Cruella

Filmstart

Cruella

| Pamela Jahn |
Emma Stone übt sich als Super-Schurkin.

Nicht alles ist so schwarz-weiß, wie es beim Anblick der kleinen Rebellin Estella auf den ersten Blick scheint. Immerhin hat Disney sich einiges einfallen lassen, um der einst so genüsslich teuflischen Cruella de Vil aus 101 Dalmatiner (1996) jetzt ein ebenso gebührendes wie sympathisch autarkes Prequel zu schenken. Damals im Original-Real-Film (sowie in der Fortsetzung vier Jahre später) legte Glenn Close eine herrlich skrupellose Darstellung als fiese Hundepelz-Fetischistin vor. Heute macht Emma Stone es ihr nicht einfach nach, sondern kreiert in Cruella neben spektakulären Outfits ihre ganz individuelle Antiheldin: gewieft, gewagt und nie um ein kesses Wort verlegen, eine selbstbewusste Frau in extravaganten Kostümen, die seit der Kindheit mit einer gespaltenen Persönlichkeit lebt und, anstatt hilflosen Hundebabys nachzujagen, lieber auf Augenhöhe mit Ihresgleichen kämpft, um sich einen eigenen festen Platz in der Liga der größten Kino-Schurkinnen zu sichern.

Bis es jedoch so weit ist, holt das Drehbuch von Dana Fox und Tony McNamara zunächst einmal tüchtig aus, um die Hintergrundgeschichte von Estella chronologisch aufzurollen. Auf einen schweren Start in der englischen Provinz der sechziger Jahre, wo das Mädchen mit dem charakterstarken Strubbelkopf regelmäßig aneckt, folgt der geplante Umzug nach London, wo ihre alleinstehende Mutter der so ungewöhnlichen wie ungewöhnlich begabten Tochter ihren Traum von einer Karriere als Modedesignerin ermöglichen will. Allerdings kommt es bei einem mysteriösen Zwischenstopp auf dem Weg in die Großstadt zu einem Unglück, als drei abgerichtete, zähnefletschende Dalmatiner (aha!) die Mutter über eine Klippe stürzen. Fortan muss sich das kleine ausgefuchste Mädchen alleine durchschlagen, um ihren Weg in die Metropole zu finden. Als treuer Begleiter bleibt ihr lediglich der Straßenköter-Welpe Buddy, den sie kurz vor der Abreise noch eben aus einer Mülltonne gerettet hat.

Als wir Estella (jetzt mit sichtlich Spaß am Spiel von Stone verkörpert) einige Jahre später im London der Punk-Rock-Siebziger wiedertreffen, hat sie für ihre impulsive Art scheinbar ein lukratives Ventil gefunden, indem sie sich gemeinsam mit ihren Freunden Jasper (Joel Fry) und Horace (Paul Walter Hauser) sowie dem cleveren Handtaschenhündchen Wink und ihrem treuen Kumpanen Buddy als unauffällige Komplizen ihren Lebensunterhalt mit Taschendiebstahl und anderen kleinen Gaunereien verdient. Trotzdem hat Estrella ihren Traum vom Entwerfen toller Kleider längst nicht aufgegeben und fällt dank ihres hoffnungslosen Ungehorsams eines Tages endlich der reichen Fashion-Ikone Baroness von Hellman (Emma Thompson) vor die Füße, die sie unter ihre Fittiche nimmt. Doch was sie als Angestellte bei ihrer neuen Mentorin lernt, ist neben Genialität und Disziplin auch die unliebsame Wahrheit, dass von Hellman die Besitzerin der besagten Dalmatiner ist, die ihre Mutter auf dem Gewissen haben – und so greift Estella in ihrer unüberwundenen Trauer kurzerhand zur Rache als einem brauchbaren und bisweilen durchaus beeindruckenden Mittel, um sowohl ihrem Schmerz als auch einem unermüdlichen Kreativitätsdrang Luft zu machen.

Dass Cruella unmittelbar in den Nachwehen des hoffentlich vorerst letzten langen Lockdowns ins Kino kommt, ist sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Glück für den Film und kommerziell ein kluger Schachzug von Disney. Stone und Thompson schenken einander nichts und geben alles auf der Leinwand, und es macht viel Freude, ihnen bei ihrem Kampf der Mode-Rivalinnen zuzuschauen, wobei ein nicht unbeachtlicher Teil der Ehre zweifelsohne der Kostümdesignerin Jenny Beavan zusteht, die den beiden Schauspielerinnen immer wieder bemerkenswerte Outfits verpasst. Auch die anderen Cast-Mitglieder, insbesondere Estellas Ganoven-Gang und ein stets exzellenter Mark Strong, sowie das beeindruckende Produktionsdesign von Fiona Crombie machen den Film zu einem Erlebnis, das man am besten im Großbildformat genießt. Und doch will die Rechnung am Ende trotzdem nicht ganz aufgehen, bleibt ein „Aber“, das sich nicht überspielen, unter den Tisch kehren oder wegschminken lässt.

Dabei sind es weniger die zerrissene Persönlichkeit der Titelheldin oder der offensichtliche Mangel an niedlichen Dalmatiner-Welpen, die Cruella streckenweise zu einem Problemfall machen. Vielmehr merkt man Craig Gillespies Regie das Dilemma an, zwischen düsterer Vorgeschichte, Fashion-Fantasie und familienfreundlicher Unterhaltungsware die richtige Balance finden zu wollen, was dem I, Tonya-Regisseur nie wirklich lange genug gelingt. Allzu oft kann letztlich immer nur ein weiterer Knüller des Pre-Punk-Rock-Soundtracks, der passend zum Siebziger-Flair von Supertramp über die Stones, Nancy Sinatra und Electric Light Orchestra, bis hin zu Queen und The Clash reicht, den Ausgleich zwischen den einzelnen Szenen und Setpieces wiederherstellen. Die besten Dialoge bleiben sowohl Stone und Thompson als Joel Fry und Paul Walter Hauser überlassen, während der einäugige Vierbeiner Wink mit Abstand die besten Showeinlagen präsentiert. Hätte man sich mit der gleichen Sorgfalt und Hingabe auch auf die Charakterzeichnung der Hauptfigur konzentriert, wäre Cruella nicht nur ein besserer Film, sondern Emma Stone vielleicht auch der fieseste, fescheste Rachenengel dieses Kinosommers geworden.