Nicolas Winding Refns zweite Miniserie erfüllt alle Erwartungen und Befürchtungen – diesmal auf Netflix
Eine Glücksbringerin soll sie sein, eine Art Magierin beinahe: Miu, eine schmächtig wirkende, wortkarge junge Frau, deren starrer Blick alles und jeden durchbohrt. Engagiert von der gebieterischen Rosella, die in ihren Kellerräumlichkeiten Zwangsprostituierte für das Bordell ihres Bruders unterbringt, soll Miu bewirken, dass die Hausherrin trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch schwanger wird, und das möglichst schnell. Nachdem sich der gewünschte Erfolg nicht einstellt und die Reaktion dementsprechend ausfällt, gelingt Miu über blutige Umwege die Flucht. Die geheimnisvolle Gestalt, der übermenschliche Gaben innewohnen, bekommt von der Betreiberin der Gastwirtschaft „Dragon Palace“, die von allen nur Mor Hulda (Mutter Hulda) genannt wird, Unterschlupf gewährt und stolpert von dort aus in die Drogen- und damit verbunden Leichen-getränkte Unterwelt Kopenhagens.
Während sich Miu in verschiedenen zwielichtigen Rollen bewährt – stets von zahlreichen knallharten Gangstern umringt –, bemüht sie sich auch noch um die Befreiung von Mor Huldas Tochter aus den Fängen eines Mafiabosses mit Migräne und versucht, einem vampirhaften Frauenmörder, der mit seiner nicht minder sonderbaren Eltern ein groteskes Dasein in einem Schloss führt, den Garaus zu machen. All dies ist, wie bei Refn nicht anders zu erwarten, von minutiös ästhetisierter Gewalt, hoch artifiziellen Lichtarchitekturen und träumerisch-rauschhaften Synthklängen geprägt – Immersion als unverhandelbares, singuläres Ziel. Auch wenn die mysteriöse Cowboy-Figur – mehr als nur einmal betont jemand, Miu sähe aus wie ein kleiner Junge –, scheinbar aus dem Nichts von Station zu Station reitet, um dort Unheil für die einen und Erlösung für die anderen zu bringen, und sich so ein Spannungsbogen bis zu einem Showdown (der teilweise frappierend an Only God Forgives [2013] erinnert) in der letzten Episode ausmachen lässt, lebt Copenhagen Cowboy hauptsächlich von dieser unbeirrt stilsicher realisierten audiovisuellen Gestaltung.
Weil NWRs – die Initialen des dänischen Auteurs sollen im Intro weiter als Trademark etabliert werden – zweite für einen Streaming-Giganten produzierte Serie die vorige nicht nur hinsichtlich Optik und Atmosphäre nahtlos weiterschreibt, sondern auch thematisch große Anknüpfungspunkte erkennbar sind, ist es erhellend, die neue Netflix-Serie mit dem für Amazon Prime produzierten Großwerk Too Old To Die Young (2019) im Hinterkopf zu erleben. Denn neben der Vorherrschaft von schnörkellosen Seitwärtskamerafahrten, stoischer Mimik und dem über alles liegenden Flair einer zum Kunstfilm mutierten Mode- oder Designkampagne, setzt sich in den Figuren von Copenhagen Cowboy einiges fort, allen voran in der Protagonistin: Wie in Too Old … gegen Ende hin immer stärker angedeutet, hebt sich inmitten des apokalyptischen, durchgestylten Sumpfes eine weibliche Figur als ungreifbare, schier unbesiegbare Retterin empor. Freilich unter der Verwendung der gleichen Mittel, der sich alle ihre vorwiegend männlichen Widersacher bedienen – also rasender, tödlicher Gewalt – sind einmal Yaritza und nun, diesmal im Zentrum der Geschichte, Miu, viel weniger menschliche Subjekte als Rachegöttinnen höherer Wesensart; NWR erzählt weniger Frau als Mythos. Obwohl – back to the roots – wieder im Rauschmittel-Underground der dänischen Hauptstadt angesiedelt und nicht im glitzernden Los Angeles, überholt das Übersinnliche, Absurde und auch Komische in der neuen Miniseries die anderen Komponenten aber sogar deutlich. Die vermögende Familie, mit der sich das Schicksal der Hauptfigur diesmal fatal verstrickt, trägt zu beidem einiges bei: In versteckten Räumen des herrschaftlichen Domizils liegen Särge, im finalen Akt wird durch ein Ritual zum Leben erweckt, andererseits zeigt ein irrwitziger Vater skurrile Kurzauftritte, in denen sich NWR nicht ohne Selbstironie – und er setzt sich hier auch physisch ins Bild – über den Primat das Phallischen im männlichen Denken und Handeln lustig macht. Und zu guter Letzt betreibt diese nette Kleinfamilie auch die Schweinezucht, von der unter anderem die Restaurantbetreiberin Mor Hulda Schweine bezieht. Die vielschichtige Präsenz der als Allesfresser geltenden Tiere, die sich durch die ganze Serie zieht, bedeutet gleich eine Mehrzahl möglicher Allegorien, die manche als zu offensichtlich und manche als gekonnt empfinden werden. Und ist somit – wie Copenhagen Cowboy als pompöses, chaotisches Ganzes – eine weitere Säule der Geschmacksspaltung, wie sie Nicolas Winding Refn virtuos zu errichten zweifellos noch lange nicht müde wirkt.