ray Filmmagazin » Themen » Bei mir ist alles live
Caroline-Peters_c_Rafaela-Proell

Caroline Peters

Bei mir ist alles live

| Gini Brenner |
Genres sind nur Schall und Rauch. Ob Fernsehkrimi, Kinokomödie, Jedermann oder Burgtheater: Die gebürtige Mainzerin und Wahlwienerin Caroline Peters ist eine der spannendsten Schauspielerinnen der Gegenwart. Für die Wiener Festwochen bringt sie nun einen Sci-fi-Kurzgeschichtenklassiker auf die Bühne: Aus „The Machine Stops“ wird „Die Maschine steht nicht still“.

In Anlehnung an die 1909 veröffentlichte Science-Fiction-Kurzgeschichte „The Machine Stops“ von E. M. Forster versammelt die Burgtheater-Schauspielerin Caroline Peters mit Ledwald eine Gruppe von Medienkünstlerinnen und –künstlern um sich und erarbeitet zusammen mit ihnen ein dystopisches Nicht-Solo für eine Darstellerin & the machine. Peters, eine Präsenz par excellence auf Bühne und Bildschirm, wagt sich also auf neues Terrain. In Überspitzung der Lockdown-Situation entsteht auf der Bühne ein zutiefst emotionaler Dialog mit dem Videobild. Doch das Zusammenleben mit künstlicher Intelligenz, mit einer Bedürfnis-Befriedigungs-Maschine, befriedigt nicht mehr. Die vielen Möglichkeiten des virtuellen Raums markieren deutlich die reale Abgeschiedenheit und physische Distanz. Eine Sehnsucht nach Nähe und Berührung, nach Kommunikation ohne dazwischengeschaltete Projektion nimmt überhand. Ein Abend von und mit einer großen Schauspielerin, der sich an der Gegenüberstellung von Mensch und Maschine, Natur und Technik abarbeitet – und die die symbiotische Verwobenheit der Gegensätze spürbar werden lässt. Wo? Nur im Theater.

M. Forster hat nicht nur Romanklassiker geschrieben wie „Zimmer mit Aussicht“ oder „Wiedersehen in Howards End“, sondern auch Kurzgeschichten. Eine seiner berühmtesten haben Sie nun als Grundlage für Ihr Festwochen-Projekt verwendet – und es ist unglaublich, wie nahe an der heutigen Realität die Geschichte ist, die im Jahr 1909 entstanden ist.

Ja, das Original ist ganz, ganz toll. Und je mehr wir daran arbeiten, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass ich gleich eine ganze Serie draus machen möchte – jede Woche ein anderes Stück, das immer einen neuen Aspekt aus dieser Geschichte in unsere Zeit überträgt und beleuchtet. Weil es so viele Themen sind, die da angerissen werden – dass Menschen über Bildschirme miteinander kommunzieren, ist dabei nur eines von vielen. Ich meine, 1909 – wieviele Screens hat denn der Mann in seinem Leben gesehen, dass er auf die Idee kommt, wir haben alle nur mehr Screens zuhause?

 

Eigentlich hat er Instagram erfunden.
Caroline Peters: Ja, genau! Instagram, Facebook, Zoom … und das zu einer Zeit, in der es erst seit vier oder fünf Jahren überhaupt Kinosäle gab, und wo man noch darüber gerätselt hat, was da überhaupt gezeigt werden soll.

Es ist auch eine Geschichte über Isolation – eine Erfahrung, die ja die meisten von uns in den letzten Jahren ausgiebig gemacht haben.
Genau. Gerade in meinem Beruf war die Lockdown-Erfahrung ja sehr drastisch. Andere Leute mussten ihr Leben ändern, indem sie im Homeoffice arbeiteten, bei uns aber hat von einem Tag auf den anderen einfach alles aufgehört. Ich habe ja sehr viel gespielt zu der Zeit, ich war auf einem richtigem High-Power-Level. Und dann war das von einer Sekunde zur anderen auf einmal weg. Es hat sich angefühlt, als wäre man mit 260 unterwegs auf der Autobahn, und dann macht es „Puff!“, und es gibt nichts mehr. Es gibt keinen Unfall, keinen Schaden, ich bin nicht tot – es ist einfach alles weg, was bisher da war.

Wie sind Sie dann auf E. M. Forsters Geschichte gekommen?
Ich war viel zu Hause und hatte Zeit zum Lesen, fühlte mich aber sehr isoliert dabei. Ich kannte das bisher so ja kaum, mein Leben ist sonst sehr urban, ich bin viel unterwegs und mit Leuten zusammen – bei mir ist alles live. Ich arbeite nie am Computer. Aber dann hat sich meine Arbeit auf online verlegt, ich habe Lesungen auf Instagram gemacht, Interviews via Zoom gegeben … Ich habe auch Zeitungen online gelesen und habe im „Guardian“ einen Artikel über „The Machine Stops“ gefunden. Dann habe ich die Kurzgeschichte gelesen und fand sie phantastisch. Irgendwann hat mich Christophe Slagmuylder von den Wiener Festwochen angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, einen Abend zu kreieren, da ist mir die Geschichte wieder eingefallen.

Und wie haben Sie sie verarbeitet?
Ich habe mir ein Team von Künstlern zusammengesucht, die ich alle nur aus dem Lockdown kenne – die kannte ich alle vorher nicht aus der analogen Welt. Das habe ich zum Konzept gemacht. Und gemeinsam haben wir aus der Geschichte einen „Re-Import“ gemacht: Wir re-importieren die Geschichte, die im Original vielleicht 2009 spielt, ins Jahr 2109. Ich bin die einzige Person auf der Bühne und lebe mit meinem Betriebssystem namens Isadora zusammen – und daraus ergeben sich Fragen wie: Ergibt es überhaupt Sinn, sich live zu begegnen? Leben die Maschinen durch uns, oder leben wir durch die Maschinen? Sind die Maschinen schlauer als wir, oder können die das überhaupt je werden? Und das wird auf vielfältige Art und Weise durchgespielt.

Das vollständige Interview lesen Sie in unserer Printausgabe 05/22

Und was ist Ihre Antwort darauf? Wie wichtig ist es, einander „live“ zu begegnen?
Gerade in meinem Beruf konnte ich das sehr gut sehen – unsere Tätigkeit war ja wirklich zu 99 % weg. Also wurde nach Alternativen gesucht. Es entstanden Zoom-Theaterprojekte, jeder hat versucht, online etwas zu machen. Und da merkte man, wie toll es ist, dass es diese Technik gibt – aber man sah auch, wie inadäquat sie noch ist. Wie schlecht etwa Timing funktioniert. Es gab z. B. auf Instagram ein Konzert, bei dem die Stones, jeder in seinem eigenen Zuhause, „Satisfaction“ gespielt haben. Und das war so schief, dass man kaum zuhören konnte. Das war ganz ganz schlechte Musik – von den Stones! Live!! Solche Sachen fand ich lustig und bemerkenswert, man kann sie einordnen unter „auch eine neue Erfahung“, aber schön war das nicht.Für Kunst braucht es also die physische Nähe.
Mir geht es so, seit ich wieder am Leben teilnehme: Livemusik berührt mich in einer Art und Weise, die ich vorher gar nicht kannte. Man merkt es auch, wenn man wieder auftritt im Thea-ter: Das Publikum ist auf eine ganz andere Art angefixt und energetisch, der Applaus ist hundert Prozent emphatischer als früher, und man merkt, dass regelrecht die Sinne geschärft sind.Sie sind seit Jahren Ensemblemitglied am Burgtheater. Wie ist das Leben als „Piefke“ in Wien?
Ich finde, dass sich die Stadt in den letzten 15 Jahren extrem verändert hat. Anfangs hab ich mich oft als „die blede Deitsche“ gefühlt – das empfinde ich mittlerweile überhaupt nicht mehr. Ich erlebe Wien heute als total lebendige, internationale Stadt, auf einer Ebene mit Stockholm, Paris oder Zürich. Ich lebe sehr gerne hier. Wien ist einfach eine Stadt, in der es einen Bürgermeister gibt und eine Stadtregierung, die sich spürbar darum bemühen, Maßnahmen umzusetzen, die das Leben ihrer Mitbürger besser machen. Das gibt es in Berlin so nicht, nach meiner Erfahrung, da gilt mehr das „Ihr müsst schon selber irgendwie klarkommen, ihr Trottel“-Prinzip. (Lacht)Wie bunt und international ist das Burgtheater?
Mit Martin Kušej schon sehr. Das ist ja auch eines der Dinge, die er sich auf die Fahnen geschrieben hat: ständig Landesgrenzen zu überwinden. Sowohl im Ensemble als auch in den Regieteams. Das war während des Lockdowns naürlich auch ein schwieriges Konzept. Die Pandemie hat der Internationalisierung ja eher entgegengewirkt. Wir haben wieder erkannt, wie super das Lokale ist. Und das ist ja auch wichtig – schon wegen der Klimakatastrophe können wir nicht mehr so mir nichts, dir nichts überall hin- und herjetten, wie es uns gefällt.Naja, unsere Generation kann das leicht sagen, wir haben die Welt ja schon gesehen, jetzt können wir uns zurücklehnen im Gartenstuhl. Aber was sollen die Gernerationen nach uns dazu sagen? Gerade hat die Menschheit angefangen, die Welt einfach erlebbar zu machen, und jetzt soll man wieder aufhören damit?
Ja, ich glaube tatsächlich, dass es da wohl keine andere Lösung gibt. Wir werden da nicht drum rumkommen, für die Zukunft bessere Ideen zu entwickeln, wie auch immer die aussehen. Das Denken darüber ist halt leider noch nicht sehr weit gediehen.Sie machen nicht nur Theater, sondern auch viel TV und Kino – wie z. B. die TV-Serie „Mord mit Aussicht“ oder Eva Spreizhofers Kino-Komödie „Womit haben wir das verdient?“. Sie haben also wenig Angst vor irgendwelchen Genres?
Vor Genres habe ich überhaupt keine Angst. Ich habe totale Angst vor schlechter Qualität. Die kann einer überall und jederzeit begegnen, man kann das nie vorher wirklich wissen. Jedenfalls würde ich nie sagen: „Ich will nur Komödien spielen“, oder „Ich möchte nur ernst sein“, ich möchte aus dieser Hülle herauskommen, dass man als Schauspielerin für das gehalten wird, was man spielt. Denn das bin ich ja nicht. Deshalb bin ich ja Schauspielerin. Das ist gerade der Witz an der Sache.

Ich kann mich an ein Interview mit einem Ihrer Burgtheater-Kollegen erinnern, der meinte, Fernsehen habe generell keine künstlerische Qualität für ihn, das mache er nur wegen des Geldes …
Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich bin total gegen die Trennung zwischen Hochkultur und Populärkultur. Das ist nur ein erfundenes Konzept, um sich von andern abzusetzen, eine Elite zu bilden, um bestimmte Dinge für sich zu behalten, um sich besser zu fühlen. Da bin ich einfach dagegen. Ich erinnere mich gut daran, als in der Berliner Volksbühne mal ein äußerst erfolgreiches Stück lief – und dann haben sich manche an der Volksbühne darüber gekränkt, was für ein blödes Publikum das jetzt ins Haus bringt. Gute Qualität und ernsthafte Beschäftigung mit der Materie stehen jedem zu. Ich verstehe z.B. nicht, wenn sich Künstler untereinander anfeinden, weil jemand das „falsche Publikum“ ins Haus bringt. Es gibt kein falsches Publikum.

Das erinnert mich stark an die Musikdiskussionen in den Neunzigern, in denen Underground-Bands vorgeworfen wurde, mit erfolgreichen Songs „Sellout“ zu betreiben …
Oh ja, das war auch eine Diskussion, die ich in meinen Zwanzigern oft geführt habe, und die war für mich auch ganz schwierig. Jede Art von Kommerzialisierung galt sofort als Ausverkauf. Aber es gibt doch einen Unterschied, ob ich von meiner Kunst leben kann, oder ob ich kommerzialisiere und es schief läuft. Den Unterschied spürt man. Es ist ja nicht so, dass die Rolling Stones spießige Arschlöcher sind, die nur noch Mist produziert haben, nur weil sie erfolgreich sind.

Die haben durchaus auch Mist produziert.
Ja, das hätten sie auch gemacht, wenn sie nie damit Geld verdient hätten. Dieser Anspruch an Künstler, dass sie kein Geld verdienen wollen sollen, finde ich völlig daneben. Natürlich möchte man auch am ökonomischen Leben teilhaben. Den bloßen Verdacht, es könne keine Kunst sein, wenn man damit Geld verdient, finde ich wirklich feindlich dem Künstler gegenüber.

Apropos feindlich: Wie erleben Sie die Situation für Frauen im Schauspielberuf derzeit?
Man bemüht sich auf jeden Fall sehr, sie zu verbessern. Es gibt viel mehr weibliche Titelrollen im Theater als früher – aber von 50:50 sind wir noch weit entfernt. Da wird man auch nicht hinkommen, solange man sich im Kanon des klassischen Repertoires weiterbewegt. Denn den haben eben weiße heterosexuelle Männer gemacht. Aber es muss doch möglich sein, dass im Theater was anderes vorkommt als weiße heterosexuelle Männer. Geeignete Stücke gäbe es jedenfalls genug – sogar im Kanon.

Was werden Sie in nächster Zeit vorkommen lassen?
Sehr viele Dinge. Konkret drehe ich einen Fernsehkrimi, probe fürs Burgtheater, und es ist viel im Werden: Lesungen, Hörbücher … Mir gefällt der Mix, es tut immer gut, von einem Ding ins andere zu wechseln. Sonst läuft man Gefahr, in eine Routineschleife zu gelangen, man ist nicht mehr aufgeregt.

Haben Sie die Nervosität vor dem ersten Mal noch?
Ja, total. Andauernd. Und das ist durch die Pandemie auch noch schlimmer geworden. Ich habe viel mehr Lampenfieber als früher. Das ist eine Energiequelle, aber auch eine Qual. Und jetzt spielt auch bis zum Schluss der Zweifel mit, ob nicht wieder plötzlich alles anders wird. Erst wenn es wirklich angefangen hat, dann weiß ich, dass es stattfindet.