Anlässlich des 25. Todestages des Universaltalents Axel Corti präsentiert das Filmarchiv Austria in Kooperation mit dem ORF eine groß angelegte Werkschau samt Buchpräsentation.
Axel Corti hat vor allem in den siebziger und achtziger Jahren gleich zwei österreichische Medien entscheidend mitgeprägt: Von Gerd Bacher wurde der Theatermensch zum Reformprojekt ORF gelockt, und Axel Corti dankte es seinem Förderer, indem er unter dem Abteilungsleiter Gerald Szyszkowitz das sogenannte Fernsehspiel, das sich bis dahin mit Ausnahmen wie Der Herr Karl auf das brave Abfilmen von Theaterstücken beschränkt hatte, zusammen mit anderen Autoren und Regisseuren wie Georg Stefan Troller, Dieter Berner oder Fritz Lehner rundum erneuerte und zum Seismografen der österreichischen Gegenwart machte. Mit seinem zwischen 1969 und 1993 wöchentlich ausgestrahlten Radio-Feuilleton „Der Schalldämpfer“, wo er mit unvergleichlich sonorer Stimme Geschichten zum Schmunzeln und zum Nachdenken erzählte, etablierte er eine (neben der „Musicbox“) solitäre Insel der Qualität im Unterhaltungssender Ö3.
„Olof Palme wurde erschossen, als er aus dem Kino kam. Das könnte einem österreichischen Politiker nie passieren.“ (Axel Corti)
Diese sehr persönliche Sendung von Alltagsbeobachtungen mit politischen Implikationen entsprach Cortis kreativem Antrieb. Er sah sich als Geschichtenerzähler, der sich sehr stark für die internen und externen Konflikte von Menschen, ihre Beziehungen untereinander und zu ihrer jeweiligen Gesellschaft interessierte. „Historische Filme sind einfach Filme, in denen die Leute solche Kleider anhaben und mit solchen Verkehrsmitteln fahren. Was mich interessiert: Was geschieht zwischen Menschen? Was erleben sie in Extremsituationen?“ Diese ganzheitliche Sicht auf das kleine Private und die Weltpolitik hat sicher mit der eigenen Geschichte zu tun: In einem großbürgerlichen Haushalt in der Nähe von Paris behütet aufgewachsen, bricht für den Neunjährigen eine Welt zusammen, als seine Familie 1942 vor den Nazis in die Schweiz fliehen muss, sein Vater 1945 ausgeliefert wird und unter ungeklärten Umständen stirbt. Auch wenn er die geopolitischen Zusammenhänge erst später versteht, ist er doch zeitlebens sensibilisiert für Themen wie Flucht und Vertreibung.
Über Umwege gelangt die Familie in den fünfziger Jahren nach Tirol, wo er noch als Teenager erste Erfahrungen als Radiomoderator und Gestalter macht. Seine Theaterleidenschaft treibt ihn dann nach Wien, er arbeitet am Burgtheater als Regie-Assistent und ist mit eigenen Inszenierungen in ganz Europa erfolgreich. In dieser internationalen Phase realisiert er auch seine ersten Fernsehfilme Der Marquis von Keith nach einem Stück von Frank Wedekind und Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter, eine Bearbeitung des Herzmanovsky-Orlando-Lustspiels mit Hans Moser in seiner letzten Rolle. Literaturverfilmungen waren ihm eine Herzensangelegenheit. So adaptierte er österreichische Klassiker wie Joseph Roth, dessen „Radetzkymarsch“ eines seiner Lieblingsbücher war, oder Franz Werfels „Eine blassblaue Frauenschrift“. Beide Mini-Serien wurden mehrfach ausgezeichnet und reüssierten auch international. Exemplarisch verdichten sich hier auch Cortis Interessen, Individuen mit dem Mahlstrom der Geschichte zu konfrontieren. In dem mit Charlotte Rampling und Max von Sydow hochkarätig besetzten Radetzkymarsch, dessen Fertigstellung er nicht mehr erleben durfte – er starb am 29. Dezember 1993 an Leukämie –, wird anhand einer einzigen Familie die Geschichte des Niedergangs der K.-u.-k. Monarchie begreifbar gemacht.
Das Multitalent war ein rastlos Suchender, der als schwierig galt, was für die meisten Menschen zutrifft, die viel von anderen, aber vor allem von sich selbst erwarten.
Auch in Eine blassblaue Frauenschrift lässt Corti seinen Protagonisten, einen distinguierten Sektionschef im Unterrichtsministerium im Jahr 1936, der auf Grund eines Briefes einer Ex-Geliebten glaubt, er sei der Vater eines jüdischen Kindes, eine moralische Wahl treffen. Leistet er der Bitte um Hilfe Folge, geraten er und seine nach außen hin heile Familie vielleicht selbst in Gefahr, während die Nationalsozialisten immer mehr an Macht gewinnen. Werfel und Corti zeigen auf, dass der Einzelne eben schon die Wahl hat, auf sein Gewissen zu hören, das sich zwischendurch durchaus lautstark meldet, oder sich den Unrechtsverhältnissen, den eigenen Vorteil immer im Blick, zu unterwerfen. Unter den Folgen genau dieser Unrechtsverhältnisse leiden in der Fernseh-Trilogie Wohin und Zurück, die wegen ihres enormen Erfolges in Wien und Paris auch im Kino gezeigt wurde, einige jüdische Exilanten. Frei nach seiner eigenen Lebensgeschichte entwirft Autor Georg Stefan Troller ein beeindruckendes Panorama der physischen, aber ganz besonders psychischen Folgen der erzwungenen Emigration. Nirgends fühlt sich der Held der Geschichte mehr heimisch, seine alte Welt ist untergegangen. In New York, wohin er sich nach abenteuerlicher Flucht durchschlagen konnte, bleibt er ein Außenseiter, mit der oberflächlichen amerikanischen Konsumwelt kann er nichts anfangen. Als er nach Ende des Krieges nach Wien zurückkehrt, muss er feststellen, dass der Antisemitismus noch immer in den Köpfen der Menschen verankert ist und sich auch äußert, wenn sie glauben, dass ein amerikanischer GI doch sicherlich kein Deutsch versteht.
Aber Axel Corti war nicht nur ein akribischer Erschaffer solch historischer Welten, deren Einfluss für ihn natürlich bis in die Gegenwart reichte, sein Interesse galt durchaus auch den Lebensverhältnissen der siebziger und achtziger Jahre. Sein Blick auf das Bauern- (Der Bauer und der Millionär, Jakob der Letzte) und Arbeitermilieu (Herrenjahre, Totstellen) überzeugt nicht nur durch die kenntnisreiche Auswahl der literarischen Vorlagen, etwa von Gernot Wolfgruber oder Michael Scharang, sondern auch durch die stimmige Beschreibung von Lebenswelten, die dem durchschnittlichen Fernsehzuschauer durchaus vertraut waren. Auch in diesen zeitgenössischen Stoffen finden sich die Individuen in Verhältnissen wieder, die zu ihrem Untergang oder zumindest zu ihrer Isolation oder Entfremdung führen. Die siebziger Jahre waren wohl nicht zufällig das Jahrzehnt, in dem die Kapitalismuskritik quer durch alle Kunstrichtungen stetig an Bedeutung gewann, bevor in den hedonistischen Achtzigern die Waage wieder Richtung Neoliberalismus ausschlug.
Es wäre interessant, was Axel Corti zur heutigen österreichischen und internationalen politischen Lage zu sagen hätte. Als „Club 2“-Gastgeber warf er seine pointiert formulierte Meinung gern in die Diskussionswaagschale, sodass er durch die „Schalldämpfer“, seine publizistischen Werke und nicht zuletzt durch seine einfühlsamen und genau recherchierten Filme ein wenig als das Gewissen der Nation galt. Jemand wie Corti, der stets auf der Suche nach Wahrhaftigkeit war und bereit war, dafür im Film wie im Leben jede Anstrengung auf sich zu nehmen, machte sich natürlich nicht nur Freunde.
Axel Corti war ein Multitalent und ein rastlos Suchender, der als schwierig galt – was für die meisten Menschen zutrifft, die viel von anderen, aber vor allem von sich selbst erwarten. In der großen Filmarchiv-Retrospektive kann man bewundern, wie sich seine Hartnäckigkeit, sein Anspruch an sich und an seine Mitstreiter, die ihn als fordernd, aber auch zärtlich und großzügig bezeichnen, absolut ausgezahlt hat.