Bobby – Vorwahlkampf

Vorwahlkampf

| Jörg Schiffauer |

Mit „Bobby“ formuliert Emilio Estevez seine Erinnerung an Robert Kennedy als Kommentar zur aktuellen US-Politik.

Der 4. Juni 1968 hätte ein glanzvoller Tag in der Geschichte des Hotels Ambassador werden sollen. Nachdem er die kalifornischen Vorwahlen der Demokratischen Partei überlegen für sich entschieden hatte und damit als aussichtsreicher Anwärter für das Amt des US-Präsidenten galt, hielt Robert Kennedy seine abschließende Rede im Ballsaal des Ambassador. Doch bekanntlich nahm die Weltgeschichte einen anderen Verlauf: Bobby Kennedy fiel auf dem Weg zu seinen Räumlichkeiten in der Küche des Hotels einem Attentat zum Opfer. So wurde dem Mythos um die Tragödien der Kennedy-Familie ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

Von Vietnam bis Irak

Der Mordanschlag wird im Film erst ganz am Schluss ins Bild gerückt werden, wie überhaupt Robert Kennedy, entgegen etwaigen durch den Titel geweckten Erwartungen, von einigen dokumentarischen Aufnahmen abgesehen, nur selten zu sehen ist. Es sind vielmehr 22 gar unterschiedliche Charaktere, deren Wege sich im Verlauf jenes 4. Juni im Ambassador zufällig kreuzen und die dabei mit allerlei Problemen konfrontiert werden, die ein zunächst höchst normaler Alltag eben so mit sich bringt. Estevez‘ Inszenierung lässt diese Vielzahl nur lose miteinander verbundener Handlungsfäden in einer ganzen Reihe kleiner Episoden ablaufen, die wie eine Art von Panorama die Um- und Aufbruchstimmung der 68er-Epoche widerspiegeln soll. Wenig überraschend daher, dass neben diversen Beziehungs- und Sinnkrisen etliche dieser Episoden um den Themenkomplex Vietnam kreisen. Wobei Regisseur und Drehbuchautor Emilio Estevez keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass die Anti-Kriegsstimmung stellvertretend und nur wenig camoufliert für die derzeitige heftige Kritik am Irak-Krieg steht. Denn natürlich wecken Bilder von mit der US-Flagge drapierten Särgen gefallener Soldaten höchst aktuelle Assoziationen, und selbstverständlich weist die Episode des jungen Mädchens Diane (Lindsay Lohan), die ihren Schulfreund nur deshalb heiraten möchte, um ihm die sofortige Versetzung nach Vietnam zu ersparen, nur all zu deutlich auf die mittlerweile hohe Zahl an Todesopfern der amerikanischen Truppen im Irak und der daraus resultierenden wachsenden Sorge in der Bevölkerung hin.

Auch die in der gegenwärtigen US-Außenpolitik vermehrt auftretende Arroganz (wie sie deutlich durch den ehemaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld repräsentiert wurde) gegenüber dem vermeintlichen „Rest der Welt“  bleibt da nicht von Estevez‘ indirekt vorgetragener, aber dennoch deutlich formulierter Kritik verschont. So werden die Anfragen einer tschechoslowakischen Korrespondentin, die sich selbst durch die Reformbewegung des Prager Frühlings ebenfalls einer Art Aufbruchsstimmung verpflichtet fühlt, sogar von den Pressesprechern Robert Kennedys immer wieder mit dem ebenso schlichten wie ignoranten Argument abgewiesen, ein Interview mit Kommunisten sei dem Image des Senators nicht zuzumuten. Und die Zeitung, für die die Journalistin schreibt, die seinerzeit durchaus renommierte Rude Pravo, hat für die amerikanischen Medienmenschen ohnehin weniger Bedeutung als irgendein beliebiges US-Provinzblättchen.

Familientradition

Weite Teile des gegenwärtigen Hollywood-Establishments standen der Politik von George W. Bush und seiner Regierung zwar von Anfang distanziert-ablehnend gegenüber, doch im Fall von Estevez hat offene Kritik an konservativer Politik schon so etwas wie familiäre Tradition. Sein Vater Martin Sheen (der auch gleich eine Rolle in Bobby übernahm) zählt bereits seit Jahrzehnten zu einem der politisch aktivsten Vertreter des liberalen Hollywood. So engagierte er sich bereits in der Reagan-Ära gegen die amerikanische Aufrüstungspolitik, zählte danach ebenso zu den führenden Anti-Atomkraft-Aktivisten wie in jüngster Vergangenheit zu den scharfen Kritikern des Irak-Kriegs. Ein politisches Engagement, dass sich auch immer wieder in Sheens Rollenauswahl niederschlug, angefangen von einer Nebenrolle in dem satirischen Antikriegsfilm Catch 22 über die Hauptrolle in Francis Ford Coppolas grandiosem Apocalypse Now (1979, immer noch einer der besten Filme zum Thema Vietnam), sowie durch seinen Part in David Cronenbergs The Dead Zone (1983) als skrupelloser, demagogischer US-Präsidenten, der nicht zögert, einen weltweiten Atomkrieg auszulösen. Und in jüngster Vergangenheit verkörperte der scharfe Bush-Kritiker in der erfolgreichen Fernsehserie The West Wing einen betont liberal agierenden US-Präsidenten (was der Serie von konservativer Seite prompt die hämische Apostrophierung „Left Wing“  eintrug).

Emilio Estevez‘ Karriere hätte vor allem an ihrem Anfang nicht gegensätzlicher sein können, zählte er doch  zu jener als „Brat Pack“ bezeichneten Gruppe junger Schauspieler (gemeinsam u.a. mit Demi Moore, Rob Lowe, Judd Nelson, Ally Sheedy), die mit einer Reihe von  kommerziell äußerst erfolgreichen Coming-of-Age Komödien und Dramen, wie etwa The Break-fast Club oder St Elmo’s Fire, zu Beginn der 80er Jahre zu den Erfolgsgaranten Hollywoods zählten. Und obwohl Estevez als Schauspieler auch weiterhin dem eher oberflächlichen Mainstream-Kino verbunden blieb (The Mighty Ducks, Loaded Weapon), sind seine Arbeiten als Regisseur, bei denen er allerdings auch immer mitzuspielen pflegt, differenzierterer Natur. Gelang ihm mit seinem Regiedebüt Wisdom (1986) eine schöne moderne Robin-Hood-Paraphrase, geriet Men At Work (bei dem Estevez und sein Bruder Charlie Sheen, der mit Oliver Stones filmischer Vietnamabrechnung Platoon berühmt wurde, die Hauptrollen übernahmen) zu einer eher belanglosen Komödie. Doch mit The War At Home (1996), einem Film, der sich mit den unbewältigten Traumata eines Vietnamveteranen befasst, schlug Estevez schon deutlich gesellschaftskritischere Töne an, die er offensichtlich fortzusetzen gedachte.

Die Stille nach dem Schuss

Das allerdings gelingt dem Regisseur Estevez mit Bobby trotz aller Bemühungen und einiger Teilerfolge letztendlich nicht wirklich. Die Verknüpfung zwischen individuellen Schicksalen und historisch-politischen Ereignissen bleibt irgendwie im Ansatz stecken. Deshalb wirkt die Erschütterung, die förmliche Erstarrung, die alle Protagonisten unmittelbar nach dem Attentat übermannt, ein wenig aufgezwungen und nur bedingt dramaturgisch vorbereitet. Wobei überhaupt die fast mythologisch zu nennende Idealisierung Robert Kennedys im Kontext des Films etwas seltsam anmutet. Erklären lässt sich dies vermutlich eher mit dem fast flehentlichen Wunsch des liberalen Amerika, einen auch nur einigermaßen charismatischen Hoffnungsträger zu finden, um endlich einen grundlegenden politischen Richtungswechsel zu bewerkstelligen. Dass Estevez diese Botschaft unter Berufung auf die historische Figur des zweifellos charismatischen Bobby Kennedy aufbereiten möchte, überrascht nur wenig, hatte doch Hollywood schon immer eine Tendenz, aktuelle Themen anhand historischer Stoffe abzuhandeln. Und innerhalb der Schauspielergemeinde ist der Wunsch nach politischer Veränderung offenbar besonders stark ausgeprägt, denn so ziemlich alles, was in Hollywood Rang und Namen hat – von Jungstars (Lindsay Lohan) über Schauspielgrößen (Anthony Hopkins, William H. Macy) bis hin zu Legenden (Harry Belafonte) –, ist Estevez‘ Ruf gefolgt, um auch kleinste Rollen in Bobby zu übernehmen. Der Kampf um die Präsidentschaft 2008 dürfte somit auch und gerade in Hollywood in vollem Gange sein.