Fabelhaftes Sozialdrama aus dem Libanon
Zain und seine Familie sind syrische Geflüchtete im Libanon und begegnen uns zunächst im Gerichtssaal – denn der Sohn will tatsächlich seine Eltern verklagen. Wie es dazu kommen konnte, erzählt der letztjährige Jurypreis-Gewinnerfilm von Cannes alsdann in ausführlichen Schritten: Die Familie wird in der Stadt geduldet, nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Als der Vater Zains minderjährige Schwester Sahar dem Ladenbesitzer Assaad, von dem sie alle finanziell abhängig sind, in die Ehe geben will, stellt sich der Knabe gegen seine Familie und wird schließlich verstoßen. Allein schlägt sich Zain durch die Straßen und findet schließlich in der sich illegal im Land aufhaltenden Reinigungskraft Tigest eine helfende Hand. Gegen Unterkunft und Nahrung kümmert er sich ab sofort um deren Sohn im Kleinkindalter, Yonass, den Tigest zu verstecken gezwungen ist, um ihn nicht an die Behörden zu verlieren. Es kommt jedoch, wie es kommen muss: Bald schon muss Zain alleine für den Kleinen und ihrer beider Überleben sorgen. Tag für Tag verdichten sich die Zeichen auf Tragödie.
Minutenlange Standing Ovations gab es an der Côte d‘Azur, nachdem Capernaum, für dessen Finanzierung die libanesische Regisseurin Nadine Labaki und Produzent Khaled Mouzanar eine Hypothek auf das gemeinsame Heim aufgenommen hatten, als erster Film Labakis im Wettbewerb um die begehrte Goldene Palme über die Leinwand geflimmert war. Egal ob stehend applaudierend oder nicht: Die Bilder der Stadt der Hoffnung wirken lange nach. Von zahlreichen Schauspiel-Neulingen und allen voran vom beeindruckenden Debüt eines Kinder-Akteurs getragen, für den das Leben als Geflohener nicht nur vor der Kamera biografische Realität ist, gelingt Labaki gleichermaßen ein emotionales Plädoyer für Solidarität wie auch ein zugegeben nicht unkontroverser Versuch, soziale Ungerechtigkeiten in Kinderlebenswelten zu spiegeln. Gewiss handelt es sich dabei „nur“ um eine Erzählung, eine Geschichte, schlussendlich im Grunde um eine Fabel, deren Moralsverkündigung von manch einem als überzeichnet empfunden werden wird – ein Kritikpunkt, der aber zur Nebensache verkommt.
Denn selbst, wenn man Labaki einen privilegierten Blick auf Unprivilegierte unterstellen will, deuten ihre Charaktere doch glaubhaft auf Entsprechungen in der Wirklichkeit hin. Sei es mit anderen Namen, anderen Details, und anderen, weniger melodramatischen Anfängen und Ausgängen, so doch in übertragener Essenz. Nicht obwohl, sondern gerade weil das nicht bequem ist: Hingehen, Hinschauen.