Konflikte und Krisen waren das dominante Thema bei DOK Leipzig: Krieg in der Ukraine, Flüchtlingskrise, ebenso Folgen von Corona oder Kampf von Minderheiten um ihre Identität
DOK Leipzig gehört zu den ältesten Dokumentarfilmfestivals in Deutschland und hat selbst eine bewegte Geschichte gemeistert. Die 66. Ausgabe präsentierte 225 Filme und XR-Arbeiten aus rund 60 Ländern. Vergangenen Samstag wurden sieben Goldene Tauben, zwei Silberne Tauben und acht Partnerpreise mit insgesamt über 55.000 Euro an Preisgeld vergeben (alle Preise siehe: www.dok-leipzig.de).
Peter Mettler gewinnt Goldene Taube
Im Internationalen Wettbewerb um den besten Langfilm gewann Peter Mettler für seinen persönlichen Essayfilm While the Green Grass Grows. Er reflektiert darin Lebenszyklen und den konstanten Wandel der Welt anhand seiner Erinnerungen und Familienbeziehungen. Die Jury urteilt: „Ein unberechenbarer Film, der das Publikum durch die Qualität seiner Beobachtung alltägliche Ereignisse, Ort und Objekte in einem poetischen neuen Licht sehen lässt.“
Kamera als Beweismittel
Der erfolgreichste Dokumentarfilm war allerdings Einhundertvier von Jonathan Schörnig, der spürbar macht, wie quälend lange es dauert, 104 Flüchtlinge von einem sinkenden Schlauchboot im Mittelmeer zu retten. Der aufwühlende Film gewann die Goldene Taube im Deutschen Wettbewerb sowie drei weitere Preise. Nach Ansicht der Jury zeigt der Film, „was das tägliche Wegschauen bedeutet […] aber auch, dass Hilfe möglich und nötig ist“.
Es gab in Leipzig zahlreiche Produktionen zu sehen, bei denen die Kamera bei Ereignissen direkt dabei war, um sie für die Zukunft festzuhalten. Schon der Eröffnungsfilm White Angel – Das Ende von Marinka von Arndt Ginzel zeigt den Ukrainekrieg aus der Perspektive einer Polizeitruppe, die Menschen, Verwundete und Tote aus der stark umkämpften Stadt Marinka evakuiert. Wassyl, einer der Polizisten hat ihre Einsätze über Monate mit einer Helmkamera dokumentiert – Direct Cinema pur. Aus 40 Stunden Material gestaltete Ginzel diesen Kinofilm, ergänzt um Interviews mit den Beteiligten, die er ein halbes Jahr später drehte. Trotz der umfangreichen TV-Berichterstattung war man dem Krieg und den entsetzlichen Folgen für die Zivilbevölkerung selten so ausgesetzt.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie dokumentiert Nikolaus Geyrhalter in Stillstand, der seine Weltpremiere hatte. Seine Aufnahmen eines menschenleeren Wiens kommen seinem Stil entgegen, Räume in exakt gestalteten Plansequenzen aufzunehmen. Es überrascht, wie viel der Pandemie bereits verdrängt ist. Ein starker und berührender Film, der preiswürdig gewesen wäre.
Identitätssuche
Die Sorben sind eine anerkannte Minderheit in Deutschland und wurden im 20. Jahrhundert marginalisiert. Junge Sorben wollen nun ihre Kultur retten, pflegen, sorbisch sprechen und singen. Grit Lemke gelingt in Bei uns heißt sie Hanka ein berührendes Stück Identitätsfindung.
Mit ganz anderen Problemen kämpfen Aljona, Alika und Katja in Russland. Sie gehören zur Opposition und spüren täglich die Unterdrückung durch den staatlichen Sicherheitsapparat. Silent Sun of Russia der jungen Dänin Sybilla Tuxen zeigt ihren Alltag und ihre Flucht ins Ausland.
Mit bildgewaltiger Ästhetik arbeitet die niederländische Kamerafrau Claire Pijman für den grandiosen Dokfilm The Gate von Jasmin Herold und Michael David Beamish. In der verlassenen Wüste Utahs sucht ein Vater nach seinem Sohn, der während seines Militärdienstes verschwunden ist. Daran rollt der Film die Geschichte einer geheimen Militärbasis auf, auf der schon der Atombombenabwurf auf Hiroshima geplant wurde.
Bilder können lügen
Viele Filme verwendeten historisches Archivmaterial, das sie kunstvoll montierten. Dass Amateurfilme nicht unbedingt die Wirklichkeit zeigen, macht Annika Mayer mit ihrem sehr persönlichen Film Home Sweet Home deutlich. Die privaten Aufnahmen des Großvaters schwelgen in der heilen Welt des Wirtschaftswunders. Ganz anders erinnert sich die Großmutter an die gewalttätige Beziehung zu ihrem Mann. Sie ertrug diese Ehe 23 Jahre, bevor sie sich scheiden ließ.
Beim Archivtag präsentierten sich wieder zahlreiche Archive und es gab spannende Panels. Die Retrospektive war dem Thema „Film und Protest“ gewidmet, filmischen Werken über Volksaufstände im Kalten Krieg. Schließlich ging 1953 auch das Volk in Leipzig auf die Straße.
KI im Dokfilm
Ein sehr aktuelles Panel der AG DOK beschäftigte sich mit „KI zwischen Fakt & Fiction“. Der Schweizer Produzent und Regisseur Samir zeigte am Beispiel seines aktuellen Projektes Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer Szenen, die mit KI erstellt wurden. Es geht dabei um persönliche Erinnerungen seiner Migrationserfahrung, die animiert sein werden. Prof. Dr. Sylvia Rothe, KI- Professorin an der HFF München stellte die vielfältigen Programme vor, die heute schon auf dem Markt sind. In der Diskussion mit MDR-Redakteur Thomas Beyer wurde deutlich, welche Umbrüche im Moment stattfinden und wie schwierig es werden wird, das Vertrauen in das Bewegtbild aufrecht zu erhalten.
Haltung zeigen
DOK Leipzig schlug also wieder einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft. Es erfüllte seinen Anspruch, ein sehr politisches Festival zu sein. So betonte betonte Festivalleiter Christoph Terhechte schon bei der Eröffnung, dass es bei der Filmauswahl nicht auf die Herkunft der Filmschaffenden ankomme, sondern auf die Haltung, die in ihren Filmen zum Ausdruck kommt.