The artist is present.
An Joseph Beuys (1921–1986) führte lange kein Weg vorbei. Von Mitte der Sechziger bis zu seinem Tod war der von seinen „Jüngern“ verehrte und von seinen Gegnern diffamierte Aktionskünstler, Zeichner, Bildhauer und Theoretiker medial dauerpräsent. Interventionen wie Fettecke oder Honigpumpe trugen ihm globalen Ruhm ein, das markante Äußere – hagere Figur, knochiges Gesicht, Anglerweste und Hut – machte den Sohn eines Düngemittelhändlers zur Kunst- wie Kultfigur. Die breite Öffentlichkeit stand seiner Kunst ironischerweise oft ratlos gegenüber, dabei ging es ihm um nichts weniger als eine humanistische Reformation bestehender Gesellschaftsverhältnisse. Mit seinem „erweiterten Kunstbegriff“ zielte Beuys, der Anfang der Achtziger auch als Kandidat der deutschen Grünen antrat, auf direkte Demokratie ab; mit der Kreativität, die er jedem Menschen zugestand, wollte er die Herrschaft des Geldes, das „keine Tauschware“ sein dürfe, beschränken. Während viele Aktionen erratisch-provokant wirkten und die alte Frage nach dem Wesen der Kunst aufwarfen, setzte er mit der Pflanzung der „7000 Eichen“ im Rahmen der documenta ein verständliches, das Stadtbild Kassels bis heute prägendes ökologisches Zeichen.
Andres Veiel (Black Box BRD) ist es mit Beuys geglückt, dem schwer fassbaren Provokateur nahezukommen. Von manchen Kritikern wie Diedrich Diederichsen als eine Art unkritische Hagiografie missverstanden, geht es dem Film gar nicht um eine lückenlose Abbildung aller Lebensstationen. Vielmehr will Veiel das Leben Beuys’ als Gesamtkunstwerk zeigen – und welchen Preis der Mann, der sich öffentlichen Diskussionen jederzeit stellte, dafür zu zahlen bereit war. „Ich kenne kein Weekend“ prangt da auf dem Briefpapier des Künstlers, der der Meinung war, man müsse sich verschleißen – schließlich wäre es doch schade, wenn man beim Sterben noch in gutem Zustand sei. Veiel setzt auf Archivmaterial, rückt nur selten aktuelle Interviews mit Wegbegleitern ins Bild. Der brillante Schnitt kümmert sich nicht groß um Chronologie, sondern kreiert ein assoziatives, zwischen den Zeitebenen changierendes Porträt. Und er gewährt Episoden Raum, die Beuys’ menschliche Seite zeigen: Dadurch, dass er 400 Studenten statt der geforderten zehn akzeptierte, nahm er etwa seine Entlassung von der Kunstakademie in Kauf. Die visuellen Effekte sind dezent und effektiv; wenn das Bild etwa Beuys Lächeln wiederholt einfriert, wird klar, wie schelmisch und herzlich er war. Man weiß nicht, was am Filmende überwiegt: Die Lust, sich intensiv mit Werk und Person auseinanderzusetzen, oder die Wehmut darüber, dass ein Mann wie Beuys, der die Welt mit den Mitteln der Kunst verändern wollte, heute schmerzlich fehlt.