ray Filmmagazin » Themen » Nullen und Einsen und volles Rohr Radau

Blackhat

Nullen und Einsen und volles Rohr Radau

| Alexandra Seitz |
Von der Hutmode und anderen schicken Dingen: „Blackhat“ von Michael Mann, ein sehenswert daneben gehender Thriller über globalisierte Cyberkriminalität und vernetzte Gegenwehr.

Computerkriminalität spannend ins Bild zu setzen ist keine einfache Aufgabe. An der Oberfläche: Tastaturen und Bildschirme, Festplatten, Server und Kabelsalat. Dahinter: Nullen und Einsen. Alles digital, alles virtuell. Was soll schon aufregend daran sein, wenn einer mit Schmackes auf die „Enter“-Taste haut?

Zu Beginn von Michael Manns Blackhat geschieht eben dies, dann saust ein Licht durch mikroskopische Prozessorlandschaften wie das Feuer einer Zündschnur und am Ende explodiert ein chinesisches Atomkraftwerk. Das ist also kein Sack Reis, der da umfällt, und dementsprechend groß der ausgelöste Aufruhr.

Nicht viel später befindet man sich auch schon inmitten einer Story, die James Bond zur Ehre gereichen würde; das Atomkraftwerk war – wen wundert’s? – lediglich der Anfang, Börsenkurse geraten ins Visier, Gewinne werden eingestrichen, Unsummen transferiert. Aus welchem Grund? Zu welchem Zweck? Alsbald holt das bläuliche Bildschirmlicht der Aufklärung global vernetzte Bösewichter, Strohmänner und Strippenzieher aus dem finsteren Schatten der Morallosigkeit.

Zugegeben, es wird viel in Computer gestarrt und programmiert, mit Smartphones hantiert und per GPS geortet – allerdings von der sehr ansehnlichen Paarung Chris Hemsworth als großer, starker Hacker Nick Hathaway und Wei Tang als zierliche, hübsche Netzwerkspezialistin Chen Lien. Und immer dann, wenn einem die beiden ein wenig zu viel werden, weil sie eigentlich ein wenig zu wenig sind, oder immer dann, wenn die Abläufe in den Blackboxes den Horizont zu übersteigen drohen, besinnt sich Michael Mann auf den reizvollen Kontrast. Dann kracht es im Gebälk, donnern Projektile aus großkalibrigen Waffen, sterben Handlanger den kollateralen Tod, gerät die anonyme Masse ins Kreuzfeuer.

Anhand des schwarzen Hutes, den sie trugen, ließen sich in den Western filmgeschichtlicher Frühzeit die Schurken von den weiß behüteten Gesetzestreuen unterscheiden; neuerdings bezeichnet „Blackhat“ einen Hacker, der mit krimineller Absicht in Netzwerke eindringt, gleich ob er dieses dann zerstört, beschädigt oder sich (zunächst) mit dem Machtgefühl der erlangten Kontrolle zufrieden gibt. Die eingeschleuste Malware mag mitunter jahrelang auf ihren Einsatz warten – wie im vorliegenden Fall, in dem ein von Elite-Hackern geschriebenes Patch von einem anderen entdeckt und genutzt wird, mit oben erwähnten Folgen.

Doch kein Dunkel ohne Licht, und also ist mit dem Auftauchen weißer Hüte immer und überall zu rechnen. Die vergleichsweise leichte Angreifbarkeit eines Systems aus Nullen und Einsen, das wiederum an nationale Interessen gekoppelt ist, die bekanntlich jederzeit und allerorten bedroht sind, sein könnten oder möglicherweise werden, führt zur Aufrüstung. Zur Erweiterung des Kriegsschauplatzes, wenn man so will: wo ein Blackhat Hacker, da alsbald auch ein Whitehat Hacker.

Auftritt Computerspezialist Chen Dawai, Bruder der zierlichen Netzwerkspezialistin, in den USA ausgebildeter Hauptmann der chinesischen Volksarmee und beauftragt mit der Untersuchung des Anschlags. Ein Blick genügt und er realisiert, dass das kriminell genutzte Patch, ein RAT (Remote Access Tool), auf seinem eigenen Mist gewachsen ist. Genauer, auf seinem und dem seines guten Freundes und Studienkollegen am MIT, genau: Hacker Nick. Nur hat der dummerweise den schwarzen Hut aufgesetzt, sich erwischen lassen und sitzt nun in den USA im Knast.

Dieser Umstand wiederum macht jene von beiden Seiten nur äußerst ungern eingegangene Zusammenarbeit zwischen chinesischen und US-amerikanischen Behörden notwendig, die die Handlung von Blackhat voran treibt. Denn dem global operierenden Verbrechen ist nur mittels gemeinsamer Anstrengung beizukommen, das ist zwar klar wie Kloßbrühe, kann aber trotzdem nicht oft genug gesagt werden; und wenn es bei der Gelegenheit auch noch zu einer der Völkerverständigung wie dem menschlichen Genpool überaus dienlichen Paarung zweier bildhübscher Masterminds kommt, umso besser.

Das Banale und das Komplexe, sie liegen in Manns aktuellem Werk nicht nur nahe beieinander, sie kommen auch des Öfteren zur Deckungsgleiche. So ambitioniert das Drehbuch von Morgan Davis Foehl in seinem Versuch, der Fragilität unserer computerisierten Gegenwart gerecht zu werden, auch scheinen mag, so konventionell wirkt, zumindest im Kontext von Manns bisherigem Œuvre, dem Blackhat nichts zwingend Neues hinzufügt, dessen inszenatorische Umsetzung. Freilich, das ist Jammern auf hohem Niveau, ändert aber eben auch nichts an der Tatsache, dass es Mann nicht wirklich gelingt, jenes Zittern am Abgrund zu vermitteln, das den Status Quo der turbokapitalistischen Gesellschaften definiert.

Das Entsetzen, auf das die Geschichte hinaus laufen will, der Schrecken darüber, dass ein Einzelner die Möglichkeit hat, via Manipulation an Nullen und Einsen nicht nur Wirtschaftssysteme zum Einsturz zu bringen, sondern das Weichbild eines Landstrichs zu verändern und die dort lebende Bevölkerung auszuradieren – es teilt sich nicht mit. Die moderne Zivilisationen prägenden Strukturen – Überwachung und Kontrolle, Paranoia und Alarmismus – bleiben illustrativ. Die trügerische Sicherheit, in der wir alle uns jeden Tag wiegen, sie wird immer wieder sichtbar, doch in ihren Grundfesten erschüttert wird sie nicht. Woran liegt das?

Mann stellt sich sozusagen selbst ein Bein. Mit geradezu verbotener filmemacherischer Lässigkeit demonstriert er seine Souveränität im Umgang mit dem vielschichtigen Stoff. Cool bis dort hinaus zeigt er seine Könnerschaft im Schaffen sinnlicher Bildtexturen. Im Inneren eines Computers sieht es aus wie im Tron-Remake, und im Inneren eines Gefängnisses hat die Zukunft bereits begonnen. Raubkatzengleich elegant fließt die von Stuart Dryburgh geführte Kamera von Schauplatz zu Schauplatz – China, USA, Malaysia, Indonesien, Wherever – und vergisst nie, auch ein wenig Lokalkolorit aufzunehmen. Man kann gar nicht genug bekommen von der Brillanz und Dynamik dieser Bilder, von den Nahaufnahmen der Gesichter, den beiläufig eingefangenen Details, der vermeintlichen Flüchtigkeit des Blicks, in dem doch sorgsame Planung steckt. Da schaut man also und sieht hier die teure Sonnenbrille und den schicken Anzug, dort die Submachine-Gun und das aus der Trainingshose hängende Labbershirt. Hier die hübschen Menschen, hier die eher hässlichen, die einen tragen weiße, die anderen schwarze Hüte. Posen, Gesten, Symbole und Metaphern. Alles schön und gut, aber auch kalt und glatt. Wären da nicht Viola Davis, die als FBI-Agentin Carol Barrett die Mission koordiniert, und Ritchie Coster, der als Söldner Kassar für die Feuergefechte zuständig ist, Blackhat bliebe eine Blackbox ohne Herz. Doch Davis und Coster gelingt es, einen Virus ins Programm zu schleusen, eine alte analoge Technik, gegen die noch kein digitales Kraut gewachsen ist. Sie heißt Figurencharakterisierung, baut auf Mitgefühl und Interesse auf, setzt emotionales Gewicht gegen bleierne Artifizialität.