Anmerkungen zu Ang Lees Subversion der melodramatischen Geschlechter-Regel.
In dem denkwürdigen Pariser Interview mit Peter W. Jansen im Januar 1978 sagt Rainer Werner Fassbinder, der die ganze Zeit über seine Sonnenbrille nicht abnimmt, mit koksgeschärftem Verstand: „Natürlich ist der, der liebt oder mehr liebt oder mehr an dieser Liebe hängt oder an einer Beziehung hängt, der Unterlegene. Das hat damit zu tun, dass der, der weniger liebt, mehr Macht hat, klar. Damit fertig zu werden, ein Gefühl, eine Liebe, ein Bedürfnis zu akzeptieren, dazu braucht es eine Größe, die die meisten Menschen halt nicht haben. Deswegen läuft das halt meistenteils sehr hässlich.“
Traditionsgemäß ist die Frau diejenige, die mehr liebt und die demnach auch mehr leidet. Unzählige Melodramen zeigen sie bis in die Gegenwart als die Wartende, Unglückliche, Unterlegene. Das mag daran liegen, dass der Mann eine klar umrissene gesellschaftliche Aufgabe hat, die mit der Liebe zu einer Frau nichts zu tun hat. Wohingegen die Frau definiert wird durch ihren Platz an der Seite eines Partners. Mann, Kinder, Familienglück. Der Dreischritt ist so simpel wie hartnäckig virulent, ein prüfender Blick auf die unterschiedliche öffentliche Wahrnehmung von allein stehenden Männern und Frauen beweist das.
Bei dem Liebespaar, dessen unglückliche Geschichte Ang Lee inBrokeback Mountain erzählt, ist die Rolle der Frau recht eindeutig von Jack Twist besetzt. Nicht nur, weil seine Angetraute sich um die Geschäfte kümmert, während er von ihrer Familie gerade mal als Erzeuger des Erben toleriert wird. (Der einzige forsche Auftritt, den Jack sich mit seinem garstigen Schwiegervater erlaubt, erfolgt denn auch ausgerechnet im Zuge einer haushalterischen Handlung, dem Zerlegen des Thanksgiving-Truthahns; und es fehlt nur, dass er dabei eine Küchenschürze trägt wie weiland James Stewart, als er in The Man Who Shot Liberty Valance beim Steak-Servieren über Lee Marvins Füße fällt.) Vor allem steckt Jack in der Rolle der Frau, weil er, gemäß Fassbinder, in der so selten nur gelebten „Beziehung“ zum ganz und gar selbstbeherrscht-introvertierten Ennis Del Mar derjenige ist, der mehr liebt, demnach mehr leidet. Und dafür, dass er die Erfüllung seiner Sehnsucht vergeblich auch anderweitig sucht, muss er schließlich büßen. Ennis bleibt als halber Mensch zurück.
Nun ist es so, dass in den Filmen von Ang Lee zwar manche Figuren mehr lieben als andere – und das sind keineswegs immer nur Frauen, wie zum Beispiel der inkredible Hulk beweist, der beim Anblick seiner geliebten weißen Frau auf Normalmaß schrumpft und ihr entgrünt zu Füßen sinkt –, dass eben diese Figuren aber auch die Stärkeren sind. Stärker, nicht weil sie am Ende einen Sieg davon tragen, sondern stärker im Fassbinderschen Sinne: stärker, weil sie ihr Ausgeliefertsein an die und ihre Unterlegenheit in der Liebe akzeptieren. Wie Yu Shu Lien in Crouching Tiger, Hidden Dragon, oder Elinor Dashwood in Sense and Sensibility, die, gefangen im Korsett von Tradition, bürgerlicher Moral, Sitte und Anstand, auch nicht den Hauch einer Chance haben, das Glück ihres Lebens (in Gestalt von Li Mu Bai respektive Edward Ferrars) aktiv zu verfolgen. Also hoffen und warten sie, wie Jack, und sind zu Stelle, wenn sich eine Möglichkeit zu bieten scheint, wie Jack. Und wenn die Möglichkeit sich einmal mehr als trügerisch herausstellt, schlucken sie ihre Tränen hinunter, richten sich auf – und sehen ihrer Einsamkeit erneut gefasst ins Auge.
Wie kaum einem anderen gelingt es Ang Lee, den Konflikt zwischen Gefühl (Innen) und Form (Außen) sichtbar zu machen als den fundamental menschlichen zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Konvention mag die Figuren an der Verwirklichung ihrer Liebe hindern, Konvention liefert aber auch den Widerstand, an dem sich ihre Liebe erst schärft. Und es ist nicht Resignation oder Unvermögen, die sie von umstürzlerischen Ausbruchsversuchen abhält, sondern der feste Glaube an das in ihnen wohnende Gefühl, das schließlich alle Hindernisse überwinden wird. So lieben sie, mit einer kaum gekannten Unbedingtheit und Bedingungslosigkeit, der Unmöglichkeit ihrer Liebe und ihrer eigenen Schwäche nicht achtend. Im Grunde kann nur der Tod sie aufhalten.