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Clint Eastwood – Play Eastwood for me

Play Eastwood for me

| Mike Beilfuß |

Während seine Arbeit als Schauspieler und Regisseur hinlänglich bekannt ist, gibt es eine andere Facette des Allrounders Clint Eastwood noch zu entdecken: die des beachtenswerten Filmmusikers.

Wortkarg, der Blick entschlossen, aber immer nach innen gerichtet. Die Mündung des Revolvers zeigt ja schon nach außen. So kennen wir Clint Eastwood aus vielen seiner Action- und Westernfilme der 60er und 70er Jahre. Ein Paradebeispiel des Lonesome Cowboy, eines Mannes, der immer auf sich allein gestellt ist.
Geredet hat er nie viel, weder in seinen Filmen noch mit seinen Kollegen. Auch in Interviews gibt sich Eastwood gerne betont maulfaul – ein Mensch, der im Film wie im wirklichen Leben eine Einheit zu sein scheint, gäbe es da nicht etwas, das diese Einheit durchbricht: die Musik, genauer gesagt, die Jazzmusik.
Gleich in seiner allerersten Regiearbeit, Play Misty for me (1971), spielt Eastwood selbst einen Jazz-DJ, der von einer Frau verfolgt wird. Und auch wenn er sich in der Folge in Filmen wie Dirty Harry (1971) oder Thunderbolt and Lightfoot (1974) seinen Weg als wortkarges, aber kerniges Raubein weiterhin freischießen musste, sollte sich fortan auch eine andere Seite des Actionhelden zeigen: In Honky Tonk Man (1982) inszeniert sich Eastwood als Gitarre spielenden und singenden Western- und Countryhelden – der natürlich auch Probleme mit Alkohol und Tabletten hat –, eine Rolle, die an den legendären Hank Williams angelehnt ist.
1988 dann Bird, der Durchbruch als Regisseur. Die gejazzte Leibhaftigkeit in Form der Lebensgeschichte des Saxofonisten Charlie Parker. In der Hauptrolle Forest Whitaker, in der unsichtbaren Nebenrolle Lennie Niehaus, Eastwoods Musikalischer Direktor und langjähriger Freund. Für den Soundtrack dieses formidablen Jazzfilms verwendet er die Originalsoli der Künstler aus den 40er Jahren. Bis heute hat Eastwood zwar keine Musikerbiografie mehr gedreht, doch Niehaus sollte fortan zu seinen engsten Weggefährten zählen und in den 90er Jahren zu Eastwoods Haus- und Hofkomponisten avancieren. Kennen gelernt hatten die beiden sich bereits während ihrer Wehrdienstzeit in der US-Army und sich durch ihre gemeinsame Leidenschaft zum Jazz nie aus den Augen verloren. An einigen Filmen aus den 70er Jahren von und mit Eastwood war Niehaus als Orchestrator beteiligt, Komponist war damals meist Jerry Fielding.

Themen und Motive

Heute teilen sich der Regisseur und sein Komponist die Arbeit an der Filmmusik. Nach einigen Filmen (etwa Pale Rider, 1985), in denen Niehaus der Credit der Filmmusik allein gebührte, gesellte sich Eastwood in Unforgiven (1992) zur musikalischen Gestaltung. Er komponierte Claudias Theme, ein melancholisches, auf der Gitarre vorgetragenes Thema. Niehaus sorgte für die wunderschönen, orchestralen Zutaten zu dieser Melodie, die auf musikalischer Ebene einen endgültigen Wendepunkt in der Karriere Eastwoods insgesamt vorweg nimmt. Denn spätestens jetzt muss angesichts dieser Komposition die Frage gestellt werden, was mit dem einstigen gefühlsarmen Revolverhelden passiert ist: Soviel Melancholie, soviel nackte Zartheit offenbart sich in dieser zurückgenommenen Melodie, dass es vor Schönheit beinahe mehr zu schmerzen scheint als ein direkter Schuss ins Knie.

Fortan ist Eastwood immer mehr der nachdenklich dreinblickende Zweifler, der allerdings, und das scheint sich wohl nie zu ändern, so wortkarg bleibt wie zu Beginn seiner Karriere. In Absolute Power (1997), diesem vermeintlichen Gangsterfilm, gibt es eine Szene, die diesen Charakter so treffend darstellt wie kaum eine andere: Ein Einbrecher dringt in ein Haus ein, als die Besitzer plötzlich zurückkommen. Von seinem Versteck aus beobachtet er einen Mord. Er schreitet nicht ein, zeigt scheinbar kaum eine Regung, während er alles mit ansieht. Wenn die Kamera in dieser Szene immer wieder über die sich nur in Nuancen verändernde Mimik Eastwoods streift, dann wird einem klar, dass der Mord in diesem Film nur ein Nebenschauplatz ist: Die Furchen in seinem Gesicht sind von anderen Sorgen gekennzeichnet, jenen der Einsamkeit. Musikalisch verleiht Eastwood dieser Einsamkeit Ausdruck mit einem Thema für seine Tochter, die mit ihrem Vater nichts mehr zu tun haben will. Ein gerade mal drei Töne umfassendes Motiv auf dem Klavier gibt er der jungen Frau (gespielt von Laura Linney), als wehmütiges Geleit seiner eigenen Hoffnungen auf eine Aussöhnung. Katie’s Theme heißt dieses Stück. Und es ist auch nur dieses eine Stück, diese eine verlorene Melodie, welche er für diesen Film komponiert hat. Lennie Niehaus sorgte für die ergänzenden Orchestrationen, für die Spannungsthemen, für alles andere, das bei einer Filmmusik noch komponiert werden muss. Je näher und dichter jedoch die Stoffe in Eastwoods Filmen werden, umso mehr scheint er auch selbst die musikalische Hauptrolle übernehmen zu wollen.

Wehmut und Tragik

Wenn in Absolute Power die Vater-Tochter-Beziehung schon eine ziemlich wichtige Rolle spielt, dann ist die ähnliche Beziehungskonstellation in dem Boxerdrama Million Dollar Baby (2004) von zentraler Bedeutung. Auch Hilary Swank bekommt in diesem Film ein ruhiges Leitthema, dieses Mal zur Abwechslung wieder auf der Gitarre. Ohne große Streicherbegleitung steht es vollkommen für sich allein, was es nicht nur wehmütig, sondern gleichsam tragisch erklingen lässt. Da deutet sich etwas Bedeutsameres an, etwas Schicksalhafteres, und als würde er die Bedeutung dieses Films für sich noch erhöhen wollen, hat Eastwood den Score zur Gänze selbst komponiert. Lennie Niehaus durfte wieder zurück ins zweite Glied und die Spannungsorchestrationen übernehmen.

Es sind immer die Frauen, die in Eastwoods Filmen die wehmütig-verlorene Melodie als Leitthema bekommen – eigentlich gilt das Thema aber immer dem Helden, dem zumeist einsamen, wenn nicht gescheiterten. In Million Dollar Baby begleitet die Gitarre zwar meistens die willensstarke Hilary Swank, das Instrument ist aber eigentlich vielmehr die Projektionsfläche des zweifelnden Lehrers, der das Schicksal seines unaufhaltsamen Schützlings vorauszuahnen scheint.

Es ist mit Sicherheit zu einem großen Teil auch dieser ausgeklügelten projizierenden Musikdramaturgie zu verdanken, dass die Filme Eastwoods gerade in der Charakterzeichnung von so hoher Intensität sind: das musikalische Leitthema gilt dem bewunderten Objekt immer aus der Sicht des Bewun-derers, und das erhöht die Anteilnahme für den vermeintlich Schwächeren. In Million Dollar Baby ist es Clint Eastwood selbst, in Mystic River (2003) ist es Sean Penn.

Auch in diesem Rachedrama wirft Eastwood ein ganz kleines, aus vier Tönen bestehendes Motiv in den Film. Doch wem soll es gelten? In diesem Film ist sie tot, die Tochter. Scheinbar war in diesem Film niemand gescheitert, niemand war allein oder hatte Probleme bis zum plötzlichen Mord an der jungen Frau. Hinterher ist die Welt aus den Fugen geraten, der für seine Stärke und Unnachgiebigkeit bekannte Vater, gespielt von Sean Penn, ringt um seine Fassung. Sein Leben scheint keinen Sinn mehr zu haben, soviel scheint ihm seine Tochter bedeutet zu haben. Am Ende macht er seinen scheinbar charakterschwachen Schwager für die Tat verantwortlich und bringt ihn um. Wem soll es gelten, dieses viertönige Motiv?

So viele Fragen, wie der Film aufwirft, so einsam er den Charakter des Schwagers, gespielt von Tim Robbins, darstellt und so verlassen man sich als Zuschauer am Ende dieses Films fühlt, genauso verliert sich dieses Motiv im Film selbst. Es ist nicht zuzuordnen, und das soll es wohl auch nicht sein. Mystic River ist der musikalisch bisher aufwändigste Film Eastwoods. Das Boston Symphony Orchestra und der Tanglewood Festival Chorus geben dem Film jedoch keinen orchestralen Bombast, sondern werden von der Intimität des kleinen Motivs beherrscht. Inmitten dieses Orchesters schimmert es mal mehr und mal weniger auf und gibt den Charakteren im Film genauso wenig Halt wie dem Zuschauer.

Wo sind die einsamen Helden auf der Suche nach Nähe geblieben? Kein Zweifel, Clint Eastwood hat sich verändert; seine Suche ist schwieriger geworden. Die musikalischen Motive lassen sich, wie die menschlichen Motive, immer schwerer finden. Doch wenn man genau gehört, kann man sie gerade in den leisen Tönen deutlich erkennen.

Flags of Our Fathers
Milan Records

Klavier und Gitarre. Natürlich sind sie wieder da, die Lieblingsinstrumente von Clint Eastwood, der diesmal allein die Musik zu seinem neuen Film komponiert hat. Die CD ist gespickt mit zeitgenössischen Songs und klassischen Stücken, die wie ein großer Teil der Original-Musik eine dramaturgisch unauffällige, aber effektive Rolle spielen. Das orchestrale Flag Theme ist wie viele andere Tracks „nur“ atmosphärische, manchmal betont heroische Untermalung. Dem entgegen stellt Eastwood seine bewährten zurückgenommenen Klavier- und Gitarrenthemen, die sich den Charakteren widmen und deren Verlorenheit betonen. Von Heroismus ist da nicht viel zu spüren: Im Gegenteil sind gerade diese Momente typisch für Eastwood, der so eindrucksvoll den scheinbaren Kontrast zwischen Gewalt und Alleinsein akzentuiert.