Durchwachsener Alpen-Horror
Gretchen (Hunter Schafer) zieht ihr Taschenmesser aus dem Overall. Kurze Zeit später rast sie auf ihrem Fahrrad davon. An der Rezeption der Ferienanlage, in der sie gerade einen Nebenjob angefangen hat, geschehen seltsame Dinge. Erst übergeben sich mehrere Frauen ohne Grund. Dann wird Gretchen von einer unheimlichen Blondine im Trenchcoat gejagt.
Dabei wollte die 17-Jährige nie in die deutschen Alpen. Doch ihr Vater (Marton Csókás) hat darauf bestanden, dass sie nach dem Tod der Mutter mit seiner neuen Familie von Amerika nach Europa zieht. Jetzt sitzt sie in dem entlegenen Resort fest, das insgesamt einen so merkwürdigen Eindruck macht wie dessen Manager, Herr König, der Gretchen von Anfang an im Auge hat. Offiziell plant König ein neues touristisches Projekt, bei dessen Entwicklung Gretchens Vater und ihre Stiefmutter Beth, zwei renommierte Architekten, ihn unterstützen sollen. Aber Gretchen ahnt bald, dass auf dem Gelände etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Als sie schließlich die Herkunft ihrer mysteriösen nächtlichen Verfolgerin aufdeckt, sieht sie sich gefangen in einer alptraumhaften Realität, die sich wie eine unentrinnbare Endlosschleife anfühlt.
Tilman Singer wurde 1988 in Leipzig geboren, aber seine Begeisterung für die bayrische Berglandschaft als unheimliches Panorama ist in Cuckoo stets präsent. Der Regisseur setzt in seinem zweiten Spielfilm auf eine intensive Symbolik, die manchmal allzu offensichtlich daherkommt. Seine Stärken liegen in der Komposition, im Stimmungsaufbau, in der Leidenschaft für die Absurdität seiner Ideen. Aber umso mehr Spannung der Film aufbaut, desto deutlicher treten in der zweiten Hälfte die Lücken im Drehbuch und im Budget zum Vorschein.
Als größter Gewinn erweist sich Hunter Schafer, die dem ambitionierten Horror-Szenario auch in den weniger gelungenen Momenten Charakter und Bodenhaftung verleiht. Hinter Gretchens verstörtem Blick klafft eine offene Wunde. In ihr steckt eine junge Frau, die irgendwo zwischen stiller Trauer, einer trotzigen Anti-Haltung und den lauten Anfeindungen, die sie von außen erfährt, nach einer eigenen Identität sucht. Gerne würde man mehr darüber erfahren, was hinter ihrer versteinerten Schutzmauer vor sich geht. Aber dafür bleibt keine Zeit. Bald überschlagen sich die Schockelemente, nimmt der perfide menschliche Terror seinen Lauf. Etwas mehr Vertrauen in seine Figuren und deren erzählerisches Potential hätten dem Film gut getan.