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Coco Chanel & Igor Stravinsky

Filmkritik

Coco Chanel & Igor Stravinsky

| Michael Ranze |

No. 5 und das Frühlingsopfer – eine sinnliche Liaison, die unweigerlich im Bett enden musste

Schon bei den ersten Tönen des ungewohnt hohen Fagotts lacht jemand im Publikum. Später dann gemurmelte Unmutsäußerungen, schließlich lauthals geäußerte Empörung. Währenddessen gleitet die Kamera elegant zwischen Backstage, wo der Choreograf letzte Anweisungen gibt, Bühne, wo sich Unglaubliches tut, Orchestergraben, wo der Dirigent stoisch weitermacht, und dem immer aufgeregter werdenden Publikum hin und her. Schließlich geht das Deckenlicht an, Gendarmen eilen in den Saal. Es ist der 29. Mai 1913. Im Théatre des Champs-Élysées in Paris findet die Uraufführung von Igor Stravinskys „Le sacre du printemps“ statt. Doch der Komponist überfordert das konservative Publikum mit seiner polytonalen Harmonik und der kunstvollen, wuchtigen Rhythmik schlichtweg, von der modernen, radikalen Choreografie Vaslav Nijinskys ganz abgesehen. Was für ein Eklat! Mehr als das: der größte Theaterskandal des 20. Jahrhunderts!

Eine Zuschauerin aber hat Spaß: Coco Chanel (Anna Mouglalis), als Mode-Designerin noch am Anfang ihrer Karriere. Oder da, wo Coco Chanel, Anne Fontaines Film über ihre Anfänge, aufhörte. Schnitt. Sieben Jahre später. Chanel lernt Stravinsky (Mads Mikkelsen) bei einer Party kennen. Inzwischen hat sie es geschafft, die Mixerei an „No. 5“ verläuft erfolgversprechend. Aus einem Impuls heraus lädt sie den Komponisten, der vor der russischen Revolution geflüchtet ist und in einer Bruchbude lebt, ein, auf ihrem Landsitz in Garches zu wohnen und in Ruhe zu arbeiten. Ein Blick zu viel, eine unabsichtliche Berührung: Man weiß von Beginn an um Chanels Absichten. Da gibt es nur ein Problem: Stravinsky hat vier Kinder und eine schwindsüchtige Gattin (Elena Morozowa) im Schlepptau.

Musik und Mode, Ballett und Parfüm, künstlerischer Ausdruck und sexuelles Verlangen – ein viel versprechendes Spannungsfeld. Doch Jan Kounen, der mit Dobermann, Blueberry und 99 francs wahrlich flottere Filme inszeniert hat, und Drehbuchautor Chris Greenhalgh, der seinen eigenen Roman adaptierte, lassen die dramaturgischen Möglichkeiten ungenutzt. Das ist alles schön anzuschauen: erlesene Dekors, tolle Klamotten (klar, sind ja auch von Chanel), elegante Kamera. Doch nach dem furiosen Beginn im Konzertsaal bewegen sich die Figuren in einem Vakuum, das weder über sie noch über ihre Beziehung etwas aussagt. Kein Hintergrund, keine Entwicklung – und das bei zwei der bedeutendsten Künstler des letzten Jahrhunderts? Haben die beiden etwa nur Liebe miteinander gemacht?