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Black Mass

Wenn die Stunde schlägt

| Pamela Jahn |
Scott Coopers Gangsterporträt „Black Mass“ erzählt die Geschichte der brutalen Karriere von James Bulger. Johnny Depp hat sich für die Hauptrolle ordentlich in Schale geworfen und macht eine überraschend überzeugende Figur als Mafioso im krummen Spiel mit dem FBI.

Es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen die ein Treffen mit Johnny Depp unter vier Augen ausschlagen würden. Einer, der die Anfrage von Seiten des Schauspielers „höflich ablehnte“ ist James „Whitey“ Bulger, besser bekannt als der „Pate von Boston“, der in den siebziger und achtziger Jahren zum mächtigsten Gangster seiner Heimatstadt avancierte. Nach 16 Jahren auf der Flucht war Bulger im Juni 2011 in Kalifornien festgenommen worden, als gut betuchter Mafioso-Pensionär. Am Ende des darauf folgenden Sensationsprozesses wurde er in insgesamt elf von neunzehn (bekannten) Fällen des Mordes für schuldig befunden und daraufhin zu einer Haftstrafe von zweimal lebenslänglich plus fünf Jahren verurteilt, die der heute 86-Jährige gegenwärtig in einem Hochsicherheitstrakt in Florida absitzt. Die Tatsache, dass er in seinen Zeiten als aktiver Mobster  und Anführer der berüchtigten Bostoner „Winter Hill Gang“ nebenbei FBI-Informant war und dafür im Gegenzug für seine eigenen kriminellen Machenschaften freie Bahn bekam, weist Bulger bis heute vehement zurück. Kein Wunder also, dass er weder von der Buchvorlage „Black Mass: The True Story of an Unholy Alliance Between the FBI and the Irish Mob“ der Boston Globe-Journalisten Dick Lehr und Gerard O’Neill begeistert war, geschweige denn von der jetzt vorliegenden Leinwandadaption unter der Regie von Scott Cooper (Crazy Heart, Out of the Furnace). Dem Film beziehungsweise Johnny Depps Darstellung des stählernen Unterweltbosses tut Bulgers mangelndes Interesse letztlich jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil. Hinter den großen Klassikern, die Hollywoods Faszination mit dem True-Crime-Genre über die letzten Jahrzehnte hervorgebracht hat, braucht Black Mass sich keineswegs zu verstecken.

Natürlich steht und fällt ein Gangsterporträt wie dieses, das mit seinen gegensätzlichen Charakteren, handfesten Konflikten und überraschenden Wendungen wie geschaffen ist für einen filmischen Erzählstoff, einzig und allein  mit seiner charismatischen Hauptfigur. Johnny Depps körperliche Verwandlung in den Süd-Bostoner Mafioso mit gepflegter Halbglatze, stahlblauen Adleraugen und einer markant düsteren Stimme wie der von Ray Liotta in Goodfellas hat etwas zutiefst Verstörendes: das Gesicht zur eisernen Maske erstarrt, die Hosen immer einen Tick zu eng, der Tonfall konstatierend und monoton, wie es sich für einen mit allen Wassern gewaschenen Soziopathen gehört – keine lächerliche, sondern eine bizarre Figur, von der eine ständige Bedrohung ausgeht. Die Virtuosität liegt jedoch wie so oft in den kleinen Gesten – wie er seine riesige Sonnenbrille zurechtrückt oder sein aalglattes, blondiertes Haar zurechtstreicht. Manchmal, für den Bruchteil einer Sekunde, scheint es fast, als leide er darunter, der Unmensch zu sein, zu dem er geworden ist, und Cooper versäumt es nicht, in klug positionierten Szenen auch den liebevollen Sohn und fürsorglichen Vater hinter dem Monster zum Vorschein zu bringen. Denn auch wenn Depp den Gangsterboss als stilsicheren, keine Widerworte duldenden, von sich selbst überzeugten Patriarchen spielt – sein Charisma verdankt er nicht zuletzt der Bedürftigkeit derer, die sich von der Erotik seiner Macht betören lassen.  Depp spielt all dies mit sichtbarem Vergnügen; konzentriert, mit subtiler Ironie, auch der Figur selbst gegenüber, und liefert damit zugleich einen so radikalen wie willkommenen Gegenentwurf zu den überkandidelten Charakteren und schauspielerischen Fehltritten, die das ohnehin angekratzte Image des Hollywood-Stars in den vergangenen Jahren erheblich ramponierten.

Fatale Allianzen

Um den brutalen Fakten seiner wahren, wenngleich unglaublichen Geschichte Herr zu werden, konzentriert sich Cooper auf drei Schlüsselmomente in Bulgers Karriere. Wir schreiben zunächst das Jahr 1975, den Zeitpunkt also, als es dem aufgeweckten Nachkommen  irischer Einwanderer gelingt, sich innerhalb der berüchtigten „Winter Hill Gang“, der irisch-italienischen  Mafia in Bostons „Southie“ Nachbarschaft, zu etablieren, bevor er drei Jahre später zum Kopf der Bande aufsteigen soll. Bulgers Ambitionen sind groß und decken sich fatal mit denen des soeben in seine alte Heimat zurückgekehrten FBI-Agenten John Connolly (Joel Edgerton), der damit beauftragt wird, die schärfsten Gegner der Hill Gang, die Angiulo Brüder und deren Verbündete hochzunehmen. Allerdings ahnt Connolly nicht, welchen Schneeball er ins Rollen bringt, als er Bulger, seinem alten Freund aus Kindheitstagen, anbietet, in dieser Angelegenheit mit dem FBI zu kooperieren, um im Austausch gegen Informationen de facto seine eigenen Immunität zu wahren.

An dieser Prämisse hängt der Plot von Black Mass, einem modernen Genre-Klassiker, den Cooper basierend auf dem Drehbuch von Mark Mallouk und Jez Butterworth in stilvollem Siebziger-Jahre-Ambiente inszeniert. Und er fügt dem Ganzen noch einen weiteren Dreh hinzu: Was Connolly und Bulger verbindet sind nicht nur die Erinnerungen aus dem Sandkasten, sondern vielmehr eine tiefe Loyalität, die den Southie-Kids quasi in die Wiege gelegt wurde und die auch Billy Bulger (Benedict Cumberbatch), der es immerhin bis zum Senator gebracht hat, nicht abschütteln kann, ganz gleich in welche Machenschaften sein grenzwertig-psychopathischer großer Bruder auch verstrickt sein mag. Blut ist eben immer noch dicker als Wasser und darauf setzt auch Cooper in der Art und Weise, wie er die Dynamik zwischen Connolly und den Bulger-Brüdern im Verlauf der Handlung zu balancieren versteht. Je vertrackter sich das fragwürdige Bündnis zwischen dem vermeintlichen Informanten und seinem offiziellen Komplizen gestaltet, umso deutlicher wird, wie die Grenzen zwischen Gesetz und Verbrechen immer mehr verschwimmen, bis auch Connolly selbst dem verführerischen Charme des dekadenten Gangsterlebens nicht mehr widerstehen kann. Spätestens in dem Moment wird klar, dass die Krux der Geschichte, die uns Cooper in Black Mass präsentieren will, weniger die vom Aufstieg und Fall eines der größten Mafiosos alles Zeiten ist, als die vom leisen Untergang eines moralisch schwachen Gesetzeshüters, der sich allzu leicht führen und verführen lässt.

Tatsächlich hat Cooper, der bereits in seinen früheren Regiearbeiten ein Händchen dafür bewies, Schauspieler gegen die Erwartungen zu besetzen, vieles richtig gemacht in seinem Film. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass irgendetwas fehlt, oder anders gesagt: dass hier etwas zu dick aufgetragen wurde. Tatsächlich ist es das Make-up von Johnny Depp, das ihn nicht nur furchteinflößend, sondern bisweilen unglaubwürdig macht. Depp selbst hat sich der Herausforderung seiner ersten ernsten Rolle seit Donny Brasco (1997) dennoch gerne gestellt. „I always wanted to be a character actor rather than the poster boy that they tried to make me 100 years ago,” verkündete er unlängst in Venedig, wo Black Mass im Rahmen der Filmfestspiele seine Weltpremiere feierte. „It’s important to test yourself each time, to take the risk you might fall flat on your face and look a complete ass.”  Cooper wusste an anderer Stelle zu ergänzen, dass viele der Crew-Mitglieder am Set aus Boston stammten und in Depp sogar den echten Whitey wiederzuerkennen glaubten, wie ein Geist aus der Vergangenheit. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, nur für den Film hätte etwas weniger Make-up und mehr Johnny Depp der Sache am Ende vielleicht besser getan.

Unterhaltsam und filmisch in vielem hervorragend, bleibt Black Mass in seiner eigenen, bisweilen arg konventionellen Kunstfertigkeit gefesselt: Bulgers wahre Identität beziehungsweise auch nur ansatzweise Hinweise auf das Psychogramm seiner Persönlichkeit bleiben hinter Depps Maske sowie einer Aneinanderreihung beindruckend inszenierter Set-Pieces verborgen, die dem Film seine klassische Old-School-Aura verleihen. Statt düsterer Charakterstudie setzt Cooper auf einen visuellen Rausch, der einen von Szene zu Szene mitreißt, oft ein- und übergeleitet von Tom Holckenborgs eindringlichem orchestralem Score.  Das Ensemble dagegen, und das ist die eigentliche Stärke von Black Mass, lässt eine unbändige Freude am Spiel mit den Täuschungen und Machtverteilungen spüren. Vor allem Edgerton ist exzellent als Depps Gegenpart, denn er versteht es, in genau den richtigen Momenten gegen dessen mitunter exzessive Leinwandpräsenz anzuspielen. Aber auch Kevin Bacon, Peter Sarsgaard, Rory Cochrane und Jesse Plemons in den Nebenrollen stehen durchaus ihren Mann.

Einer der kleinsten großen Momente des Films spielt sich im Morgengrauen ab, als Bulger, gerade von der üblichen „Nachtschicht“ heimgekommen, gegen seine gewiefte Mutter (Mary Klug) beim Poker verliert, während Billy sich in der Küche um das Frühstück kümmert. In Erinnerung bleiben auch die Szenen, in denen Bulgers enge Beziehung zu seinem Sohn angedeutet wird, bis der viel zu früh an den Folgen eines hohen Fiebers stirbt.  Die Schrecken darüber sieht man Depp ausnahmsweise bis hinter die blau getünchten Kontaktlinsen an, das macht ihn groß, verletzlich und menschlich. Doch ehe man es sich versieht, ist der unangefochtene Meister des Überspielens wieder ganz in seinem Element und so wird Black Mass zumindest auch darin seinem Sujet gerecht, dass er sein Publikum stets auf Distanz hält. Anders hätte wohl auch James „Witey“ Bulger nie die brutale Karriere gemacht, die er hatte.