Cannes Blog 9

Hundeleben

| Pamela Jahn |

Die erste Palme ist vergeben, und so verdient war sie schon lange nicht mehr.

Die Palm Dog, der Preis für den besten Hund des Festivals, sicherte sich in diesem Jahr der geschlossene Vierbeiner-Cast von Dogman des italienischen Regisseurs Matteo Garrone, obwohl insbesondere eine enorme Deutsche Dogge, die im Film von dem engagierten Hundesalon-Besitzer Marcello (Marcello Fonte) eine Pfotenmassage bekommt, ihren tierischen Kollegen die Schau stahl. Dogman handelt also von Marcello, der ein besonderes Händchen dafür hat, wie man mit Hunden, ob groß oder klein, zahm oder kampfeslustig umgeht. Mit den Menschen in seiner Umgebung läuft es nicht immer ganz so einfach. Zwar ist er auch unter den Einwohnern des kleinen, heruntergekommen Küstenstädtchen beliebt, in dem er sein Geschäft mehr schlecht als recht über Wasser halten kann. Doch ohne gelegentliche Kokain-Deals und andere kleinkriminelle Zuschüsse kommt auch er nicht ganz über die Runden. Einer seiner besten Kunden ist eine menschliche Bulldoge names Simone (Edoardo Pesce), der Schläger des Ortes, vor dem sogar die lokale Polizei den Schwanz einzieht. Denn wenn Simone erst einmal in Rage gerät, wird es meist blutig. Das bekommt auch Marcello jedes Mal zu spüren, wenn es zwischen den beiden leichte Unstimmigkeiten hinsichtlich der Bezahlung gibt, dabei lässt Simone sowie nur noch anschreiben. Und Marcello macht mit. Anstatt Simone den ewigen Kredit endgültig zu streichen, lässt er sich immer wieder von ihm ausnutzen, schikanieren und verprügeln, bis er am Ende sogar seinetwegen hinter Gittern landet. Erst als er aus dem Knast zurückkommt, scheint es auch bei Marcello mit der Gutmütigkeit vorbei zu sein, und Garrone nutzt die Gelegenheit, sein kraftvolles, düsteres Drama als gnadenlosen Kampf zwischen David und Goliath auszuspielen. Dogman besticht jedoch nicht nur durch seine exzellente Besetzung (Hund wie Mensch) und eine Kameraführung, die mit Close-Ups und Nahaufnahmen seine Hauptfigur im Laufe des Films immer weiter in die Enge treibt. Es ist zudem der inszenatorischen Strenge des Regisseurs zu verdanken, dass der Film eine so nachhaltige Wirkung erzeugt. Schön wäre allerdings trotzdem, wenn die Jury am morgigen Abend auch Marcello Fonte mit dem Preis für den besten Schauspieler auszeichnen würde, denn verdient hätte er ihn allemal.

Und noch zwei andere Filme haben sich zum Ende hin als eventuelle Palmen-Kandidaten bewiesen: Capernaum von der libanesischen Regisseurin Nadine Labaki, sowie Lee Chang-dongs Murakami-Adaption Burning, die derzeit den internationalen Kritikerspiegel des Branchenblatts Screen International anführt und dort hinsichtlich der Punktevergabe sogar einen neuen Rekord aufgestellt hat. Allerdings will auch das noch längst nichts heißen. Denn vor zwei Jahren erst befand sich Maren Ades Toni Erdmann in der gleichen Pole Position und ging am Ende trotzdem leer aus. Anderseits handelt es sich bei Lee Chang-dongs Film nicht um eine Komödie (wie Ades Film damals fälschlich deklariert wurde) – denn Komödien haben es erfahrungsgemäß in Cannes wie bei den Oscars immer schwer. Stattdessen liefert Lee Chang-dong ein poetisch angelegtes, mit Mystery-Elementen unterlegtes poetisches Porträt einer verlorenen, koreanischen Generation auf der Suche nach sich selbst.

Verloren, das ist auch der 12-jährige Zaid (Zain al Rafeea) in Capernaum, zumal er eine kriminelle Tat begangen hat, für die er in seiner Heimat Libanon auch trotz seines jungen Alters mit Gefängnis bestraft wird. Im Gegenzug klagt Zaid kurzum seine Eltern an, die seiner Meinung nach die eigentliche Schuld an der Tragödie tragen, weil sie ihn und seine zahlreichen Geschwister in die Welt gesetzt haben, ohne in Wirklichkeit auch nur für ein Kind vernünftig sorgen zu können. Ausgehend von der Gerichtsverhandlung, auf der alle beteiligten Seiten ihren Standpunkt darlegen, erzählt Labaki die Geschichte Zaids im Rücklauf: Von der nahezu unmenschlichen Situation zu Hause, seiner vermeintlichen Flucht zur Großmutter, der Begegnung mit Rahil (Yordanos Shifferaw) aus Eritrea, um deren Baby er sich liebevoll kümmert, als die Mutter ohne Papiere verhaftet wird, bis hin zu dem verzweifelten Racheakt, der ihn schließlich hinter Gittern bringt. Die Bilder, die Labaki dafür findet sind, sind von roher, klaustrophobischer Einfachheit, so wie das brutale Leben auf den Straßen von Beirut selbst. Und auch wenn die Musik (komponiert von Labakis Ehemann Khaled Mouzanar) stellenweise zu dick aufträgt und bestimmte Wendungen im Handlungsverlauf allzu konstruiert erscheinen, schafft die Regisseurin es dennoch, die Balance zu halten und ihren Film zu einem starken, bestürzendem Finale zu führen.

Das letzte Wort hat natürlich die Internationale Jury, aber nachdem sowohl Alice Rohrwacher (Lazzaro Felice) als auch Nadine Labaki mit durchaus preisverdächtigen Filmen ins Rennen gehen, stehen die Chancen auf eine zweite Goldene Palme für eine Regisseurin in der Geschichte des Festivals – nach Jane Campion 1993 – gar nicht so schlecht.