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Baby Driver

| Pamela Jahn |

Rasante Autojagden und schicke Diner in Atlanta statt krudem britischen Humor in schäbigen Pubs: Mit seinem fetzigen Heist-Thriller „Baby Driver“ ist der Engländer Edgar Wright endgültig in Hollywood angekommen. Ein Gespräch über Lieblingssongs, „GoodFellas“ und darüber, wie man Jon Hamm in L.A. auf die Schliche kommt.

Was lange währt, wird endlich gut, heißt es. Für Edgar Wright hat sich diese Lebensweisheit scheinbar bewahrheitet, denn die Idee zu seinem neuen Film, dem allseits gefeierten Baby Driver, hatte er bereits vor über zwanzig Jahren. Damals, frisch von der Uni und mit kaum einem Penny in der Tasche, war an die große Karriere, die der ambitionierte Regisseur mit seiner berühmt-berüchtigten Cornetto-Trilogie um Shaun of the Dead (2004), Hot Fuzz (2007) und The World’s End (2013) machen sollte, noch nicht zu denken. Aber auch auf dem Weg nach ganz oben lief für den aus einer Küstenstadt im südenglischen Dorset stammenden Wright nicht immer alles wie am Schnürchen. Zunächst scheiterte 2010 seine liebevolle Comicbuch-Verfilmung Scott Pilgrim vs. the World an den amerikanischen Kinokassen, kaum vier Jahre später warf er kurz vor Drehbeginn zu Marvels Live-Action-Version von Ant-Man angeblich aufgrund von künstlerischen Differenzen das Handtuch, obwohl er bereits seit 2006 an der Entwicklung des Projekts beteiligt gewesen war. Umso schöner ist es, jetzt einen Film zu sehen, der ihm nicht nur aus dem Herzen, sondern auch aus der Seele spricht – und der obendrein das Zeug zum coolsten Sommer-Kinohit des Jahres hat.

Im Wesentlichen basiert Baby Driver auf einer simplen, musikalisch-filmischen Idee, die Wright mit schwindelerregender Virtuosität zu einer schmissigen Thriller-Romanze verwandelt. Baby (Ansel Elgort) ist unser Mann, ein so junger wie ungewollter Flucht-Fahrer, der wenig spricht, aber dafür umso aufmerksamer zuhört, auch wenn er ständig einen Song im Ohr hat, um seinen nervigen Tinnitus zu überspielen. Ausgerüstet mit diversen iPods und Playlists für jede Stimmung schlendert er durch den Alltag, zu dem sein tauber Pflegevater Joseph (CJ Jones) genauso gehört wie Gangsterboss Doc (Kevin Spacey), der es auszunutzen weiß, dass Baby ihm mehr als nur einen Gefallen schuldet. Denn nicht umsonst ist Baby der beste Fahrer in der Stadt und muss deshalb regelmäßig dafür sorgen, dass die von Doc ausgetüftelten Raubzüge am Ende ein Erfolg werden. Das Geld, das er selbst bei den Einsätzen verdient, spart Baby für ein besseres Leben im falschen, welches plötzlich in Reichweite rückt, als er der zuckersüßen Kellnerin Debora (Lily James) über den Weg läuft und sich Hals über Kopf in sie verliebt.

Sämtliche Klischees des Gangsterkinos mischen sich in Baby Driver mit Gefühl und Humor, und mit einem Soundtrack, der überaus geschickt atmosphärische Stimmungswechsel und handgemachte Action verbindet. Kameramann Bill Pope und der gefragte Choreograph Ryan Heffington, der den zahlreichen Stuntszenen tänzerische Leichtigkeit verleiht, tun ihr Übriges, um Wrights sichtliche Freude am Spiel mit Genre und Musik ins rechte Licht zu rücken. Wer am Ende nicht gänzlich von dem Charme ergriffen ist, den dieser Film versprüht, der hat weder Herz noch Gehör. Allen anderen dürfte Baby Driver als  einer der unterhaltsameren Thriller des Jahres in Erinnerung bleiben.

 

Baby Driver

 

Mr. Wright, es heißt, Sie hätten die Idee zu „Baby Driver“ eigentlich schon vor 20 Jahren gehbat?

Im Grunde schon. Die ganze Idee war inspiriert von der Musik, die ich damals hörte, vor allem dem ersten Track, den man auch im Film hört: „Bellbottoms“ von Jon Spencer Blues Explosion. Ich war einundzwanzig und kurz vorher frisch nach London gezogen, da habe ich den Song quasi im Dauerdurchlauf gehört. Zu der Zeit hatte ich gerade auch meinen ersten Film gedreht, war allerdings noch weit davon entfernt, mich selbst als Regisseur zu bezeichnen. Ich lebte von Sozialhilfe und konnte mich mehr schlecht als recht über Wasser halten. Aber während ich den Song hörte, kam mir zum ersten Mal die Idee mit der Verfolgungsjagd, und ich dachte: Was wäre wenn, wenn jemand den Song auf der Flucht im Auto hört? Und wie wäre es, wenn derjenige die Musik sozusagen als Motivation braucht, um die ganze Sache überhaupt durchzuziehen? Mit der Zeit entwickelte sich daraus die Geschichte um Baby, also um einen jungen Fahrer, der in der Musik Zuflucht findet und gleichzeitig die Musik zur Flucht braucht.

 

Das Faszinierende an dem Film ist, dass im Grunde jede Szene, jeder Moment auf den Beat des Songs zugeschnitten ist, der gerade läuft. Egal ob Baby die Straße entlang schlendert, Autos kreuz und quer durch die Straßen jagen oder geschossen wird.

Jede Szene ist streng choreografiert. Ich hatte die Musik schon von vornherein mit ins Drehbuch eingeschrieben und wir haben die Songs dann auch permanent am Set gespielt. Einige der Stuntszenen sind tatsächlich im Takt mit der Musik gedreht. Manchmal betrifft es nur Ansel, manchmal alle, die an der Szene beteiligt sind.

 

Logistisch muss das ein ziemlicher Albtraum gewesen sein.

Wenn ich etwas bin, dann ehrgeizig. Klar waren manche Szenen kompliziert, aber wenn Sie mich fragen, hat sich die Anstrengung mehr als hundertprozentig gelohnt.

 

Sie haben zudem eine beeindruckende Besetzung für Ihren Film gewinnen können. Ändert sich mit dem Fokus auf die Musik mitunter auch, wie man als Regisseur mit den Darstellern zusammenarbeitet?

Nicht unbedingt. Vieles stand ja bereits im Drehbuch, vor allem, was den Ton den Films angeht. Und wenn man mit den richtigen Leuten zusammenarbeitet, dann muss man während des Drehs im Grunde eigentlich nur noch Detailarbeit leisten, was ihre konkreten Figuren angeht. Das ist das Schöne daran. Bei den jungen Schauspielern ist das nicht immer so einfach, weil man vielleicht auch noch nicht so ein gutes Gefühl dafür hat, worin genau ihre Stärken liegen. Aber bei Leuten wie Kevin Spacey, Jon Hamm oder Jamie Foxx, da weiß man natürlich, wie gut sie auch ihre dunkle Seite herausspielen können, und das hat in diesem Fall unheimlich Spaß gemacht. Meine Aufgabe als Regisseur ändert sich insofern wenig, weil ich nach wie vor dafür sorgen muss, dass beim Dreh letztendlich alle Schauspieler auf der gleichen Wellenlänge liegen beziehungsweise den gleichen Film im Kopf haben.

 

Stimmt es, dass Sie Jon Hamms Figur bereits mit ihm im Hinterkopf geschrieben haben?

Ja, allerdings muss man auch hier dazu sagen, dass die Idee zum Film ja schon viel länger auf dem Tisch lag. Ich glaube, es gibt einen Bericht in „Variety“ von 2007, in dem der Titel Baby Driver zum ersten Mal fällt, weil ich damals gerade einen Zwei-Filme-Vertrag mit Working Title unterschrieben hatte, und dabei ging es einerseits um The World’s End und andererseits eben um Baby Driver. Mit dem Schreiben habe ich konkret erst 2010 begonnen. Zu dem Zeitpunkt kannte ich Jon dann schon ein paar Jahre und fand, dass die Rolle zu ihm passte, also hab ich sie auf ihn zugeschnitten.

 

Wenn ich richtig informiert bin, sind Sie und Jon quasi Nachbarn in Los Angeles. Treffen Sie sich auch manchmal zum Barbecue?

Nachbarn wäre übertrieben, aber wir leben nicht weit voneinander entfernt und es gibt ein Restaurant ganz in der Nähe, da laufen wir uns regelmäßig über den Weg. Wer es darauf anlegt, Jon Hamm in L.A. aufzulauern, der hat übrigens ein leichtes Spiel, weil er immer in dasselbe Restaurant geht. Das ist aber nicht, wie wir uns kennengelernt haben. Zum ersten Mal habe ich ihn getroffen, als er seinen ersten Auftritt als Gastgeber von Saturday Night Live hatte, das muss so ungefähr neun Jahre her sein. Ich war zufällig an dem Abend auch dort und traf ihn anschließend bei der Party. Das war ziemlich verrückt.

 

Es ist interessant, wie Sie im Film das Problem mit dem Tinnitus ins Spiel bringen. Wieso haben Sie sich dafür entschieden, Baby zusätzlich noch eine Innenohrschädigung aufzudrücken?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen dachte ich, es gibt ja so eine Art Archetyp an starken, verschwiegenen Typen in Heist-Thrillern, wie beispielsweise in den Filmen mit Clint Eastwood oder Steve McQueen, allerdings wird darin meistens niemals erklärt, warum sie so wortkarg sind, es ist einfach so. Deshalb fand ich es spannender, stattdessen einen Typ in den Mittelpunkt zu rücken, der nach außen hin super-tough wirkt, weil er kaum redet, bis man merkt, was eigentlich dahinter steckt. Zum anderen kenne ich das Gefühl ziemlich gut, weil ich als Kind selbst unter Tinnitus gelitten habe. Allerdings habe ich meine Erinnerung daran recht lange unterdrückt, bis mir vor zehn Jahren schließlich „Musicophilia“ von Oliver Sacks in die Hände viel. Plötzlich kam dann auch bei  mir alles wieder hoch. Und ich dachte, dass der Tinnitus auch Babys intensives Verhältnis zur Musik noch einmal verstärken würde, also die Tatsache, dass er die Musik dazu nutzt, um das permanente Geräusch in seinem Ohr zu ersticken, als eine Art Erlösung.

 

Rührt Ihre eigene Musikvernarrtheit ebenfalls aus dieser Erfahrung?

Nein, Ich war damals sieben oder acht und hatte keine Stereoanlage in meinem Zimmer, nicht mal ein Radio. Ich musste da so durch.

 

Sie sind bekanntermaßen ein Filmbuff und es gibt auch in „Baby Driver“ jede Menge Referenzen, unter anderem zu „Monsters, Inc.“, „Fight Club“, „Austin Powers“, „GoodFellas“ …

Oh, aber GoodFellas gibt es wirklich, das hab ich mir nicht ausgedacht, ich schwöre es Ihnen. GoodFellas Pizza & Wings ist ein echter Pizza-Laden in Atlanta. Wir hatten zunächst versucht, mit anderen Pizzaketten ins Geschäft zu kommen, aber die lehnten alle ab, bis irgendwann jemand GoodFellas erwähnte, und ich dachte nur: Perfekt! Denn dann konnte ich auch die Stelle im Drehbuch ändern, so dass Kevin Spacey sagt: „Why slave away at Goodfellas when you could work for a great fella?“ Mit Michael Myers war das was anderes, das war einer meiner ersten Einfälle im Drehbuch. Ich fand es einfach eine witzige Verwechslungsgeschichte. Aber wir mussten natürlich auch Myers dazu bringen, dass er die Sache absegnet. Zum Glück fand er die Idee ebenfalls super, sonst wäre es das Aus für die Austin-Powers-Masken gewesen.

 

Davon abgesehen zitiert Baby immer wieder gerne aus den Filmen, die er im Fernsehen sieht.

Stimmt. Auch das ist etwas, was mich an meine eigene Kindheit erinnert, wie wir bestimmte Sprüche, die wir im Fernsehen aufschnappten, als unsere eigenen verkauften. Wenn zum Beispiel John Krasinski in It’s Complicated sagt: „They grow up so freakin‘ fast, don’t they,“ und Baby das später der Postbeamtin gegenüber erwidert, um möglichst unauffällig zu wirken. Oder wenn er Deborah anhimmelt: „You are so beautiful“, wie in dem Clip von The Little Rascals. Das sind so Momente, also das Nachsprechen von Floskeln, die man vorher schon mal irgendwo gehört hat und die sich aus irgendeinem Grund im Gedächtnis festgesetzt haben.

 

Einmal ganz abgesehen von den filmischen Bezügen, wie hat eigentlich das Studio reagiert, als Sie zum ersten Mal Ihre Soundtrack-Liste präsentierten?

Zugeben, als ich an dem Drehbuch schrieb mit all den Songs im Kopf, hatte ich keine Ahnung, was das Ganze am Ende kosten würde. Und ich hab mir darum zunächst auch absichtlich keine Gedanken gemacht, weil das die ganze Idee sofort im Keim erstickt hätte. Immerhin war schon der Soundtrack zu The World‘s End ziemlich heftig gewesen.

 

Aber nicht so heftig …

Nein, dafür hatten wir diesmal grandiose Hilfe bei der Klärung der Rechte. Eine Frau namens Kirsten Lane hatte sich schon zwei Jahre, bevor wir überhaupt den Vertrag mit Sony unterschrieben haben, im Stillen intensiv um die Rechte gekümmert und die ganzen Künstler auf unsere Seite gebracht. Das war unser Glück.

 

Was glauben Sie, warum funktionieren laute Musik und schnelle Autos zusammen so gut?

Interessante Frage. Ich denke, das hat mit der Art der Bewegung zu tun, mit dem Rhythmus der Musik und mit der Tatsache, wie sich dabei gleichzeitig die Welt um einen herum verändert. Und das nicht nur im Auto, auch wenn man beispielsweise im Zug sitzt und aus dem Fenster schaut. Mir fällt dann immer das Musikvideo von Michel Gondry zu „Star Guitar“ von The Chemical Brothers ein, weil er darin genau dieses Gefühl einfängt und zwar in totalem Einklang mit der Musik. Und mit Baby Driver habe ich im Grunde versucht, einen ähnlich harmonischen Effekt zu erzeugen.

 

Gibt es einen Titel im Film, den Ihnen mittlerweile zum Hals raushängt?

Es gab einen Song. Aber wir mussten sowieso ein paar winzige Szenen nachdrehen, weil ich noch nicht glücklich damit war und dabei haben wir dann auch den Track geändert, weil er mir beim ersten Schnitt schon auf die Nerven gegangen war.

 

Welcher Song war das?

Ich will ihn jetzt nicht schlecht machen, weil es daran grundsätzlich natürlich nichts auszusetzen gibt, aber es war „Nutrocker“ von B. Bumble & The Stingers, den wir mit einem Song namens „Smokey Joe’s La La“ ersetzt haben. Aber das Großartige an dem Film ist, dass der Soundtrack sonst nur Titel enthält, die ich immer und immer wieder gerne höre. Wie „Never, Never Gone Give Ya Up“ von Barry White zum Beispiel, der Song wird mir einfach nie langweilig. Es ist sogar eine meiner Lieblingsstellen im Film, einfach weil ich darauf warte, dass der Refrain einsetzt. Und wenn es so weit ist, denke ich jedes Mal auf Neue: Wow, was für ein Song!

 

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