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Big Eyes

Stranger than Fiction

| Pamela Jahn |
Obwohl er sich für die Kitschbilder von Margaret Keane nur wenig begeistern kann, läuft er an der Seite von Amy Adams in Tim Burtons Künstler-Ehedrama „Big Eyes“ zur gewohnten Hochform auf: Christoph Waltz im Gespräch über eigenwillige Biopics, die Schurkenfrage und das Geheimnis seines Erfolges.

Die Kunst des Kitschs hat ihre eigene Geschichte, ist also nicht unbedingt eins mit der Geschichte der Kunst insgesamt. Wenn obendrein der Kitschkünstler unter Beschuss gerät, weil die Echtheit seiner Werke oder, schlimmer noch, die Glaubwürdigkeit seiner Schöpfernatur infrage steht, birgt das zuweilen Stoff für kuriose Geschichten, wie sie nur das Leben schreiben kann. Tim Burtons Big Eyes erzählt von so einem Fall mit Anmut und auf Augenhöhe.

Dabei erscheint die Studie der Begebenheiten um Margaret und Walter Keane, die mit ihren bizarren Gemälden von traurigen Kindern mit hypnotischen Riesenaugen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Herzen der Vorstadt-Amerikaner eroberten, auf den ersten Blick wie eine leichtfüßige Künstlerromanze zur Zeit der Eisenhower-Ära. Doch die Geschichte schlägt ins Drama um, als Walter (Christoph Waltz) es in seinem maßlosen Ehrgeiz, die Bilder seiner Frau zu vermarkten, zu weit treibt: Er gibt sich selbst als der große Maler aus, der er nicht ist.
Wenige Jahre später gilt Walter als künstlerische Sensation, während Margaret (Amy Adams) im stillen Kämmerlein pausenlos ihre Kulleraugenporträts produziert, um der enormen Nachfrage gerecht zu werden. Mit der Wahrheit herauszurücken und Walter als gewieften Plagiator bloßzustellen, um ihr eigenes Schattendasein zu beenden, scheint Margaret angesichts der damit verbundenen finanziellen Einbußen zu riskant – dazu kommen noch die massiven emotionalen Einschüchterungsmanöver ihres Ehegatten. Dennoch bleibt ihr ein Funken Selbstrespekt, der mit der Zeit und mit Walters zunehmenden Eskapaden immer stärker wird. Als kurz nach der Scheidung der Schwindel hinter den stets nur mit „Keane“ signierten Bildern auffliegt, geht Walter ein letztes Mal in die Offensive, um der Welt und sich selbst vorzugaukeln, er sei der wahre Meister des Kitschs.

Zwanzig Jahre und etliche visuell überbordende Gothic-Horror-Phantasien nach seinem Wunschprojekt, dem legendären Regisseur des vermeintlich schlechtesten Films aller Zeiten mit Ed Wood (1994) ein Denkmal setzen, holt Burton mit Big Eyes zu einer Art Befreiungsschlag aus. Eines muss man ihm lassen: Er ist die Dämonen los, die seine letzten Filme umtrieb. Aber er kennt sie gut, zu gut vielleicht, was dazu führt, dass man in Big Eyes vergeblich nach der subtilen Virtuosität sucht, die Burtons frühere Werke beflügelte. Big Eyes ist noch in einer anderen Hinsicht eine Herausforderung für den Ausnahmeregisseur: Es ist das erste Projekt ohne jene zwei Menschen, die ihn in den vergangenen zwei Dekaden über die Leinwand hinaus eng begleitet haben: Johnny Depp und Helena Bonham-Carter. Was aber nicht heißt, dass es dem Film an schauspielerischer Leistung fehlt – im Gegenteil. Er lebt von der Frische, mit der Amy Adams und Christoph Waltz diese abwegige Geschichte auf die Leinwand zaubern.

Darüber hinaus taucht Burton den Pinsel ordentlich in die Farbpalette – als ginge es darum, zu beweisen, dass er auch anders kann als seine Geschichten stets mit Pech und Schwefel zu tünchen. Dass er den Ehrgeiz, sich unentwegt neu zu erfinden, nicht verloren hat. Und dass er auch mit einem vergleichsweise bescheidenen Budget attraktives, unterhaltsames Kino machen kann, ohne sich dabei in sonderbaren Schattenwelten oder obskuren Kinderphantasien zu verlieren. Über weite Strecken ist ihm das auch gelungen, vor allem in den Momenten, in denen Big Eyes mehr oder weniger offensichtliche Brücken zu Burtons Anfängen schlägt: die pastellfarbenen Vorstädte, die sowohl an seine Kindheit in Burbank als auch an Edward Scissorhands (1990) erinnern; Walters mitunter gruselig anmutende Art, die nicht von dieser Welt scheint; oder eine so markante wie makabere Szene, in der Margaret im Supermarkt von ihren eigenen Kreationen, einer Schar von Frauen und Kindern mit glotzenden Riesenglupschaugen, eingeholt wird. Aber im Gegensatz zu seinen wunderbaren Hauptdarstellern, denen es gelingt, ihren Figuren deutliche Konturen und Charisma zu verleihen, bleibt  Big Eyes am Ende als merkwürdig anonymes Geschöpf im Universum des außergewöhnlichen Filmkünstlers in Erinnerung.

Herr Waltz, ich muss gestehen, mir war der Skandal, der sich hinter den Bildern von Margaret Keane verbirgt, bisher unbekannt. Wussten Sie bereits, worum es geht, als Tim Burton mit dem Projekt auf Sie zukam?
Nein, mir ging es da ganz ähnlich. Ich kannte zwar die Bilder, aber wenn ich ehrlich bin war das eigentlich Grund genug, mich zunächst nicht weiter damit zu befassen.

Sie sind also kein Fan der Keane’schen Kunst?
Nein, um Himmels willen. Aber das Tolle an dem Film ist ja, dass meine persönliche Meinung hier nichts zur Sache tut. Tim und ich haben lange darüber gesprochen, und er hat mich von vornherein gewarnt. Er meinte, es gebe eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man sei begeistert von den Bildern, oder man lehne sie ab. Daraufhin musste ich ihm dann gestehen, dass auf mich leider die zweite zutrifft. Aber, wie gesagt, es spielt keine Rolle. Und stellen Sie sich einmal vor, es ginge in dem Film nicht um Margaret Keane, sondern um Picasso oder einen anderen Künstler dieses Kalibers. Dann könnte man die Geschichte in der Form, wie Tim es hier getan hat, gar nicht erzählen. Denn dann ginge es automatisch gleich um das große Ganze: das Werk, die Vision des Künstlers und so weiter. Aber hier geht es in erster Linie um die Beziehung zwischen Margaret und Walter, um ihr Verhältnis zueinander und darum, was Erfolg mit einem machen kann. Davon hat mich Tim recht schnell überzeugt, und insofern konnte ich mich letztlich auch mit dieser Art von Kunst, wenn Sie es so nennen wollen, besser arrangieren. Das ist ein bisschen so, als würde man den Schlüssel zu einem Musikstück ändern, und plötzlich ergibt alles Sinn, weil die Dinge ganz einfach zusammenwirken.

Stimmt es, dass Sie jetzt sogar selbst ein Gemälde von Margaret Keane besitzen?
Ja, ich durfte mir ein Bild aus ihrer Sammlung aussuchen.

Für welches Motiv haben Sie sich entschieden?
Es ist ein Gesicht mit vielen Augen, sehr surrealistisch und eigentlich nicht typisch für ihren Stil. Zum Abschied meinte sie zu mir, sie hätte gewusst, dass ich mich dafür entscheiden würde.

In einem Interview hat Margaret geäußert, dass es ein recht traumatisches Erlebnis für sie gewesen sei, als sie den fertigen Film zum ersten Mal zu sehen bekam. Was bedeutet das für Sie, wenn Sie mit einer Rolle derart starke Emotionen in einem Menschen auslöen?
Rein persönlich von Mensch zu Mensch berührt mich so ein Kommentar natürlich schon, aber das hat nichts mit mir oder meiner Arbeit an sich zu tun. Ich bin Schauspieler, kein Biograf oder Anthropologe. Ich bekomme ein Drehbuch in die Hand gedrückt, und damit arbeite ich. Ich versuche lediglich, die Worte zum Leben zu erwecken – mit meiner Darbietung, meiner Körpersprache, meiner äußeren Erscheinung, so, wie es der Regisseur haben will und für seine Zwecke braucht.

Big Eyes beginnt als klassische romantische Komödie, die ins Drama umschlägt und Ihnen gegen Ende sogar Slapstick-Einlagen abverlangt. Fällt es Ihnen leicht, innerhalb einer Rolle zwischen verschiedenen Genres und Stilen zu wechseln?
Genau das hat mich an der Rolle gereizt – ich fand das toll. Mir ist es wichtig, dass sich die verschiedenen Rollen, die man im Laufe einer Karriere spielt, möglichst stark voneinander unterscheiden, und da ist eine Figur, die ein derart breites Charakterspektrum aufzeigt, natürlich besonders spannend. Ich könnte auch immer wieder denselben Film drehen wie das manche Kollegen tun: derselbe Typ in unterschiedlichen Geschichten. Aber das hat mich nie interessiert. Ich wiederhole mich nicht gern in meiner Arbeit.

Biopics erfreuen sich nach wie vor unglaublich großer Beliebtheit in Hollywood. Teilen Sie als Schauspieler diese Euphorie?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich versuche Biopics im klassischen Sinn weitestgehend zu meiden. Ich sehe mich nicht gern in der Verantwortung gegenüber der Person, die porträtiert wird. Ich nehme das sehr ernst. Deshalb war ich sehr froh, dass Big Eyes eben kein gewöhnliches Biopic ist. Der Film basiert auf realen Begebenheiten, aber er würde auch ohne diesen Wahrheitsanspruch auskommen. Die Geschichte wäre genauso spannend, wenn sie frei erfunden wäre, weil ein Thema wie Zuneigung und Abhängigkeit innerhalb einer Beziehung etwas ist, mit dem wir uns alle identifizieren können.

Zwischen Amy Adams und Ihnen entwickelt sich sofort eine bemerkenswerte Chemie, die den Film trägt.
Amy war eine Traumpartnerin für mich, weil wir die Dinge auf ähnliche Weise angehen, das heißt eher praktisch, ohne viel Palaver. Kein Method Acting, kein pseudoakademisches Analysieren von Figuren und Performance oder was es sonst noch gibt. Immerhin geht es doch darum, dass sich der Zuschauer in der Geschichte verliert, nicht darum, wie man das erreicht. Ich persönlich finde es zum Beispiel schwierig, mir Filme im Kino anzuschauen, weil ich zu genau weiß, wie sie gemacht sind. Aber wenn es ein Film schafft, mich trotzdem zu fesseln, und ich alles drum herum vergessen kann, das sind die Momente, die zählen. Das ist doch das Tolle am Kino.

Walter ist eine Art Wolf im Schafspelz, der nach außen den Charmeur mimt, aber ein ziemlich durchtriebener Schurke ist. Im Laufe der Gerichtsverhandlungen wurde bei ihm eine wahnhafte Störung diagnostiziert. Inwieweit haben Sie über ihn als Person recherchiert?
Ehrlich gesagt: so gut wie gar nicht. Denn was hätte ich damit gemacht? Wir haben doch alle eine gewisse Vorstellung davon, was psychoanalytische Ansichten und Verhaltensmuster angeht. Und wie gesagt habe ich großen Respekt vor der Persönlichkeit jedes Einzelnen und wie er sich in der Öffentlichkeit gibt. Davon abgesehen halte ich nichts von der Massenverbreitung quasi aufgezwungener biografischer Details, wie man sie heutzutage in den Medien findet. Das meiste davon ist meiner Meinung nach eher mit Vorsicht zu genießen. Ich habe zum Beispiel einmal versucht, etwas in meiner eigenen Wikipedia-Biografie berichtigen zu lassen, das so, wie es dort stand, überhaupt nicht stimmte. Und so verrückt es klingt, aber ich musste mir dann sagen lassen, dass ich den Eintrag nicht so einfach ändern lassen könne, sondern dass ich konkrete Beweise vorlegen müsse, dass es sich um eine falsche Aussage handelt, und erst wenn ich nachweisen könne, dass die Aussage absichtlich verfälscht wurde, würde man meine Anfrage auf Richtigstellung eventuell in Erwägung ziehen.

Demnächst spielen Sie in Spectre den neuen Bond-Bösewicht. Es scheint, als hätten Sie weiterhin Spaß daran, Ihre dunklen Seiten auszuloten. Oder haben Sie auch manchmal Bedenken, in eine Schublade gesteckt zu werden?
Wenn ich die Dinge aus diesem Blickwinkel betrachten würde, hätte ich sicher meine Bedenken. Aber ich beurteile meine Rollen nicht nach „Fiesling“ oder „Held“, solche Kriterien interessieren mich nicht. Ich suche einfach immer nach neuen Herausforderungen. Die Rolle muss mich ansprechen, dann investiere ich in die Details, aber ich beurteile sie nicht. Wenn Sie im Nachhinein sagen, dass Walter ein Schurke ist, dann kann ich dem nur zustimmen. Aber das ist eine Frage der Wahrnehmung, das hat nichts damit zu tun, wie ich meine Rollen auswähle, welche Figuren ich spiele und warum.

Ihr internationaler Durchbruch kam spät, aber dafür umso eindrucksvoller. Jetzt gehören Sie zum festen Hollywood-Inventar. Was hat Sie am meisten an den Veränderungen, die der Erfolg mit sich bringt, überrascht?
Schwer zu sagen. Natürlich hat sich vieles geändert durch den Erfolg, und ich bin sehr glücklich darüber. Aber ich kenne beide Seiten der Medaille, und die Kehrseite ist wesentlich größer. Aus heutiger Sicht bin ich froh, dass mir das alles nicht mit 25 passiert ist – obwohl ich Ihnen damals sicherlich eine andere Antwort auf die Frage gegeben hätte. Aber in jungen Jahren und mit nur wenig Erfahrung ist es so viel schwieriger, einen klaren Kopf zu bewahren und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mit anderen Worten: Ich bin wirklich sehr dankbar, dass es so ist, wie es ist, weil ich es für sehr wichtig halte, dass man erlebt hat, wie es auch anders laufen kann, und dass man sich immer wieder bewusst vor Augen hält, dass Erfolg nicht von Dauer sein muss, und welche Verantwortung damit zusammenhängt. Andererseits bin ich auch nicht davon ausgegangen, dass sich der Erfolg irgendwann automatisch einstellen würde, wie eine logische Konsequenz, so nach dem Motto: Wer hart arbeitet, wird belohnt. Leider funktioniert das so einfach auch nicht. Trotzdem weiß ich, dass ich auch vorher schon gute Sachen gemacht habe, die wichtig sind und die bleiben.