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Adults in the Room

Crossing Europe Extracts

Ein Mann mit Haltung

| Jörg Schiffauer |
Im Rahmen von Crossing Europe Extracts feiert „Adults in the Room“, die aktuelle Regiearbeit von Costa-Gavras, ihre Österreich-Premiere. Ein kleiner Rückblick auf das Œuvre des Großmeisters in Sachen engagierter Politthriller.

Als Griechenland am Morgen des 21. April 1967 erwachte, war nichts mehr so wie noch am Tag zuvor. Ein Teil des Militärs hatte sich über Nacht gewaltsam und widerrechtlich an die Macht geputscht, bis 1974 sollte das Unrechtsregime der Obristen das unglückselige Land und seine Bevölkerung im Griff behalten. Nur zwei Jahre nach der Machtergreifung entstand jener Film, der, nur wenig verklausuliert, den Weg in die Diktatur so trefflich darzustellen verstand und damit zu einer stilbildenden Arbeit im Sub-Genre Politthriller werden sollte – Z von Costa-Gavras.

Dass der Regisseur auf die politische Situation in seiner Heimat mit künstlerischen Mitteln recht prompt reagieren konnte, war der Tatsache geschuldet, dass er bereits 1954 zum Studium nach Frankreich gekommen war. Konstantínos Gavrás – so sein eigentlicher Name – wurde am 12. Februar 1933 in Loutra Iraias, Arkadien, geboren. Knapp nach Ende des Zweiten Weltkriegs übersiedelte seine Familie nach Athen. Weil sein Vater auf Seiten des kommunistischen Widerstands gegen die Nazis gekämpft hatte, wurde es Costa-Gavras in den Nachwehen des bis 1949 andauernden griechischen Bürgerkriegs verunmöglicht, einen Studienplatz zu bekommen. Nachdem er zunächst ein literaturwissenschaftliches Studium an der Sorbonne aufgenommen hatte, wechselte er an das Institut des Hautes Études Cinématographiques.

Engagiertes Kino

Mit Compartiment tueurs (Mord im Fahrpreis inbegriffen, 1965), einer stilsicheren Mischung aus psychologischen Drama und Krimi, bei dem Größen des französischen Kinos wie Yves Montand, Simone Signoret, Jean-Louis Trintignant und Michel Piccoli mitwirkten, gelang Costa-Gavras ein beachtliches Regiedebüt. Doch bereits mit seinem nächsten Film, Un homme de trop (Ein Mann zuviel, 1967), verwies Costa-Gavras deutlich, in welche Richtung seine Arbeit gehen sollte. Eine Einheit der Résistance holt bei einer Befreiungsaktion neben ihren Kampfgefährten einen weiteren, ihnen zunächst unbekannten Mann aus einem deutschen Gefängnis heraus, der notgedrungen bei der Truppe bleiben muss. Doch die Unsicherheit, ob der Mann nicht vielleicht ein Spitzel ist und wie man auf bloßen Verdacht mit ihm verfahren soll, stürzt die Freiheitskämpfer bald in ein moralisches Dilemma. Un homme de trop repräsentierte bereits die klare politische, humanistische Haltung, die sich wiederholt in der filmischen Arbeit von Costa-Gavras widerspiegeln sollte. Besonders deutlich brachte er diese mit Z zum Ausdruck. Obwohl in einem fiktiven Staat angesiedelt, sind die Parallelen zur politischen Situation Griechenlands unverkennbar. Den dramaturgischen Hintergrund bildet die Ermordung eines oppositionellen Politikers bei einer Kundgebung – deutlich angelehnt an die Ereignisse um den gewaltsamen Tod von Grigoris Lambrakis – und die sich anschließenden Ermittlungen eines engagierten Untersuchungsrichters.

Anhand dieser Ereignisse zeichnet Costa-Gavras mit eindringlicher Präzision den Weg Griechenlands in die Diktatur, der in dem eingangs erwähnten Militärputsch von 1967 gipfelte, nach. Z ist ein herausragendes Beispiel für jene Filme der sechziger und siebziger Jahren, die soziale und politische Themen – vornehmlich in Form hochspannnender Krimis und Thriller – auf die Agenda zu setzen verstanden. Costa-Gavras vertrat wie etliche andere Proponenten – zu seinen künstlerischen Mitstreitern bei Z zählten etwa der für den Score verantwortliche Mikis Theodorakis und Ko-Drehbuchautor Jorge Semprún – dieses politisch engagierten Kinos dezidiert linke Positionen, doch agierte er dabei keineswegs dogmatisch und behielt stets den Blick für Unrecht, egal von welcher Seite dies ausging. L’Aveu (Das Geständnis, 1970) thematisiert etwa das Schicksal des tschechischen Kommunisten Artur London, dem Anfang der fünfziger Jahre mit haltlosen Spionagevorwürfen ein Schauprozess gemacht wurde, dabei formuliert Costa-Gavras eine Anklage gegen den Totalitarismus stalinistischer Prägung.

Mit État de siège (Der unsichtbare Aufstand, 1972) gelang ihm ein Musterbeispiel von politisch engagiertem Kino in publikumswirksamer Form. Darin nützt Costa-Gavras die tatsächlichen Geschehnisse um die Entführung und Ermordung des CIA-Mitarbeiters Daniel Mitrione in Uruguay, um die Methoden der autoritären Regimes Lateinamerikas und die Interventionspolitik der USA in dieser Region anzuprangern. Dabei wird der von Yves Montand gespielte Protagonist Philip Michael Santore, der offiziell als US-Experte für Verkehrsfragen gilt, tatsächlich jedoch den örtlichen Polizeiapparat berät, von der Untergrundbewegung der Tupamaros gekidnappt. Im Verlauf seiner Gefangenschaft wird er von der Stadtguerilla einem Verhör unterzogen, das in geradezu prophetischer Sicht dem Diskurs ähnelt, der sich 1977 zwischen Hanns Martin Schleyer und seinen RAF-Entführern entwickeln sollte. Schließlich gesteht Santore seine Kollaboration – und damit auch die der USA – mit dem autoritär agierenden Regime ein. Das reagiert mit immer drastischeren Maßnahmen, was zu einer zunehmenden Radikalisierung führt, von der – auch das wird bei État de siège keineswegs ausgeblendet – auch die zunächst idealistisch agierende Widerstandsbewegung nicht ausgenommen ist.

In Section spéciale (Sondertribunal, 1975) thematisierte Costa-Gavras anhand von Vergeltungsmaßnahmen, die das Vichy-Regime auf Drängen der deutschen Besatzungsmacht gegenüber der eigenen Bevölkerung exekutiert, die Rechtlosigkeit und Inhumanität die unter autoritären Regimes vorherrscht. Mit Die Liebe einer Frau (Clair de femme, 1979) unternahm er einen unkonventionellen Abstecher in ein mit Romy Schneider und Yves Montand hochkarätig besetztes Beziehungsdrama, ehe er sich in Missing (Vermisst, 1982) wieder seinem ureigensten Metier zuwandte und einen hochpolitischen Stoff aufgriff. Der fulminante Politthriller – Costa Gavras’ erste US-Produktion, die Hauptrollen übernahmen Jack Lemmon und Sissy Spacek – beleuchtet die unheilvolle Rolle, die die Vereinigten Staaten bei dem Militärputsch in Chile 1973, der in der blutigen Diktatur Augusto Pinochets mündete, spielten. In der auf wahren Begebenheiten basierenden Geschichte um die Ermordung des US-amerikanischen Journalisten Charles Horman, der in den Wirnissen des Umsturzes von chilenischen Militärs verschleppt und getötet wurde – und dies, so die schlüssige Sicht von Missing, zumindest mit billigendem Wissen von amerikanischer Seite. Der zum Zeitpunkt des Militärputsches in Chile amtierende US-Botschafter reichte sogar eine Verleumdungsklage ein, während des Rechtsstreits durfte Missing in den Vereinigten Staaten nicht aufgeführt werden. Die Klage wurde schlussendlich abgewiesen, Missing erheilt renommierte Preisen wie die Goldene Palme in Cannes und einen Oscar in der Kategorie Bestes adaptiertes Drehbuch.

Konfliktbreitschaft

Brisante Stoffe blieben weiterhin im Zentrum von Costa-Gavras’ Regiearbeiten. Betrayed (Verraten, 1988) legt die verstörende Innenansicht eines radikalen Suprematisten offen, der nach außen als bieder Amerikaner auftritt, Music Box thematisiert anhand einer Vater-Tochter-Beziehung (gespielt von Armin Mueller-Stahl und Jessica Lange) individuelle Schuld und Verantwortung eines Kriegsverbrechers der faschistischen ungarischen Pfeilkreuzler. Amen. (Der Stellvertreter, 2002) basiert auf Rolf Hochhuths höchst kontrovers aufgenommenem Drama, das sich mit der Rolle des Vatikans gegenüber dem Holocaust höchst kritisch auseinandersetzt. In Le Couperet (Die Axt, 2005) nimmt Costa-Gavras mit tiefschwarzem Humor die rücksichtslosen Praktiken der modernen Arbeitswelt zielsicher aufs Korn.

Seine neue Regiearbeit Adults in the Room ist auch eine Art von filmischer Heimkehr, setzt sich doch Costa-Gavras – der seit vielen Jahrzehnten in Frankreich lebt – erstmals seit Z wieder mit der politischen und sozialen Situation Griechenlands auseinander. Hier greift er präzise und wie gewohnt hochspannend ein Thema der jüngsten Zeitgeschichte auf, das nichts an Aktualität eingebüsst hat. Als sich 2015 die Staatsschuldenkrise Griechenlands auf einem Höhepunkt befindet, sieht sich Finanzminister Yanis Varoufakis (gespielt von dem in seiner griechischen Heimat sehr populären Christos Loulis) mit Forderungen von Seiten der Eurozone konfrontiert, die die ökonomische und soziale Lage Griechenlands drastisch verschlimmern würden. Seine Kompromissvorschläge werden jedoch von nahezu allen Entscheidungsträgern der europäischen Union systematisch abgeblockt, wobei sich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (Ulrich Tukur) als besonders unnachgiebig erweist. Basierend auf einem von Varoufakis verfassten Buch über jene schicksalhaften Wochen konzentriert sich Costa-Gavras mit dem für ihn typisch analytischen Blick auf jene Verhandlungen in den Zimmern der Macht, die immer mehr zu Ritualen erstarren. Politische Entscheidungen auf höchster Ebene mutieren zu einer Farce, hinter der jedoch eine moderne griechische Tragödie sichtbar wird.

 

Mit offenen Augen