Identität und die Mehrheitsgesellschaft – sieben Künstlerinnen und Künstler im Porträt
Brücken über Brücken porträtiert sieben künstlerisch tätige Menschen mit Migrationshintergrund in Wien und wirft dabei die Frage auf, auf welche Weise Migration in ihre Kunst hineinspielt bzw. zum Ausdruck solcherart geprägter Identitätskonstruktionen wird. Azrael ist als Enkelkind eines türkischen „Gastarbeiters“ in Wien aufgewachsen, er fand schließlich in der Pantomime eine Möglichkeit, seine Ichs zwischen Österreich und Türkei oder „Kaiserschmarren und Fasulye“ zu rooten. Aiko ist Performancekünstlerin und Choreografin, ihr japanischer Vater verbot ihr als Kind eine Tanzausbildung. Ishraga ist Schriftstellerin und Wissenschaftlerin. Vor ihrer Beschneidung im Sudan sang man „Morgen wirst du geschlachtet“. Diese Erfahrung prägt noch heute ihre Arbeit über Körper und Feminismus. Mela ist Cellistin, der Vater Afrikaner, sie ist aus Meidling, ebendort bei ihrer Mutter aufgewachsen. „Wenn man in Österreich aufwächst und anders aussieht, fragt man sich, wo kommt das her.“
In den Erzählungen, die der Filmemacher Kenan Kilic zu einer losen Reihe von Interviews, begleitet von Bildern künstlerischer Praxen und Archivmaterialien, vereint hat, wird deutlich, wie stark gesellschaftliche Diskurse wie Inklusion/Exklusion das Leben von Menschen prägen. Das alte Lied von der Identität, die angeblich eine Gesellschaft zusammenhält, zerfällt in viele schillernde Teile. Biografische Details, Sinnsuche, die Arbeit an sich und mit anderen Menschen, eigene Positionen und verschwimmende Grenzen zur Mehrheitsgesellschaft bietet der Film als frei kompilierte Denkanstöße an. Dabei kommt einem unweigerlich Amartya Sen in den Sinn, der in „Die Identitätsfalle“ schreibt, wie viele Rollen und Identitäten jeder Mensch in seinem Leben zugleich innehat, ohne sich dabei für eine entscheiden zu müssen bzw. zu können.
Brücken über Brücken erzählt gleichsam von Pluralitäten aller Art, auf individueller und gesellschaftlicher Ebene und lässt sich damit als Plädoyer gegen die „Verkürzung des Menschen“ verstehen. Kilic schlägt aber auch eine Brücke zu einem seiner früheren Filme, Nachtreise (2002), der vom Leben als U-Boot in Wien erzählt. Die Zuwanderer in der Illegalität, die Kilic in einem Wiener Kellerlokal vor die Kamera holte und die darauf angewiesen waren, jede schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen, erzählten von der Unsichtbarkeit in einer Gesellschaft. In seinem jüngsten Film hingegen geht es darum, sich öffentlich auszudrücken. Man wird gehört, gesehen.