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Crossing Europe 2013

| Jörg Schiffauer |

Ein Platz neben Maria Georgiadou

Mit einer durchwegs positiven Bilanz ging die zehnte Auflage von Crossing Europe am vergangenen Sonntag zu Ende. Im Verlauf der sechs Festivaltage konnten rund 20.000 Besucher verbucht werden, womit das Rekordergebnis des Vorjahrs beinahe wieder erreicht wurde. Doch auch abseits von Zahlen und Statistiken gelang es Intendantin Christine Dollhofer und ihrem Team, das Linzer Festival programmatisch mittlerweile neben Viennale und Diagonale als eine der drei großen Filmkulturveranstaltungen Österreichs zu etablieren. Die Jubiläumsausgabe war auf jeden Fall ein schlagender Beweis dafür, dass die Schwerpunktsetzung auf junges, eigenwilliges europäisches Kino abseits des Mainstreams regen Zuspruch von Seiten des Publikums erfährt.

Durchaus als Signal zu verstehen war deshalb auch, dass das Filmland Griechenland sehr stark im Programm vertreten war, sind doch dortige Filmschaffende sehr stark vom rigiden Sparkurs betroffen. Trotz der enorm schwierigen Produktionsbedingungen fanden sich im Wettbewerb von Crossing Europe zwei Filme, die die angespannte ökonomische und soziale Situation widerspiegeln. Mit formal extrem reduzierten Mitteln zeigt Ektoras Lygizos auf drastische Art und Weise in Boy Eating the Bird’s Food die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das Individuum – eine Tour de Force, die mit dem Award European Competition ausgezeichnet wurde. Nicht weniger beeindruckend wie Regisseurin Constantina Voulgari in A.C.A.B. All Cats Are Brilliant? anhand ihrer Protagonistin – nuanciert von Maria Georgiadou gespielt – das Porträt einer jungen, verlorenen Generation im heutigen Griechenland zeichnet.

Gerade einmal über ein Budget von 5000 Euro verfügte Gerasimos Rigas für seinen Dokumentarfilm 100 (Alexandras 173, Athens). Trotz – oder vielleicht sogar gerade deswegen – gelang ihm eine bemerkenswerte Arbeit. Mit der Fokussierung auf die Notrufzentrale der Athener Polizei und den dort pausenlos eingehenden Anrufe richtet Rigas den Blick auf eine moderne Metropole im Spannungsfeld zwischen alltäglichen Banalitäten, sozialen Konflikten, zunehmenden Aggressionen und daraus resultierenden Tragödien.

Die Kontinuität der Programmgestaltung von Crossing Europe zeigt sich auch daran, dass das Festival entlang seines zehnjährigen Bestehens die Karriere mancher Regisseurinnen und Regisseure gleichsam mitbegleitet hat. Pia Marais – persönlich zu Gast bei der Jubiläumsausgabe – war bereits 2007 mit ihrem Spielfilmdebüt Die Unerzogenen mit dabei. Ihre nächste Regiearbeit Im Alter von Ellen – übrigens einer der fünf Filme, die mittels Online-Voting vom Publikum für einen kleinen Rückblick aus allen bisherigen Festivals gewählt worden war – fand 2011 Eingang in den Wettbewerb, mit ihrem neuen Film, dem Thriller Layla Fourie, war sie diesmal in der Sektion Panorama vertreten. Die Dokumentarfilmerin Helena Trestikova, diesmal mit Private Universe dabei, konnte schon bei 2009 mit dem Porträt eines Kleinkriminellen, René, beeindrucken. Nanouk Leopold, die mittlerweile zu den etablierten europäischen Filmautorinnen zählt, wurde 2011 mit einem Tribute gewürdigt, ihr neuer Film It’s  All So Quiet zählte zu Höhepunkten des diesjährigen Festivals.

Die Vielschichtigkeit europäischen Filmschaffens zeigt sich aber auch – abseits des traditionellen Autorenkinos – an der Reihe „Nachtsicht“, die ausgewählten Arbeiten aus Genres wie Horror und Fantasy präsentiert, wie etwa den visuell beeindruckenden Sci-Fi-Thriller Aurora der litauischen Regisseurin Kristina Buozyte.

Die oberösterreichische Filmszene hat mit in der Programmschiene „Local Artists“ ihren fixen Platz im Rahmen von Crossing Europe gefunden – mit offensichtlich nachhaltigem Erfolg, wurde doch die Doku über die Linzer Underground-Szene der achtziger Jahre Es muss was geben von Christian Tod und Oliver Stangl in die bereits erwähnte Rückschau gewählt und vor vollem Haus wiederaufgeführt.

Neben seiner exzellenten Programmgestaltung, die die unterschiedlichen Facetten europäischen Filmschaffens deutlich macht, bleibt von Crossing Europe aber auch jene charakteristische familiäre, entspannte Atmosphäre im Gedächtnis, die abseits von Red-Carpet-Attitüde den besonderen Charme des Festivals ausmacht. Da kann es schon vorkommen, dass man eines Samstag nachmittags im Kino Maria Georgiadou als Sitznachbarin vorfindet. In diesem Sinn – auf die nächsten zehn Jahre Crossing Europe, mindestens!