Die unendliche Geschichte
Marvels milliardenschweres Comicuniversum geht in das erfolgreiche zehnte Jahr. Was 2008 mit Iron Man begann, kulminiert nun – mit Opus 19 – in einem Ensemblefilm, der zweieinhalb Dutzend Hauptfiguren aufweist. „Nashville for Superheroes“, so kündigten die Russo-Brüder Infinity War bereits 2016 an. Der Bösewicht wurde auch schon vor sechs Jahren, in Joss Whedons The Avengers (2012), angeteasert: Es handelt sich um den fliederfarbenen Außerirdischen Thanos, den Josh Brolin mit einer charismatischen Motion-Capture-Performance zum Leben erweckt. Wie alle Superschurken hat auch Thanos große Pläne, die er mittels MacGuffin umsetzen will – in diesem Fall sind es mehrere sogenannte Infinity-Steine, die Kategorien wie Raum, Zeit oder Realität beeinflussen können (und die Marvel-Fans bereits aus Comics bzw. früheren Filmen kennen). Thanos geht es dabei nicht bloß um Macht, er will für ein neues Gleichgewicht sorgen: Da die Ressourcen überall knapp sind, beabsichtigt er, die Hälfte der Bevölkerung des Universums zu töten, auf dass der verbleibende Rest in Frieden leben möge. Es gab schon schlechtere Motive. Sogar eine tragische Vater-Tochter Geschichte, die ihn mit Guardians-of-the-Galaxy-Mitglied Gamora (Zoe Saldana) verbindet, ist vorhanden. In Sachen Charakterisierung wurde also tatsächlich gute Arbeit geleistet, und der grausam-tragische Thanos ist einer der vielschichtigsten Bösewichte bisheriger Comicverfilmungen geworden (eine Wohltat im Vergleich zum eindimensionalen Finsterling Steppenwolf aus DCs Justice League).
Diesem Titanen entgegen stehen nur die Avengers (mit Unterstützung der Guardians). Alle gegen Thanos, damit lässt sich die Handlung im Grunde auch schon umreißen. Und da die Steine sich auf mehrere Orte im Universum verteilen, sind zunächst auch die Helden in mehreren Grüppchen unterwegs. In Black Panthers Reich Wakanda wird ebenso gekämpft wie in Schottland, auf Raumschiffen und mehreren weit entfernten Planeten.
Seine gelungenen Momente zieht der Film denn auch weniger aus der Handlung, als aus der amüsanten Interaktion (und in diesem Fall auch Neukombination) der Charaktere: Thor (Chris Hemsworth) im Zusammenspiel mit den Guardians zu sehen, macht ebensoviel Spaß wie der Ego-Kontest zwischen Tony „Iron Man“ Stark (Robert Downey Jr.) und dem Magier Doctor Strange (Benedict Cumberbatch). Wer die Metaebene bemühen will, kann ihre Szenen auch als Duell zweier Sherlocks sehen. Apropos Meta: Spider-Man (Tom Holland) lässt Popkulturreferenzen aufs Publikum los (eine Anspielung auf Aliens rettet sogar Leben) und wenn Bruce Banner (Mark Ruffalo) „Potenzprobleme“ hat – sich in den Hulk zu verwandeln, macht Schwierigkeiten – sorgt das für Lacher.
Solcherlei Momente geraten in den allzu zahlreichen Actionmomenten und Schlachten – manche packend, andere eher redundant – allerdings gelegentlich in den Hintergrund, zudem hat nicht jeder Held gleich viel Raum zum Atmen. Dafür gibt es an anderen Stellen amüsante und clevere Effekte, etwa wenn ausgerechnet der kleinwüchsige Darsteller Peter Dinklage einen Riesen spielt.
Die Brüder Russo emulieren die Stile anderer Marvel-Regisseure – die Guardians-Ebene wirkt wie bei James Gunn, Wakanda sieht aus wie bei Ryan Coogler, etc. –, doch können sie nicht verhindern, dass es durch das Aufeinandertreffen von tragischen und ernsten Momenten manchmal zu tonalen Unebenheiten kommt. Hier gerät die Produktion, die mit einem mutmaßlichen Budget von 300 Millionen Dollar zu den teuersten aller Zeiten zählt, ins Taumeln.
Insgesamt ist Infinity War jedenfalls deutlich ernster als die meisten Vorgängerfilme, und nicht zuletzt Dinklages Anwesenheit weist auch auf die Parallelen zur hohen Sterbensrate in Game of Throneshin: Seit Monaten rätseln Marvel-Fans schon darüber, wer von den beliebten Helden überleben und wer ins Gras beißen wird. Dass mit Thanos nicht zu spaßen ist, beweist schon die ziemlich gnadenlose Eröffnungsszene; wenn man einen Gegenspieler schon über Jahre hinweg aufbaut, muss man eben auch liefern. So ist das Ende des Films denn auch im düsteren Territorium vonThe Empire Strikes Back zu verorten – so mancher Comicfan wird zunächst einmal emotional niedergeschlagen sein. Doch letztlich regiert das Geld, und Infinity War ist ja nur der erste Teil einer Geschichte, die 2019 zu einem (natürlich nur vorläufigen) Abschluss gebracht wird. Und da die Superhelden nach wie vor die Kassen füllen, kann es als relativ sicher gelten, dass es zu Auferstehungen kommen und die Fortsetzung sich eher wie Return of the Jedi anfühlen wird.
Kleiner, sinnfreier Spoiler: In der Post-Credits-Szene gibt es ein halbes „Motherfucker“ zu hören.