Identitätskrise, Selbstverlust, Positionsbestimmung – Olivier Assayas unternimmt in „Clouds of Sils Maria“ eine Reise in die Psyche und vermisst unterwegs ein weites Feld.
Die international hoch angesehene Schauspielerin Maria Enders ist unterwegs nach Zürich, um dort stellvertretend für den öffentlichkeitsscheuen Dramatiker Wilhelm Melchior eine Ehrung in Empfang zu nehmen. Die Rolle der jungen Verführerin Sigrid in Melchiors Drama „Maloja Snake“ hatte Enders einst berühmt gemacht, nun steht sie in Verhandlungen mit dem aufstrebenden deutschen Theaterregisseur Klaus Diesterweg, der das Stück wiederaufführen will. Diesmal jedoch soll Enders die Rolle der älteren Geschäftsfrau Helena übernehmen, die sich in Sigrid verliebt und über deren Verrat und Verlust schlussendlich Selbstmord begeht. Noch während Maria Enders mit der diesem Vorschlag inhärenten Erkenntnis ihres eigenen Älterwerdens hadert, erreicht sie die Nachricht von Melchiors Tod, möglichem Selbstmord. Die Ehrungsfeierlichkeit gerät zur Gedenkveranstaltung und Diesterwegs Vorschlag erhält die Anmutung des Vermächtnisses ihres Mentors.
Maria Enders nimmt an und zieht sich mit ihrer jungen Assistentin Valentine in Melchiors bei Sils Maria gelegenes Chalet zurück, um das Stück erneut zu proben. Und bald schon geraten Marias Erinnerungen an ihre damalige Figurenauffassung in Konflikt mit Valentines gegenwärtiger Rollenkonzeption, vergangene Jugend trifft auf heutige, Neid, Bitternis und Angst resultieren daraus. Kompliziert wird die Situation durch die Besetzung Sigrids mit dem skandalumwitterten Hollywood-Starlet Jo-Ann Ellis, dessen Affäre mit einem verheirateten Schriftsteller nicht nur unerwünschte Paparazzi-Publicity mit sich bringt, sondern Enders auch den Wandel der Zeiten sowie die Differenz zwischen anspruchsvoller Unterhaltung und Mainstream-Entertainment vor Augen führt.
Als wäre all dies nicht schon kompliziert genug, sorgen die drei Starschauspielerinnen Juliette Binoche, Kristen Stewart und Chloë Grace Moretz, die Olivier Assayas (Interview) in den Hauptrollen seines Films Clouds of Sils Maria besetzt hat, für zusätzlichen Brennstoff: insofern nämlich die medialen Images von Binoche, Stewart und Moretz ihre jeweiligen Figuren wie die Story insgesamt mit Splittern von Wirklichkeit und gelebtem Schauspielerinnen-Leben durchdringen, damit Möglichkeiten für Spiegelungen bieten und zunehmend vertrackte Metaebenen in die Geschichte einziehen. Maria Enders und Valentine, Juliette Binoche und Kristen Stewart, Sigrid und Helena, Maria Enders und Jo-Ann Ellis, Juliette Binoche und Chloë Grace Moretz. Schier unübersehbar sind die Über-Kreuz-Beziehungen der Figuren und ihrer Darstellerinnen, sind die gegenseitigen Kommentierungen von Wahrheit und Fiktion, sind die Quer-durch-die-Zeiten-Verweise in dieser Erzählung über die alternde Schauspiel-Diva, deren Krisen-spiegelnde Assistentin und das Hollywood-Starlet, das als Katalysator fungiert. Ein Triangel unterschiedlicher Interessen und Begehrlichkeiten (auch aneinander), dessen herausragende Besetzung mit erstklassigen Schauspielerinnen das ihrige beiträgt zur Eindringlichkeit dieses zwischen Eitelkeit, Selbstzweifel, Melancholie, Celebrity-Kult und Unschuldsverlust nach der Wahrheit eines Künstlerlebens und nach der Gültigkeit der Kunst suchenden Films.
Denn nicht zuletzt reflektiert Assayas, der Clouds of Sils Maria nach eigenem fulminant geschriebenem Drehbuch souverän inszeniert hat, in diesem Werk auch sein bisheriges Œuvre und unterzieht seine Position als Regisseur, der zwischen massenkompatiblem Kino und Arthouse-Film unverdrossen den eigenen Weg sucht und immer wieder findet, der kritischen Betrachtung. Und so liegt die, wenn man so will, Leistung seines Films denn auch nicht in der feindlichen Gegenüberstellung von Kino als Ware und Kino als Kunst. Sie liegt vielmehr im Verständnis, das er für beides zeigt, in der Weisheit, mit der er das Traditionelle und das Moderne in den Blick nimmt, um es miteinander ins Gespräch zu bringen. Das Bewegende an Clouds of Sils Maria sind weniger die schmerzvollen Brüche, die darin zum Vorschein kommen als die Verbindungen, die geknüpft werden, um diese zu heilen.