Entstehung eines Klassikers
Die Geschichte des berühmten Orchesterstücks mit dem einprägsamen Rhythmus und der ebenso eingängigen Melodie in Endlosschleife ist die einer schwierigen Geburt. Jedenfalls tut sich Maurice Ravel lange Zeit damit sehr schwer. Aber seine Auftraggeberin, die russische Tänzerin Ida Rubinstein, die sich eine sinnliche, betörende Musik für ihr nächstes Ballett wünscht, lässt nicht locker, bis ihn das gleichmäßige Geratter der Maschinen in einer Fabrik, in die sie ihn mitnimmt, zu seinem Bolero inspiriert.
Anne Fontaine rekapituliert in ihrem feinsinnigen, intimen, leisen Film jedoch nicht nur, wie der introvertierte Komponist schließlich 1928 das Werk vollendet, mit dem ihn die Musikwelt am stärksten identifiziert und das, wie im Abspann zu lesen, offenbar alle 15 Minuten irgendwo auf der Welt gespielt wird. Vielmehr beschäftigt sie sich sehr intensiv mit dem geheimnisvollen Musiker selbst, untersucht seine vertrauensvollen, engen Beziehungen mit Frauen, Ida Rubinstein (Jeanne Balibar), Pianistin Marguerite Long (Emannuelle Devos), die ihm auf seinem Werdegang treu zur Seite steht oder Misia Sert (Doria Tillier), seine Muse. Aber nicht einmal sie, der sonst alle Männer zu Füßen liegen, die ihr nichts bedeuten, kann sein körperliches Begehren wecken. Ravels Liebe bleibt rein platonisch, mithin unmöglich.
Darüber, ob Ravel schwul war, was ihm vielfach nachgesagt wurde, oder asexuell, will die Regisseurin nicht spekulieren. Ungleich reizvoller belässt sie es dezent in der Schwebe, ob seine erotische Fantasie wohl allein durch die Musik beflügelt wurde. Aber das erscheint in Bolero ohnehin nicht die einzige Merkwürdigkeit im Leben des Komponisten, der auf dem Zenit seines Wirkens an einer seinerzeit unerforschten neurologischen Krankheit leidet.
Raphaël Personnaz spielt das einsame Genie, das zeitweise auch seine Vergangenheit in Rückblenden reflektiert – verletzende Misserfolge bei einem renommierten Wettbewerb und traumatische Erlebnisse als erster Sanitätsoffizier im Ersten Weltkrieg – mit Blicken und
Gesten, die mehr sagen als die sparsamen Dialoge. Für die große Leinwand empfiehlt sich Bolero mit herrlichen Landschaften am Meer, eleganten Interieurs und prächtigen Roben der Belle Epoque, stets abgestimmt auf die Musik, darunter noch andere Werke von Ravel wie „Ma mère l’oye“ oder das Klavierkonzert für die linke Hand. Bolero ist kein ereignisreicher Film, aber sublimes Arthouse-Kino vom Feinsten.