Filmkritik

Chuzpe

| Oliver Stangl |
Es muss was geben

Die 1977 von Robert Wolf, Christian Brandl, Rudolf Barcal und Albert Griehmann gegründete Band Chuzpe gehört zu den großen Legenden des österreichischen Undergrounds und brachte seinerzeit mit Songs wie „Beislanarchie“ frischen Wind ins graue, tote Wien. Die Formation, die sowohl in Wiener Dialekt als auch auf Englisch sang und deren Besetzung über die Jahr häufig wechselte – nur Wolf ist heute noch dabei – wollte dabei nie Klischees oder Erwartungen erfüllen und gab sich stilistisch vielfältig. 1980 gelang der Gruppe, die immer mehr Richtung New Wave ging, mit der Coverversion von Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“ sogar ein Top-Ten-Hit in Österreich. Nach dem vorläufigen Ende Anfang der Neunziger veröffentlichte man 2014 mit „Vor 100000 Jahren“ das bislang aktuellste Album.

Ein Experte in Sachen Underground ist gewissermaßen auch Regisseur Peter Ily Huemer, dessen Filme meist über wenig Budget verfügen, dafür aber oftmals mit düsterer Atmosphäre punkten (in Kiss Daddy Good Night erwies er 1988 etwa dem Film noir Reverenz, während er in Dead Flowers aus dem Jahr 1993 einen Wiener Kammerjäger in die Hölle hinabsteigen ließ). Im Geiste des Punk verzichtet Huemer in Chuzpe denn auch auf Kinkerlitzchen. Strukturell ähnlich angelegt wie die Achtziger-Underground-Doku Es muss was geben (2011, zwinker zwinker) lässt der Filmemacher einen Off-Erzähler beiseite und montiert stattdessen aus einer Vielzahl von Stimmen – Bandmitglieder, Weggefährten, Punks, Szenefiguren – ein Panorama nicht nur der damaligen Musikszene, zu der sich bald auch Gruppen wie Blümchen Blau oder Dirt Shit gesellten, sondern auch der sozialen und politischen Zustände Ende der siebziger Jahre. Archivmaterial kommt nur sparsam zum Einsatz, im Mittelpunkt stehen Gesichter, denen man oftmals ein bewegtes Leben ansieht. Die tragischen persönlichen Geschichten ehemaliger Chuzpe-Bandmitglieder, die von psychischen Problemen und Drogensucht geplagt waren, kommen ebenso zur Sprache wie Konsumkritik, Identität, Selbstermächtigung und die Lust zur Provokation. Welche Revolution es damals bedeutete, wenn Chuzpe depressive Seelenzustände mit Lyrics wie „Lebendig begrobn, Apathie“ ins Publikum knallten, erkennt man beispielsweise an der Begeisterung einer Szenefigur wie Ronnie Urini. Die Interviewpartner verzichten im Wesentlichen auf Nostalgie, gehen vielmehr illusionslos und nüchtern – aber nicht frei von Humor – darauf ein, dass sich eben gerade nicht viel geändert hat. Verklärung findet kaum statt, doch wenn Huemer am Ende mehrere Minuten lang in völliger Stille Schwarzweiß-Fotos junger Punks von damals zeigt und schließlich „Ein Traum“ von Dämmerattacke erklingt, darf man zumindest kurz wehmütig sein.