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Cannes Blog 6

Frauen-Power

| Pamela Jahn |

Cannes Blog 6

Und wieder blieb ein Sitzplatz im Auditorium leer. Diesmal fehlte Jafar Panahi, von dem man noch bis 48 Stunden vor dem geplanten Auftritt auf dem roten Teppich am Samstagabend gehofft hatte, dass er vielleicht doch persönlich zur Erstaufführung seines neuen Films in Cannes erscheinen dürfe. Aber ähnlich wie bei dem Russen Kirill Serebrennikov ließ sich letztendlich auch die iranische Regierung nicht erweichen, dem seit nunmehr acht Jahren unter Hausarrest stehenden Regisseur einen Kurzaufenthalt an der Croisette zu gewähren. Sein Film dagegen, mittlerweile der vierte, den er seit der Auferlegung des Berufsverbots heimlich drehte, hat es erneut auf die Leinwand geschafft und es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Kunstfertigkeit und Leichtigkeit Panahi selbst unter schwersten Bedingungen an die Arbeit geht.

Three Faces beginnt mit einer bestürzenden Videonachricht eines aufgebrachten Mädchens (Marziyeh Rezaie) an die berühmte iranische Schauspielerin Behnaz Jafari. Marziyeh erzählt darin, wie sehr sie sich nach einer Karriere als Schauspielerin sehnt, jedoch zum Missmut ihrer Familie. Sogar einen kostbaren Platz am Konservatorium in Teheran hätte sie sicher, doch es nütze alles nichts. Und so dient ihre Nachricht, die sie an Jafari richtet, aber an Panahi schickt, als ein letzter, verzweifelter Hilfeschrei. Daraufhin machen sich die Schauspielerin und ihr Regisseur auf den Weg in die Heimat des Mädchens, eine Bergregion im Nordwesten Irans, um herauszufinden, was hinter der Geschichte steckt. An ihrem Ziel angekommen, treffen sie nicht nur auf Marziyehs Familie und andere Dorfbewohner, sondern auch auf eine enigmatische, weil gänzlich zurückgezogen lebende, ehemalige Schauspielerin aus der Zeit vor der Revolution. Sie ist das dritte, das unsichtbare Gesicht im Film, das als einziges ungesehen bleiben soll.

Während der Fokus des Films sich eindeutig auf die drei Frauen aus drei verschiedenen Generationen richtet, nimmt Panahi selbst diesmal eher eine Nebenrolle in der fein gestrickten Handlung ein, doch sind sein Charme und seine Weisheit stets von zentraler Präsenz. Darüber hinaus erinnert Three Faces vielmehr auch an ein früheres iranischen Kino, an Filme wie Abbas Kiarostamis Taste of Cherry und Wind Will Carry Us, anstatt wie die letzten beiden heimlichen Werke Panahis This Is Not a Film and Taxi Tehran auf eine dringliche, konkrete Weise ganz im Hier und Jetzt verankert zu sein. Dennoch entpuppt sich Three Faces auf gewohnt elegante Weise als eine semi-realistische Parabel voller Einsicht und Menschlichkeit, die zudem von einem Respekt für Frauen zeugt, von dem andere Regisseure noch so einiges lernen können.

Passender hätte es dann auch kaum sein können, dass der Samstagabend in Cannes ganz im Zeichen der Film-Frauen stand. Vor der Premiere von Eva Hussons Girls of the Sun über eine kurdische Frauenkampfeinheit riefen Jurypräsidentin Cate Blanchett sowie die 89-jährige Pionierin des französischen Autorenkinos, Agnès Varda, schließlich zum Protestmarsch auf dem roten Teppich auf. 82 Schauspielerinnen, Regisseurinnen und Produzentinnen beteiligten sich an der Initiative, um die #MeToo-Bewegung gegen Sexismus und Ungleichheit zu unterstützen und mehr Gleichheit für Frauen in der Filmbranche zu fordern. Auch eine schmerzliche Tatsache kam dabei erneut zur Sprache, nämlich dass bislang 71 Regisseure eine Goldene Palme gewannen, jedoch mit Jane Campion nur eine Frau. Die Französin Eva Husson, eine der im diesjährigen Wettbewerb vertretenen Regisseurinnen, dürfte jedoch eher geringe Chancen auf den Hauptpreis haben. Zu klischeebeladen sind die Bilder, zu eindimensional die Charaktere ihres Films, um wirkliches Interesse an der Geschichte zu wecken, die in ihren Grundmauern so erschütternd und bewegend ist, dass man sich einen kühneren Umgang mit ihr durchaus gewünscht hätte. Stattdessen wirkt bei Hussan alles irgendwie unglaublich bedeutungsschwer, aber nicht wirklich nachvollziehbar.

Mehr Vertrauen setzen viele Journalisten vor Ort jedoch auf ihre italienische Kollegin Alice Rohrwacher, die als Nächste ins Rennen um die Goldene Palme geht, und auch mit der Libanesin Nadine Labaki, die bereits mit Charamel eine charmante Stimme für das arabische Kino fand, ist noch zu rechnen. Doch wie Cate Blanchett bereits auf der Pressekonferenz der Jury zu Beginn des Festivals diplomatisch deklarierte, was am Ende zählt ist die Qualität der aktuellen Wettbewerbsfilme insgesamt: „Ob ich mehr Frauen im Wettbewerb sehen möchte? Absolut. Ob ich glaube, dass das in Zukunft der Fall sein wird? Ich hoffe ja! Aber wir müssen in diesen nächsten zwei Wochen eben damit umgehen, was wir in diesem Jahr vor uns haben.“ Bisher gab es da zumindest schon einiges Gutes bis Tolles zu sehen. Und das Beste daran: Die zweite Hälfte des Festivals beginnt gerade erst.