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Birdman

Flying High

| Pamela Jahn |
Unterm Strich zähl’ ich: Alejandro González Iñárritus wunderbar kluge, Oscar-favorisierte Tragikomödie „Birdman“. Titelheld Michael Keaton im Gespräch.

Es gibt Filme, die sieht man am liebsten gleich zweimal. Manchmal, weil man angesichts der Komplexität und des Ideenreichtums, der in ihnen steckt, fürchtet, einige wichtige Details verpasst zu haben. Oder aber, weil sie einem beim ersten Sichten mit einer Virtuosität an den Kopf fahren, die so bezwingend ist wie famos. Wenn es sich um Filme handelt, die wesentlich sind und klug, visuell raffiniert und emotional einnehmend, absurd und spektakulär. Alejandro González Iñárritus Birdman, der es durchaus verdient, beim vollen Titel Birdman (or The Unexpected Virtue of Ignorance) genannt zu werden, ist von all dem alles und immer noch ein bisschen mehr. Denn ein Film, in so fragile wie Klischee-egomane Künstler und Könner zwei Stunden lang miteinander reden und streiten, einander gegenseitig trösten und verletzen, sich entblößen und nicht entblöden, der geht, gelinde gesagt, ein gewisses Risiko ein. Eigentlich kann er nur bodenlos scheitern. Oder grandios gelingen. So wie Iñárritus bewundernswerter Film, der obendrein die schöne Gelegenheit bietet, den großen Komödianten Michael Keaton in lange vermisster Höchstform auf der Leinwand zu erleben.

Fünfundzwanzig Jahre nach seinem immensen Erfolg als Batman spielt Keaton hier einen abgehalfterten Hollywoodstar und Comic-Kino-Helden namens Riggan Thomson, der sich in einer ungesunden Mischung aus Verzweiflung und Größenwahn in den Kopf gesetzt hat, ein Theaterstück auf der Grundlage einer selbstadaptierten und -inszenierten Raymond-Carver-Vorlage am Broadway zu stemmen. Dabei zur Seite steht ihm ein Ensemble angeknackster Charaktere, die insgeheim hoffen, auf den gerupften Federn des ehemaligen Birdman-Superhelden zu neuen Höhen aufzuschwingen, oder zumindest den letzten Funken Selbstachtung zu wahren, den ihnen die Kunst wie das Leben zu rauben sucht: Allen voran Zach Galifianakis als Riggans rechte (und linke) Hand Jake und Edward Nortons besserwisserischer  Method-Acting-Chauvi Mike Shiner, der es sich im Lauf des Films mit der zart besaiteten Broadway-Debütantin Lesley (Naomi Watts) verscherzt, die allein bei Riggans Freundin Laura (Andrea Riseborough) Trost findet. Bleibt Emma Stone als Riggans leibliche Tochter und – zwangsweise – persönliche Assistentin, die von allen noch den größten Durchblick hat, aber nichts von allem wissen will, am wenigsten von ihrem selbstmitleidigen Vater.

Die Probleme, die Spannungen und die Zweifel, die Riggans Vorhaben mit sich bringt, sind programmiert. Was den Film so beeindruckend macht, sind die brillanten Schauspielduelle, und die wendige, sich raffiniert und hartnäckig durch die engen Korridore, Bühnen- und Proberäume schlängelnde Kamera von Emmanuel Lubezki, die im Einklang mit dem unentwegt trommelnden Rhythmus des derben Jazz-Soundtracks (Antonio Sanchez) die Fiebrigkeit der ruhelosen Protagonisten bildlich greifbar macht. Birdman ist eine irre, ausgeklügelt inszenierte Tragödie, ein bitterer Abgesang auf das Showbiz, welcher sich über weite Strecken als Komödie ausgibt. Doch immer wieder kippt der Spaß ins Panische, ins Tieftraurige sogar, bis es unvermeidlich tragisch wird, weil es eben keine Alternative gibt zum komischen Ernst des Lebens. Aber wenn Birdman am Ende abhebt, kommt er dem Versuch zumindest verdammt nah.

 


Interview mit Michael Keaton


Sie spielen in Birdman einen Ex-Hollywoodstar, der ein Comeback als Bühnenkünstler probiert. Das klingt zunächst wenig originell, aber wer den Film sieht, ist schnell begeistert. Wie ging es Ihnen, als Sie das Drehbuch zum ersten Mal gelesen hatten?

Michael Keaton: Wer Alejandros Filme kennt, hat als Schauspieler ja schon eine gewisse Vorstellung davon, worauf er sich einlässt. Bei ihm hat man es mit einem wahren Künstler zu tun, obwohl solche Begriffe wie Künstler oder Genie heutzutage ziemlich überbeansprucht werden. Aber machen wir uns nichts vor, alle Schauspieler, zumindest die, die ich kenne, wollen gern mit großartigen Regisseuren arbeiten. Und da ich Alejandros frühere Filme bereits kannte, hätte das Drehbuch wirklich grauenhaft sein müssen, dass ich abgelehnt hätte. Aber es war großartig. Als Alejandro mir das Skript in die Hand gab, erklärte er mir ziemlich ausführlich, wie er sich das Ganze vorstellte, wie er drehen wollte, was der Film für ihn bedeutet. Damals dachte ich nur: Wow, okay! Dann bin ich nach Hause und habe das Drehbuch in einem Stück durchgelesen, wobei mir gleichzeitig all die Dinge durch den Kopf gingen, die mir Alejandro kurz zuvor gesagt hatte. Am Ende stand für mich fest: Das ist was Besonderes – und das wird ganz sicher kein Kinderspiel.

Hatten Sie Bedenken, wie das praktisch funktionieren sollte, dass der Film am Ende aussieht, als sei er in einem einzigen Take gedreht?
Michael Keaton: Ja und nein. Wenn etwas kompliziert ist, bedeutet es ja nicht, dass es schlecht ist, sondern spannend. Ich mag es selbst, wenn etwas schwierig ist und mehr als nur herausfordernd. Dass Riggan Thomson eine meiner bislang schwierigsten Rollen ist, hat mich nicht davon abgehalten, sie zu spielen. Das ist vielleicht so ähnlich wie bei Hochleistungssportlern, für die wird es ja auch nie leichter. Viele fangen schon als Kinder an, kämpfen sich schnell nach oben, und dann wird‘s mühsam. Denn je höher man aufsteigt und je älter man wird, umso schwieriger wird es mitzuhalten. Aber ich hatte keine Angst vor der Aufgabe. Mich hat das gereizt, die Kompliziertheit, die darin steckt.

Es gibt eine Szene im Film, das laufen Sie nur in Unterhosen abends über den Time Square …
Michael Keaton: Zugegeben, das war wirklich nicht einfach.

Vor allem, wenn man es wie bei Iñárritu mit jemandem zu tun hat, der gern alles bis ins kleinste Detail kontrolliert.
Michael Keaton: Oh ja! Das mag ja alles ganz ungestellt aussehen, aber selbst diese Szene war komplett durchgeplant und choreographiert, so wie alles andere. Natürlich kann man bei solchen Außenaufnahmen nicht verhindern, dass Passanten ins Bild laufen, dass Leute stehenbleiben und zuschauen und so weiter. Wir haben das Ganze also auch ein paar Mal drehen müssen. So spontan und zufällig wie es wirkt, war es jedenfalls nicht.

Hatten Sie Spielraum für eigene Ideen und Improvisationen, um die Rolle für sich zu entwickeln?
Michael Keaton: Um genau zu sein: gar keinen. Null. Im Gegenteil. Angesichts der Art, wie der Film gedreht werden sollte, mussten wir unseren Text schon sehr früh ganz genau kennen. Denn die Kameras waren auch bei den Proben schon mit dabei und deshalb war es wichtig, dass jeder auf Anhieb wusste, wo er einsetzen muss, für den Fall, dass die Kamera plötzlich auf einen umschwenkt. Und man kann sich das kaum vorstellen, aber  Emmanuel Lubezki, der Kameramann, ist vielleicht sogar noch ein Stück perfektionistischer als Alejandro. Die beiden zusammen können einen schon zum Wahnsinn treiben – aber im besten Sinn des Wortes, weil sie einfach so gut sind. Es gibt zum Beispiel auch Szenen im Film, darin finde mich persönlich nicht gut, weil ich weiß, es gab andere Aufnahmen, da war ich besser. Aber alles in allem war das eben die Version, die an der Stelle und im Zusammenspiel mit dem, was davor und danach kommt, am besten passte. Also, um auf ihre Frage zurückzukommen: Es gab für uns Darsteller eigentlich keinen Raum zum Improvisieren, bis auf ein, zwei kleine Momente, in denen Zach Galifianakis und ich notgedrungen erfinderisch seien mussten, weil wir sonst die Szene verpatzt hätten.

Welche Szene war das?
Michael Keaton: Die Szene, in der Zach und ich uns auf dem Flur unterhalten. Oder besser gesagt, er brüllt mich an und dabei kommen ihm fast die Tränen, weil er so unter Stress steht. Das ist einerseits berührend, aber auch ziemlich komisch. Und in einem der Takes sagt er plötzlich im Weggehen: „Dein Hosenstall ist offen.“ Darauf war ich nicht vorbereitet, aber ich konnte ja auch nicht lachen, weil das die ganze Szene ruiniert hätte. Also habe ich einfach die Realität gespielt und nach unten geschaut, um zu kontrollieren, ob mein Reißverschluss tatsächlich offen stand, weil Riggan, so unsicher wie er ist, das in dem Moment auch getan hätte. Alejandro fand die Idee gut, aber das hieß natürlich auch, dass wir die Szene in jeder weiteren Aufnahme wieder genauso beenden mussten.

Sie haben in Interviews mehrfach betont, dass Ihre Figur, Riggan Thomson, und Michael Keaton, der Schauspieler, sich im Grunde nicht mehr voneinander unterscheiden könnten. Wie gehen Sie persönlich mit Niederlagen um? Wie man sieht, hat Riggan damit seine Schwierigkeiten.
Michael Keaton: Das kann man wohl sagen. Was konkret die Parallelen oder Unterschiede zwischen Riggan und mir angeht, das meine ich auch so, wie ich es gesagt habe. Aber ganz ehrlich: Ich denke darüber nicht so viel nach, wie alle denken. Ich glaube, andere Leute denken mehr darüber nach, wie viel ich darüber nachdenke, als ich selbst. Klar geht’s mir auch mal schlecht. Klar habe ich auch Fehler gemacht und Niederlagen einstecken müssen. Aber das ist doch menschlich. Deshalb haben Riggan und ich noch lange nicht die gleiche Persönlichkeit. Und darum geht es ja auch gar nicht. Das Spannende ist doch, dass der Film – wie Alejandros Filme immer – auf ein größeres Ganzes zielt. Da geht es um universelle Themen und Fragen: Wie geht man mit dem eigenen Ego um? Mit den Lügen, die es uns erzählt? Und mit den Wahrheiten? Die Antworten darauf kenne ich auch nicht. Aber ich verschwende nicht halb so viel Zeit und Energie wie Riggan damit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was die Leute von mir denken. Ein wenig narzisstisch sind wir alle und das ist auch gut so. Aber derart ichbezogen zu sein, wäre mir definitiv zu anstrengend. Dafür bin ich viel zu faul. Außerdem bin ich von Natur aus sehr unabhängig und will mich nicht darauf verlassen müssen, wie andere Leute darüber urteilen, ob ich gut oder schlecht bin. Das kann ich auch ganz gut selbst einschätzen.

Wo steckt ihr Ego, wenn Sie vor der Kamera stehen?
Michael Keaton: Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich stolz sein will auf meine Arbeit, dass ich einen guten Job machen will. Das Einzige, was ich mir zugute halte, ist, dass ich mutig bin. Dass muss man auch sein, sonst blickt man irgendwann auf sein Leben zurück und ärgert sich, dass man dieses oder jenes nicht ausprobiert hat. Ich weiß natürlich auch, dass ich ziemliches Glück hatte, schon früh in meiner Karriere großartige Chancen zu bekommen, wenn auch nicht ohne Risiko. Der erste Batman zum Beispiel, das war eine halsbrecherische Angelegenheit. Wenn das schief gegangen wäre, wäre ich baden gegangen. Aber nicht nur ich: Tim Burton, Jack Nicholson, wir alle hätten verdammt blöd dagestanden. Tatsache ist aber, dass es funktioniert hat, ziemlich gut sogar. Deshalb habe mich mir immer gesagt: Sei kein Feigling, trau dich! Und damit bin ich eigentlich immer ganz gut gefahren.

Sie haben allerdings recht früh in Ihrer Karriere auch einige Rollen in Filmen abgelehnt, die dann zu Kassenschlagern wurden.
Michael Keaton: Nicht wirklich.

Splash zum Beispiel?
Michael Keaton: Ja gut, da haben Sie recht.

Stakeout?
Michael Keaton: Okay! Man muss aber auch dazu sagen, dass ich damals gerade Vater geworden war und mich auf meine Familie konzentrieren wollte. Ich habe das sehr genossen. Nichtsdestoweniger war es wahrscheinlich ein Stück weit auch meine eigene Dummheit, die Rollen nicht anzunehmen.

Haben Sie selbst auch mal am Theater gespielt?
Michael Keaton: Ganz wenig, während des Studiums. Theater hat mich interessiert, aber es war nie meine Leidenschaft. Ich hatte bei ein paar Stücken mitgespielt und bin dann eine Zeit lang mit einer kleinen Theatergruppe aufgetreten. Dann wollte ich nach New York, um dort als Schauspieler zu arbeiten, aber mich haben auch das Schreiben und Comedy immer begeistert. Am Ende bin ich ziemlich spontan nach Los Angeles gezogen, weil mir ein guter Freund dazu geraten hatte. Aber wäre ich tatsächlich nach New York gegangen, hätte ich sicher auch mehr Theater gespielt.

Sie sind mehrfach als Stand-Up-Comedian aufgetreten.
Michael Keaton: Ja, und ich glaube, das war mit das Klügste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Ich bin unheimlich fasziniert von der Kunst, die dahinter steckt. Die Leute glauben ja gar nicht, wie schwer es ist, als Stand-Up richtig gut zu sein, und zwar jeden Abend aufs Neue. Aber das ist ein Thema für sich.

In Birdman kriegen unter anderem auch die Kritiker ihr Fett weg. Aber es scheint, als scheren Sie sich wenig darum, was im Nachhinein über Ihre Arbeit geschrieben wird.
Michael Keaton: Richtig. Ich bin da ganz praktisch. Wenn jemand mich anruft und sagt: „Ich habe gerade eine super Kritik gelesen. Willst du sie sehen?“, da sage ich natürlich nicht nein. Aber davon abgesehen lese ich kaum Kritiken, wenn ich es vermeiden kann. Damit bin ich bislang immer ganz gut gefahren.