Der Fall Edward Snowden
Alles hört sich wie das Szenario eines Politthriller klassischen Zuschnitts an: ein junger Mitarbeiter eines Geheimdiensts ist zunächst von seiner Arbeit überzeugt, doch nach und nach werden ihm die Überwachungsmethoden seines Dienstgebers suspekt und erscheinen als massive Bedrohung jener Grund- und Freiheitsrechten, die er doch eigentlich schützen wollte. Also beschließt der Mann, diese Machenschaften mittels Medien an die Öffentlichkeit zu bringen, wissend, dass er sich damit gegen ein mächtiges System stellt.
Doch im gegenständlichen Fall ist das keine Fiktion, sondern natürlich die Geschichte Edward Snowdens, der aufdeckte, wie die US-amerikanische Sicherheitsbehörde NSA, für die er als IT-Experte gearbeitet hatte, mittels Massenüberwachungsprogrammen so ziemlich jeden Menschen bespitzeln kann – und von dieser Möglichkeit auch ausgiebig Gebrauch macht. Um seine Enthüllungen publik zu machen, wandte sich Snowden zunächst anonym – als Deckname benützte er „citizenfour“ – an zwei Personen, denen er aufgrund ihrer bisherigen Arbeit zutraute, das brisante Material entsprechend aufbereiten zu können: den Journalisten Glenn Greenwald und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die sich in My Country, My Country und The Oath mit den Auswirkungen der Anschläge von 9/11 auseinandergesetzt hatte. Citizenfour zeichnet den eigentlich unglaublichen Weg Edward Snowdens vom Geheimdienstmitarbeiter zum berühmtesten Whistleblower der Gegenwart nach. Beginnend mit der ersten Kontaktaufnahme mittels verschlüsselter E-Mails, die sich über Monate erstrecke, kommt Poitras zum Kernstück ihres Films – dem ersten Treffen mit Edward Snowden in einem Hotel in Hongkong im Juni 2013. Die Unmittelbarkeit und Direktheit, mit der Laura Poitras diese Begegnung aufzeichnet, hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Denn selbst in diesen Momentaufnahmen erlebt man Snowden als einen Mann, dessen tiefe Besorgnis über eine flächendeckende Überwachung von Bürgern – was deren Aktivitäten im Internet, E-Mails etc. angeht – ihm augenscheinlich gar keine andere Wahl gelassen hat, als die Angelegenheit öffentlich zu machen und damit zumindest einen breiten Diskurs zu initiieren – ungeachtet des hohen persönlichen Risikos, das er dabei auf sich nehmen musste. Dass Edward Snowden in den Sequenzen von Citizenfour erfrischend uneitel agiert, dabei stets Sachfragen und nicht seine eigene Person in den Vordergrund stellt, trägt nicht unwesentlich zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Obwohl das Ausmaß der Überwachung dank Snowdens Materialien ja mittlerweile detailliert publiziert wurde, lösen seine ersten Einblicke, die er Greenwald und Poitras in jenem Hotelzimmer gab, immer noch ungläubiges Kopfschütteln aus. Citizenfour dokumentiert diese Momente auf unprätentiöse Art, gerade diese betont schlichte Form generiert jedoch ein Höchstmaß an Intensität, die der Brisanz des Themas mehr als gerecht wird.
Daniel Ellsberg, der 1971 die geheimen „Pentagon-Papiere“ öffentlich und damit systematische Täuschungen von Regierungsseite in Bezug auf den Vietnamkrieg publik machte, wurde niemals angeklagt und galt in den Vereinigten Staaten schon bald – übrigens völlig zurecht – als Musterbeispiel eines kritischen, engagierten Bürgers, der seinem Gewissen folgte und letztendlich durch Aufdecken das demokratische System gestärkt hatte. Ob Edward Snowden in seiner Heimat auch ähnliches zuteil wird, bleibt allerdings abzuwarten – gegenwärtig muss er noch immer in Russland Zuflucht suchen.