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Crossing Europe – Europas Schnittstelle

Europas Schnittstelle

| Tiziana Arico |

Das Internationale Filmfestival Crossing Europe in Linz zeigte in seiner dritten Auflage insgesamt 160 Filme aus 27 Ländern. Ein Nachbericht.

Tendenzen eines zukünftigen Europa aufzuzeigen, die Vielfalt des europäischen Autorenkinos zu präsentieren und die Grenzen in den Köpfen zu überwinden: Das sind die erklärten Ziele, die sich Intendantin Christine Dollhofer für ihr Festival an der Donau gesetzt hat.
Am Eröffnungsabend gab es davon gleich mehrere Kostproben: der Science-Fiction-Film The Wild Blue Yonder von Werner Herzog und das von Marc Bauder gestaltete Porträt Der Kommunist über Ernst Kaltenegger, KPÖ-Klubobmann im steirischen Landtag, liefen ebenso über die Leinwand wie die zartbittere tschechische Liebesgeschichte Stesti (Something Like Happiness) von Bohdan Slama und der Reisefilm Aus der Ferne des deutsch-türkischen Thomas Arslan. Letzterer hatte für seine Österreich-Premiere Linz gewählt, obwohl er auch ein Angebot der Viennale erhalten hatte, so Arslan in der anschließenden Diskussion. Es war dies eines von mehreren Signalen dafür, dass sich das noch junge Festival in Österreich und über die Grenzen hinaus einen fixen Platz in der Festivallandschaft erkämpft hat.

Angenehm belebt, mit mehr internationalen Gästen bestückt und trotzdem weiterhin überschaubar: So lässt sich die Entwicklung des Festivals treffend beschreiben. Der Großteil des heurigen Programms bestand aus Filmen, die schon in Venedig, Berlin, Cannes, Rotterdam oder San Sebastian gelaufen sind, so Dollhofer, dort aber zu wenig Aufmerksamkeit bekamen. Ein Punkt, an dem Crossing Europe nachhaken will. Vor allem Erstlings- oder zweiten Arbeiten soll geholfen werden, einen Verleih zu finden.

Kein leichter Weg ins Kino

Im Wettbewerb Europäisches Kino standen zehn aktuelle Spielfilme junger Regisseure zur Diskussion, die sich mit dem Europa der Gegenwart auseinandersetzen. Zusätzlich zum Crossing Europe Award 2006 (dotiert mit 10.000 Euro) wurde auch erstmals der ray-Publikumspreis vergeben (dotiert mit 5.000 Euro). Beim Kauf einer Kinokarte für einen der zehn Beiträge wurden Abstimmungskarten ausgeteilt, mit denen die Filme nach der Vorstellung bewertet werden konnten. Der ray-Publikumspreis soll, ganz im Sinne des Festivals, einen zusätzlichen Anreiz für Verleiher schaffen, einen Film zu kaufen. Im vergangen Jahr schafften es mit Le Grand Voyage und My Summer of Love gerade einmal zwei Crossing-Europe-Filme regulär ins Kino.

Der Preisträgerfilm des Crossing Europe Award 2006, Gisela von Isabelle Stever (Regie und Mitarbeit am Drehbuch), beruht auf dem gleichnamigen deutschen Pop-Roman von Anke Stelling und Robby Dannenberg. Im Mittelpunkt steht die verheiratete Gisela, die zwei Herumtreiber kennen lernt. Als sie mit einem der beiden ihre sexuellen Phantasien auslebt, reagiert der andere mit destruktivem Verhalten.

Beim Publikum an erster Stelle rangierte Kontakt von Sergej Stanojkovski. Der in Mazedonien und Deutschland produzierte Spielfilm erzählt die Liebesbeziehung zweier am Rande der mazedonischen Nachkriegsgesellschaft lebenden Menschen. Dreiecksbeziehungen und Transgressionen zogen sich heuer als Themen durch mehrere Crossing Europe Filme: Douches Froides von Antony Cordier aus Frankreich erzählt die Geschichte eines ehrgeizigen Jugendlichen aus der Arbeiterklasse. Der Judofanatiker droht an der Dreiecksbeziehung mit seiner Freundin und seinem Freund zu zerbrechen. Im Dokumentarfilm Borderline Lovers von Miroslav Mandic aus Bosnien-Herzegowina kämpfen drei Liebespaare gegen religiöse und ethnische Vorurteile und wehren sich dagegen, ihre Liebe den geografischen Grenzen anzupassen.

Wie jedes Jahr wurden die Filme überwiegend in Originalsprache gezeigt, und nach den ersten Tagen hatten Serbokroatisch, Tschechisch, Hebräisch einen ähnlich vertrauten Klang wie Französisch, Italienisch und Deutsch.

Genuss für Augen und Ohren

In der Sektion Local Artist konnten sich Gisela Hesser und Gregor Stadlober mit ihrem Dokumentarfilm Wir Lawog-Frauen haben’s schön durchsetzen. Sie erhielten 6.000 Euro Preisgeld für die Auseinandersetzung mit den Bewohnern der Landeswohnbaugemeinschaft Lawog in Oberösterreich. Gut besucht waren auch die zahlreichen Rahmenprogramme des Festivals. Die Nightline versammelte die Festivalgäste Abend für Abend im OK Zentrum für Medienkunst. Live-Musiker und DJs aus Deutschland, Russland und vom Balkan lockten darüber hinaus Besucher jeden Alters. Die deutsche Schauspielerin und Sängerin Julia Hummer (Crazy, Gespenster) zum Beispiel überzeugte mit sanftem Indie-Pop.

Freche, elaborierte und mit nationalen Klischees spielende Video- und Medienkunst aus Spanien bot die Ausstellung „Mirador 06“. Beibehalten wurde die Schiene „Artist in Residence“ mit Arbeiten des russischen Medienkünstlers Viktor Aliempiev. Ebenfalls nach Linz angereist waren die Dokumentarfilmerinnen Susanne Helke und Virpi Suutari aus Finnland. Ihnen war das heurige Tribute gewidmet.

Dem Wunsch nach mehr Österreichischem trug Christine Dollhofer mit den Austrian Screenings Rechnung. Als Publikumsrenner erwies sich dabei die Mozart-Minutes-Rolle: Die 26 Einminüter wurden in Linz erstmals gesammelt auf großer Leinwand gezeigt, und auch die Treppen im Linzer City Kino waren voll besetzt. Besonders amüsant macht sich Thomas Renoldner in seinem Beitrag Mozart Party ’06 über die allseits präsente Mozart-Vermarktung lustig; diese habe ihn zur animierten Kastration veranlasst, so der Regisseur in der Diskussion nach der Vorstellung.

Nach sechs Tagen Kino, kurzen Nächten, rund 150 Kinovorstellungen und vielen Publikumsgesprächen verbuchte Intendantin Dollhofer ein Besucherplus von 22,2 Prozent. Insgesamt hatten 12.000 Menschen das Festival, seine Filme, Nightlines und Ausstellung besucht. Dollhofers Bilanz in einem Satz: „Es ist toll gelaufen.“ 2007 kann kommen.