Bouchra Khalili in der Galerie der Wiener Secession
Läuft, möchte man angesichts der momentanen Karriereentwicklung von Bouchra Khalili vermerken. Nicht, dass die 1975 in Casablaca geborene marokkanisch-französische Künstlerin nicht davor bereits mit Ausstellungen, Preisen und Stipendien beachtliche Erfolge erzielen konnte, doch, so scheint es, eine documenta-Teilnahme an beiden Ausstellungsorten in Athen und Kassel bedeutet zusätzliche Aufmerksamkeit, zumal die Themen die hier verhandelt wurden, an Aktualität nicht verlieren dürften.
Momentan arbeitet Khalili dank eines Stipendiums am Radcliffe Institute der Harvard University, kürzlich sind Nominierungen für den Artes Mundi und den Hugo Boss Preis bekannt geworden, eine Schau im Pariser Jeu de Paume ist für dieses Jahr geplant. Und dann ist da noch die von Jeanette Pacher kuratierte Ausstellung in der Wiener Secession, die erste Einzelpräsentation der Künstlerin in Österreich. Sollte alles nach Plan verlaufen, wird das Wiener Publikum gegen Ende der Ausstellung Gelegenheit bekommen, mit Twenty-Two Hours den sozusagen brandaktuellen Film zu sehen, der Anfang März gedreht wurde und bis Ende Mai fertiggestellt sein soll. Khalilis momentanem Erfolg liegt mitnichten ein kurzlebiger Hype zu Grunde, sondern eine konsequente jahrelange Beschäftigung mit Themen wie Migration und Identität. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen die Geschichte Nordafrikas, Antikolonialismus und Befreiungsbestrebungen.
Foreign Office (2015), gleich im ersten Raum des Untergeschosses, führt uns in die Jahre 1962 bis 1972, als Algier als Mekka der Repräsentanzen von Revolutions- und Freiheitsbewegungen aus Afrika, Asien und Amerika galt. Name für Name der jeweiligen Institution wird von zwei jungen Algeriern genannt, ihr Standort mit Filzstift am Plan der Stadt markiert, sie erzählen gleichsam die Geschichte dieser Jahre neu. Sah man im Intro zu Jazzklängen einzelne Fotoporträts, so wird im historischen Teil deren Zusammenhang mit einzelnen der Bewegungen hergestellt. Ergänzt wird die Videoarbeit durch einfarbige Siebdrucke, die die Lage der einzelnen Orte in Relation setzen sowie eine Reihe von Fotografien, die jene Lokalitäten in ihrer heutigen Fasson zeigen.
Der darauffolgende Raum ist den The Speeches Series (2012–2013) gewidmet. Sprache, Staatsbürgerschaft und Arbeiterklasse sind die Themen der Videotrilogie, die an drei verschiedenen Orten, Paris, Genua und New York aufgenommen wurden. Für Mother Tongue, so der Titel des ersten Teils, beispielsweise hatte Khalili Migranten gebeten, zentrale Texte von Aktivisten wie Malcolm X zu memorieren und in ihren eigenen Worten wiederzugeben. Einmal mehr sind es mit Migranten, Menschen am Rande der Gesellschaft, die den kämpferischen Intellektuellen der dritten Welt ihre Stimme leihen und ihnen zu einer neuen Aktualität verhelfen.
Im letzten Raum schließlich kann mit The Tempest Society (2017) jener Film betrachtet werden, der letzten Sommer in Kassel zu sehen war. Auch hier greift Khalili auf Ereignisse zurück, die ihren Anfang in den siebziger Jahren genommen haben. Ausgangspunkt ist hier eine Theatergruppe mit dem Namen al-Assifa (der Sturm), die sich aus einem nordafrikanischen Arbeitsmigranten und zwei französischen Studenten zusammengesetzt hatte. Eine Idee, die von drei Darstellern im Athen der Gegenwart wieder aufgegriffen wird. Ganz klassisches Theater, ist der Film in fünf Szenen, zwei Interludien und einen Epilog gegliedert. Ein junger Syrer erzählt darin über seine Theaterarbeit mit jugendlichen Flüchtlingen, und inmitten der Schilderung wird diese Reflexion über das Engagement zum Manifest für das improvisierte Spiel: „Theater ist ein Ort des Friedens. Theater respektiert die Welt. Theater respektiert unsere Worte.“
Es sind dies Arbeiten, sie sich an der Grenze zwischen Film und visueller Kunst bewegen. Bild, Ton und Untertitel laufen mitnichten in ihrer Gesamtheit einher, vielmehr fügt die Künstlerin die drei Ebenen im Schnitt zueinander. Narration wird alleine durch die Sprache der Laiendarsteller, beziehungsweise der Übersetzung von deren jeweiligem Idiom in den englischen Untertiteln vermittelt. Die visuelle Ebene wechselt zwischen den sprechenden Protagonisten, bisweilen verwendet Khalili Found Footage oder Trickfilm-Einschübe oder historische Fotografien, die ins Bild gelegt werden. Es sind dies keine Einblendungen, sondern Abzüge, die von einer Hand auf einen neutralen Untergrund gelegt werden. Während sich gleichsam Kader an Kader reiht, mehren sich die Belege der Erzählung wie auf einer Pin-Wand neben- und vor allen Dingen übereinander. Bouchra Khalili hat über die Jahre für ihre Filme eine ihr ganz eigene Bildsprache entwickelt, die sie „Alternative Geschichtsschreibung“ nennt. Dieses Format ist keine Dokumentation, keine Fiktion, Bouchra Khalili formuliert es als „Hypothese“. Geschichte mag hier alternativ erzählt werden, doch was Bouchra Khalili uns mit ihren Arbeiten noch viel drastischer vor Augen führt: Geschichte wiederholt sich.