Regisseur und Drehbuchautor Spike Jonze über seinen Film „Her“, über mögliche Zukunftsszenarien, über Technikaffinität und über seine Tagträume.
Der Film ist eine moderne Liebesgeschichte, die davon erzählt, wie sehr unsere zwischenmenschlichen Beziehungen von modernen Kommunikationstechnologien abhängen. Was Sie zeigen, mag noch Zukunftsmusik sein, aber auch heute sind Skype, Facebook und Textnachrichten ein wichtiger Teil davon, wie wir miteinander interagieren. Was hat Sie daran gereizt?
Ich wollte über Beziehungen schreiben und über die Ära, in der ich lebe. Der Film ist sehr zeitgemäß und zugleich hoffentlich zeitlos. Ich wollte von Intimität erzählen und darüber, wie Menschen Anschluss finden. Und wenn heute jemand eine Fernbeziehung über Skype führt, ist das natürlich sehr modern, das gab es so bisher nicht. So etwas fand vielleicht am Telefon statt und noch früher per Brief. Heute unvorstellbar, dass man eine Woche auf einen Brief seiner oder seines Liebsten wartet! Ich wollte über Beziehungen schreiben, um sie besser zu verstehen. Ich habe über Dinge geschrieben, die mich bewegt und durcheinandergebracht haben. Ich finde, es gibt kein verwirrenderes und auch kein bedeutenderes Thema als Beziehungen.
Warum haben Sie entschieden, über Beziehungen im Kontext moderner Kommunikationstechnologie zu erzählen?
Ich hatte selbst schon Fernbeziehungen, und natürlich nutze ich das Internet, Textnachrichten und all das. Ich wollte die Geschichte eines Mannes, der sich in eine Stimme verliebt, als Analogie nutzen, um davon zu erzählen, wie sehr Beziehungen in unserem Kopf ablaufen. Selbst wenn der andere physisch anwesend ist, beruht das Meiste darauf, wie wir die Worte, Handlungen und Intention unseres Partners interpretieren. Aber es gibt nicht den einen Grund, warum ich diesen Film so gemacht habe. Ich komme mir fast vor, als würde ich mich selbst betrügen, wenn ich versuche, es in Worte zu fassen. Es hat drei Jahre gedauert, um diesen Film zu machen, und es dauert zwei Stunden, um ihn zu sehen. Ihn zu erklären, ist also immer eine Reduktion. Es gibt vielleicht zwanzig Gründe, warum ich ihn gedreht habe und manche davon widersprechen sich. Er bedeutet sehr viele unterschiedliche Sachen für mich. Und so unterschiedlich sind auch die Reaktionen der Zuschauer, die ihn alle aus ganz verschiedenen Gründen mögen oder nicht mögen. Und diese persönlichen Reaktionen sind es, die ich interessant finde und die mir etwas bedeuten. Selbst wenn er jemandem nicht gefällt, tut er das aus ganz bestimmten Gründen, und das sagt mir etwas über diesen Menschen, über seine Art zu denken und zu fühlen. Das finde ich immer wieder erstaunlich.
Sehen Sie sich als eine Art filmischer Psychoanalytiker?
Manchmal, ja. Und ich liebe es. Es gibt für mich nichts Wertvolleres, als eine authentische Verbindung zu jemandem aufzubauen. Der Film scheint etwas auszulösen, und viele verraten mir sehr persönliche Dinge. Wenn mir zum Beispiel jemand von seiner Fernbeziehung erzählt und davon, was der Film für ihn bedeutet, fange ich gleich an, mir vorzustellen, wie das Leben dieses Menschen aussieht. Vielleicht bilde ich mir vieles davon nur ein, aber ich glaube schon, dass ich eine ganz gute Intuition habe. Unter all dem Stress, den wir haben mit Arbeit, Terminen, Plänen, Reisen und so weiter, verbindet uns doch alle das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt. Wir alle sind auf der Suche nach Intimität. Und das macht Her, trotz der recht speziellen Geschichte, doch sehr universell.
Warum sind es immer wieder Beziehungen, die Sie als Filmthema interessieren?
Ich mache Filme über Dinge, die mir nicht aus dem Kopf gehen, über die ich ständig nachdenken muss. Und Beziehungen beschäftigen mich wirklich sehr.
Was ist Ihre persönliche Beziehung zu moderner Technologie? Sind sie ein Technikfreak?
Hm. Ich weiß nicht. Durchschnitt, würde ich sagen. Das war aber auch nicht der Aspekt, der mich interessiert. Viel lieber als solche Fragen zu beantworten, würde ich Sie über Ihr Leben ausfragen wollen. Mir ist aber natürlich klar, dass das in dem Rahmen nicht geht, weil Sie dann kein Interview haben.
Trotzdem noch mal zum Technikaspekt, weil das doch ein wichtiger Teil des Films ist. Das sprechende Betriebssystem ist eine Zukunftsvision, die durchaus plausibel erscheint. Wie haben Sie recherchiert?
Ich habe natürlich den Zukunftsforscher Ray Kurzweil gelesen, aber auch Texte darüber, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Und das findet auf eine Art seinen Widerhall im Film, aber das war mir gar nicht so wichtig. Ich habe auch Bücher über die Entstehung des Universums gelesen und Beziehungsratgeber im Netz, was wirklich lustig war. Da gibt es Foren, wo jemand eine Frage stellt und 50 Leute geben ihren Senf dazu. Faszinierend. Ich habe einen ganzen Tag nur damit verbracht und nenne das dann Arbeit. Aber im Ernst, diese Kolumnen waren ebenso relevant wie etwa Kurzweils Theorien.
Kurzweil hat Ihren Film gesehen und geschrieben, dass Ihre Vision in 15 Jahren Realität sein könnte. Glauben Sie auch, dass Künstliche Intelligenz eines Tages ein Bewusstsein entwickeln wird?
Ich glaube, alles ist möglich. Aber nichts wird so sein, wie wir es uns heute vorstellen. Es wird so viel größer und zugleich subtiler sein, als wir es uns ausmalen können. Aber auch wenn der Film in der Zukunft spielt, wollte ich einen Film über Beziehungen machen. Und natürlich sind all diese Ideen über Künstliche Intelligenz im Film, aber sie sind nicht mein Hauptanliegen. Ich wollte untersuchen, wie Beziehungen funktionieren.
Apropos Zukunft: Sie haben zum ersten Mal ein eigenes Drehbuch verfilmt. Ist das etwas, das Sie fortsetzen wollen?
Es ist auf jeden Fall eine Evolution, nachdem meine ersten Filme auf Drehbüchern von Charlie Kaufman basierten und nach Wo die wilden Kerle wohnen, den ich zusammen mit meinem Freund Dave Eggers von Maurice Sendaks Roman adaptiert habe. Und jetzt kommen die Geschichten von meinen eigenen Tagträumen. Ich mag es, Dinge auszuprobieren, von denen ich nicht weiß, wie sie gehen. Ich mag Herausforderungen.