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Brad Pitt

Brad Pitt

Glorious Buddy

| Roman Scheiber |
Nun hat er also auch den Schauspiel-Oscar. Ein Rückblick auf die Karriere von Brad Pitt.

Oh, oh, so you think you’re something special
Oh, oh, you think you’re something else
Okay, so you’re Brad Pitt
That don’t impress me much
So you got the looks but have you got the touch

So wenig beeindruckt wie im ersten Refrain von einem Raketenwissenschafter zeigt sich die kanadische Country-Pop-Sängerin Shania Twain in ihrem 1998 veröffentlichten Hit „That don’t impress me much“ auch von Brad Pitt. Doch abgesehen davon, dass man es nur als Weltstar namentlich in so einen Song schafft: He not only got the looks, damals wie heute. Erst kürzlich gab Twain zu Protokoll, die von Pitt und seiner damaligen Freundin Gwyneth Paltrow kursierenden Nacktfotos hätten sie beim Schreiben dazu inspiriert, dem Schauspieler eine Variation des Refrains zu widmen. Dabei hatten alle, die ein wenig genauer hingesehen hatten, schon damals geahnt: Hier ist nicht ein junger Mann wegen seines hübschen Gesichts und seiner modellhaften Figur am Höhepunkt Paparazzi-verklebten Ruhms, sondern ein begabter, ernstzunehmender und vor allem ein ungemein vielseitiger Schauspieler auf dem Sprung zur dauerhaften Weltkarriere. Der Oscar, den er nun für seine Rolle als cooler Stunt-Buddy Leo DiCaprios in Once Upon a Timein Hollywood entgegennehmen durfte, war also nur eine Frage der Zeit.

Wer ein Faible für Kategorisierung hat, dürfte die folgende Einteilung der Karriere von Brad Pitt, geboren am 18. Dezember 1963, aufgewachsen in Springfield, Missouri, nicht vollkommen abwegig finden.

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Erste Phase: The definition of sex
Nach drei Jahren diverser Knaben-Rollen in Fernsehfilmen und –serien reichten Pitt ein paar Minuten im Bett mit Geena Davis und eine memorable Meta-Szene als oberkörperfreier, Haarföhn-bewehrter Outlaw, um nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, zumal beim weiblichen Publikum. Pitts Glück dabei: Es handelte sich um einen Auftritt in einem Epoche machenden Film. Als das von Callie Khouri geschriebene Roadmovie Thelma & Louise (1991, Ridley Scott) das Licht der Leinwand erblickte, gab es wenige andere Mainstream-Filme, die nach heute kursierenden Metoo-Maßstäben Bestand haben. Als Gage kassierte Pitt gerade einmal 6.000 Dollar, der Impact auf seine Karriere war indes unbezahlbar. Sogleich folgte die erste Hauptrolle als selbstverliebter Möchtegern-Rockstar in der pastellbunten Außenseiter-Fabel Johnny Suede (1992), dem Regiedebüt von Indie-Ikone Tom DiCillo – heute wirkt der Part übrigens wie eine Weissagung an den Shooting Star, sich nicht exklusiv mit dem eigenen Aussehen zu beschäftigen. Rasch wurde Pitt klar, dass er das Sofortbild als Sexsymbol konsequent gegen den Strich bürsten musste, um als Schauspieler ernst genommen zu werden. Und doch: Obwohl er schon in unmittelbar folgenden Filmen wie Robert Redfords A River Runs Through It (Aus der Mitte entspringt ein Fluss, 1992) über ein ungleiches Brüderpaar oder als Serienkiller in Kalifornia (1993, Dominic Sena) sein versatiles Talent unter Beweis stellte, blieb er in den Augen vieler vornehmlich sexy. Siehe Shania Twain.

Zweite Phase: The definition of cool
Den Beginn des zweiten Abschnitts seiner Karriere markiert Brad Pitts insgesamt vielleicht eindrücklichste Performance bislang: als Alter Ego des von Edward Norton gespielten Erzählers in Fight Club (1999). Die von Chuck Palahniuk für seinen säurespritzenden Debütroman erdachte Figur des Tyler Durden, kongenial von Pitt inkorporiert und von dessen Lieblingsregisseur David Fincher adaptiert, brannte sich tief in die Gehirne junger männlicher Zuseher. Pitt spielt darin eine Art Symbol toxischer Männlichkeit avant la lettre: Zwar freigeistig und unangepasst, selbstbewusst und konsumkritisch – daher eben auch: die personifizierte Coolness –, aber auch stark gewaltgeneigt, sektiererisch, manipulativ und misogyn. Mit dieser seinen Ruhm festigenden Rolle war Pitt gleichsam erwachsen geworden. Blockbuster-Engagements sollten ebenso folgen wie seine (nicht zuletzt in verkleidungstechnischer Hinsicht) stilprägend lässige Charakterisierung des Rusty Ryan in Steven Soderberghs Remake-Reihe um Trickbetrüger Danny Ocean (2001, 2004, 2007, mit Kumpel George Clooney). Pitts Achillesferse in dieser Zeit war wohl Troja (2004) – in der Grabschändung Homers durch den Kostümkriegsschinken von Wolfgang Petersen darf er u.a. mit zwei Frauen zugleich im Bett liegen und listig morden, doch seine Darstellung des griechischen Helden Achill brachte mehr für die teure Ausbildung seiner alsbald mit Angelina Jolie folgenden sechs Kinder als künstlerische Anerkennung. Stichwort Brangelina: Die Leserschaft der Yellow Press bzw. verwandter Internet-Medien weiß oft mehr über Pitts durchwachsenes Privatleben als über seine Leistungen als Schauspieler und seine 2006 begonnene Arbeit als Produzent. Drei Mal war er bereits abseits der Oscar-trächtigen Zusammenarbeit mit Quentin Tarantino für den Goldbuben nominiert gewesen (12 Monkeys, The Curious Case of Benjamin Button, Moneyball), und bekommen hatte er ihn auch schon, nämlich als Ko-Produzent für das allseits akklamierte historische Rassendrama 12 Years a Slave (2013, Steve McQueen).

Dritte Phase: The definition of self-awareness
Es braucht ein gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein, Selbstaufmerksamkeit, Selbstreflexion und Selbstironie, um sich Rollen anzueignen, wie Brad Pitt sie in seiner dritten Karriere-Dekade angenommen hat. Das beste Beispiel ist eine Witzfigur von Fitnesstrainer namens Chad Feldheimer, welche die Coen-Brüder für ihre Agentenkomödie Burn After Reading (2008, erinnern Sie sich an Clooney und die Masturbationsmaschine?) erfunden haben und welcher er durch fulminant selbstironischen Gestus Vitalität verliehen hat. Überhaupt wird das Komödiantische in Pitts Schaffen mitunter zu gering geschätzt. Es findet sich in seiner verrenkt ausagierten und kieferschüttelnd grimassierenden Darstellung eines gepeinigten, schizophrenen Verschwörungstheoretikers in Twelve Monkeys (1995, Terry Gilliam), für die er den Golden Globe erhielt, ebenso wie etwa in seiner dialekttreuen Schnauze des irischen Halbwelt-Boxers Mickey the One Punch Pikey in Snatch – Schweine und Diamanten (2000, Pitt hatte Lock, Stock and Two Smoking Barrels gesehen und wollte unbedingt in einem Guy-Ritchie-Film mitspielen). Und natürlich entbehrt auch seine Charakterisierung des Lieutenant Aldo Raine in Tarantinos Inglourious Basterds (2009) nicht einer Pitt-typischen, selbstbewussten Eigenwilligkeit zwischen Charme und Soziopathie – wobei auch hier der Humor nicht zu kurz kommt („And all y’all will git me one hundred Nazi scalps, taken from the heads of one hundred dead Nazis. Or you will die tryin’“).

Brad Pitts Porträt des Baseball-Managers Billy Beane in Moneyball (2011, Bennett Miller) gilt zu Recht als die hochgradigst humanistische seiner Rollen, das tolle „Performance Piece“ ist wegen der Nischenhaftigkeit des Themas in Europa leider kaum bekannt. Dennoch konnte Pitts Vielseitigkeit einem cinephilen Publikum über die Jahre nicht verborgen bleiben. Von einer kleinen, zum Schenkelklopfen witzigen Stoner-Rolle im Schneidersitz (True Romance, 1993) zum konservativ-oppressiven Familienvater in Terry Malicks wunderschön schwebendem und zwanglos esoterisch ausgreifendem The Tree of Life (2011), vom artifiziellen Poser und verdrucksten Klitoris-Entdecker in Johnny Suede bis zum besorgten, um das Leben seiner angeschossenen Ehefrau (Cate Blanchett) kämpfenden Ehemann in dem Episodendrama Babel (2006, R: Alejandro González Iñárritu): Pitts Bandbreite hat ein enormes Ausmaß angenommen. Dabei braucht er zumeist nur wenige Momente, um eine Figur lebendig werden zu lassen.

AND THE OSCAR WENT TO …
Dass Alter nicht vor erotischer Ausstrahlung schützt, hat der nunmehr 56-jährige Pitt mit seiner frappant leichthändig wirkenden Leistung in Once Upon a Time … in Hollywood gewissermaßen nebenbei bewiesen; dass er auch zum Charakterdarsteller taugt, zeigte er schon vor Jahren in Moneyball oder The Tree of Life und kürzlich noch einmal eindrucksvoll in der Sternenreise Ad Astra (von James Gray). Nun hat er es in Form des Goldmännchens quasi amtlich. Das Männlichkeitsbild, in der Realität und im Film, mag sich stark gewandelt haben im Zuge seiner Karriere. Doch Brad Pitt ist immer noch – mit hohen Dosen von Selbstironie bei steigendem Reflexionsvermögen – wie kein zweiter Hollywood-Star und womöglich Zeit seines Lebens auf der Leinwand: die personifizierte Coolness. Also, Shania: He has got the touch.

Der Text ist die aktualisierte Version eines für die „Reihe Brad Pitt“ im Stadtkino Basel entstandenen Porträts.