einen schönen Eindruck von Trollers brillanten Arbeiten vermittelt, setzt Rieser lange, ausführliche Gesprächssequenzen gegenüber, in denen Georg Stefan Troller ebenso klug wie pointiert seine professionelle Herangehensweise beleuchtet. Seine Bereitschaft zur Reflexion illustriert auch ein Ausschnitt aus einem Lauren-Hutton-Porträt, das Troller für die Reihe Hollywood Profile 1998 gedreht hat: Hutton dreht dabei die Interviewsituation um, indem sie seine Methode seiner Befragung genau analysiert. Eine Methodik, die bei aller Effektivität, mit der Troller seine Gesprächspartner dazu bringt, sich zu öffnen, immer auch von tiefer Empathie geprägt ist. Wie weit man dabei gehen darf, diese Grenze zieht er in Auslegung der Wirklichkeit selbst deutlich: „Bis dahin, wo die Selbsteinschätzung eines Menschen infrage gestellt wird. Wo sein Lebensvertrauen erschüttert wird. Das darfst du nicht.“

Langsam und behutsam lässt Ruth Rieser im Verlauf ihres Films dann doch auch den persönlichen Teil von Trollers Leben – den er mit den Drehbüchern zu Axel Cortis Trilogie Wohin und zurück verarbeitete –, der seine Biografie mitgeprägt hat, einfließen. 1938 muss er nach dem Anschluss Österreichs vor dem Terror der Nationalsozialisten fliehen, erhält 1941 in Marseille ein Visum für die Vereinigten Staaten, als Soldat der U.S. Army kommt er nach Europa zurück, wo er sich – nach einem zwischenzeitlichen Studium in den USA – schließlich in Paris niederlässt, das er seit vielen Jahrzehnten als Lebensmittelpunkt gewählt hat. Ruth Rieser gelingt es mit ihrem nuancierten Porträt, sowohl die Persönlichkeit Georg Stefan Troller als auch seine umfangreiche, vielschichtige Arbeit nahezubringen und ihn damit eine höchst verdiente Würdigung erfahren zu lassen.