Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff über seinen Dokumentarfilm „Der Waldmacher“
Mit Der junge Törless gab Volker Schlöndoff 1966 sein Kinodebüt, mit der Heinrich-Böll-Verfilmung Die verlorene Ehre der Katharina Blum schuf er 1975 einen Klassiker des Polit-Kinos. Vier Jahre später gab es für Die Blechtrommel einen Oscar sowie die Goldene Palme in Cannes. Nach weiteren Literaturverfilmungen wie Tod eines Handlungsreisenden, Geschichte der Dienerin oder Homo Faber wechselte Schlöndorff 1992 vom Regiestuhl auf den Chefsessel des Studio Babelsberg, wo er fünf Jahr tätig war. Mit Der Unhold meldete er sich nach der Kinopause zurück. Nun präsentiert er mit Der Waldmacher eine Dokumentation über den Wissenschaftler und alternativen Nobelpreisträger Tony Rinaudo. Den Film begleitet der Regisseur bei einer Tour in 43 deutschen Kinos.
Herr Schlöndorff, Sie begleiten Ihren Film mit einer Tour durch 43 Kinos. Das klingt fast wie die Deutschland-Tournee von Otto und gab es bislang noch nie. Weshalb diese Ochsentour?
Volker Schlöndoff: Ich wollte einfach einmal sehen, ob ich das Publikum anziehen kann. (Lacht) Die Idee entstand durch ein Gespräch mit dem Verleiher Michael Kölmel. Der sagte mir ganz offen, einen Dokumentarfilm heutzutage in die Kinos zu bringen, das lohne sich nicht mehr. Aus Widerspruchsgeist habe ich entgegnet, was ist, wenn ich persönlich zum Start in die Kinos komme? Und zwar in 43 Kinos in 31 Städten. Ich mache einen Monat dafür frei, mal sehen, ob das etwas bringt. Auf alle Fälle freuen sich die Kinos, insofern ist das keine verlorene Aktion.
Darüber könnten Sie gleich einen neuen Dokumentarfilm drehen: Deutschland und seine Lichtspielhäuser …
Ich habe überlegt, ob ich Tagebuch führen soll, das wäre weniger aufwändig als eine Dokumentation mit der Kamera. Ob es dazu kommt, ist noch offen, denn ich bin eigentlich zu faul. Die Tour selbst ist anstrengend genug. Statt mitzuschreiben, lese ich vielleicht unterwegs doch lieber einen dicken Roman.
Sie drehten einst zusammen mit anderen, wie Fassbinder oder Reitz, die Dokumentation „Deutschland im Herbst“, es folgten Dokus über Franz-Josef Strauß und Billy Wilder – wie kam es zu den seltenen Ausflügen ins ungewohnte Genre?
Die Dokumentationen entstanden alle aus einem konkreten Anlass und waren nie vorher geplant. Der Deutsche Herbst hat stattgefunden, und drei Tage später stand ich mit der Kamera auf dem Dornhaldenfriedhof in Stuttgart, wo Ensslin, Baader und Raspe beigesetzt wurden. Als Strauß Kanzlerkandidat war, haben wir alle gedacht, das darf doch wohl nicht sein, dagegen müssen wir etwas unternehmen. Das geschah zu einer Zeit, als Filme noch etwas bewirkt haben. Edmund Stoiber ist bis heute davon überzeugt, dass Strauß die Wahl nur wegen unseres Films verloren hat. (Lacht)
Wie passt dazu nun dieser Wissenschaftler und alternative Nobelpreisträger, der mit verblüffend einfachen Methoden den Wald wieder wachsen lässt?
Ich hatte eher zufällig einen Vortrag von Tony Rinaudo gehört und war sofort begeistert. Zum einen von der Einfachheit seiner Methode, zum anderen von der Strahlkraft, die von ihm als Persönlichkeit ausging. Dieser Wissenschaftler hat in Afrika sechs Millionen Hektar Wald entstehen lassen, und ich dachte, darüber sollten mehr Menschen etwas erfahren. Ich schlug Tony das Projekt vor, der allerdings nicht damit gerechnet hatte, dass es wegen der Pandemie letztlich drei Jahre dauern sollte.
Während Ihre Kollegen Wim Wenders und Werner Herzog regelmäßig Dokumentationen drehen, haben Sie sich, bis auf die erwähnten drei Ausnahmen, auf Spielfilme konzentriert. Ist das nun eine späte Berufung zur Doku?
Dokumentation hat mich immer interessiert. Schon als Regieassistent von Louis Malle war ich mit ihm im Algerienkrieg. Aber mein Beruf ist Spielfilm-Regisseur, ich arbeite gerne mit Schauspielern und entwickle Drehbücher. Das hat mir immer vollkommen genügt. Nur manchmal gibt es eben einen Anlass, wo man sich sagt: Das muss man jetzt eben machen. Genau so verhielt es sich mit dem Waldmacher. Als persönliche Motivation kam hinzu, dass meine Frau nach schwerer Krankheit verstarb. Ich dachte, die beste Trauerarbeit sei es, nach Afrika abzuhauen.
Wie sah die konkrete Arbeit aus?
Ich bin ohne Konzept aufgebrochen, um Tony zunächst einfach zu beobachten. Das Projekt ist ein Essay in alle möglichen Richtungen. Wenn mir auf der Straße ein neues Thema begegnete, habe ich das aufgenommen. Etwa jene Szene mit den Schulkindern, die wir befragen, was sie einmal werden möchten. Und wo ich mit Tony darüber rede, wie die Bevölkerungsexplosion in den Griff zu bekommen ist. Zudem bat ich afrikanische Filmemacher um kleine Beiträge, um auch deren Stimme zu hören.
Mit besonderem Vergnügen stellen Sie das ortsübliche Palaver vor: Jene Versammlung in einem Dorf, in der ein Thema so lange besprochen wird, bis es alle verstanden haben und zufrieden sind …
Das Prinzip beschrieb bereits Karl Valentin: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. (Lacht). Für mich ist das Palaver ein wunderbares basisdemokratisches Prinzip. Es muss tatsächlich auch der Letzte im Dorf verstanden haben, erst dann wird etwas verändert. Das sorgt für eine unglaubliche Kommunikation und Solidarität in so einer Gemeinschaft. Man könnte sich das auch bei uns vorstellen: In jedem Stadtteil steht ein Palaver-Baum, unter dem alles besprochen wird. Oder wir machen das Kino zum neuen Palaver-Ort.
Reisen in die Sahelzone sind kein Honiglecken, zumal in Pandemiezeiten. Wie groß waren die Strapazen bei diesem Projekt?
Bei 40 Grad im Schatten kann es manchmal schon anstrengend werden. Dann macht man eben eine Pause und legt sich unter einen Baum. Es ist zum Glück keiner krank geworden, durch mein regelmäßiges Lauftraining fühle ich mich ohnehin relativ fit. Etwas heikler war die Sicherheitslage. Oft mussten wir von einer bewaffneten Eskorte begleitet werden, um kein Ziel für mögliche Kidnapper zu werden. Ansonsten ist Afrika nicht so gefährlich, wie es immer noch durch die Köpfe geistert.
Sie treffen sich regelmäßig mit Wim Wenders, reden über Fußball und Wein. Hätten Sie keine Lust, mit ihm und Werner Herzog ein Regie-Kollektiv aufleben zu lassen wie damals bei „Deutschland im Herbst“?
Sich als Grüppchen zusammen zu tun, das ist ein Jugendphänomen. Im Alter ist jeder gerne lieber für sich allein. (Lacht)