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Dario Argento

Farben des Todes

| Michael Ranze |
Der italienische Horror-Großmeister Dario Argento im Gespräch

Dario Argento – Regisseur, Drehbuchautor, Komponist, Schauspieler, Produzent in Personalunion. Mehr noch: Argento ist eine Kultfigur, die von Fans des italienischen Giallo, benannt nach den reißerischen Taschenbuch-Thrillern mit gelbem Einband, fast andächtig verehrt wird. Ein Regisseur, der die eng gesteckten Grenzen des Genrekinos, vor allem in der italienischen Filmfabrik, sprengte. Ein Regisseur, der zum Inbegriff des gewalttätigen und blutigen Horrorfilms avancierte und trotzdem als bedeutender Auteur gilt. Ein Regisseur mit eigenem, unverwechselbarem Stil, sowohl was Farbgebung und Kameraführung als auch Beleuchtung und Ausstattung angehen. Die Farben sind bei Argento besonders kräftig und scheinen die Umgebung noch zu überstrahlen, die Kamera ist bei Argento besonders agil und neugierig, fast so, als wolle sie alles erkunden – um dem Zuschauer dann, zum Beispiel mit einem beschlagenen Spiegel, wichtige Informationen vorzuenthalten. Die perfekte Beherrschung der technischen Möglichkeiten verbindet sich dabei wundervoll mit dem, was der Regisseur sagen will. Denn unter der Oberfläche, die häufig die Maske eines Detektivfilms annimmt, verstecken sich beunruhigende Fragen nach Kausalität und Wahrnehmung. Nichts ist sicher in den Filmen Argentos. Sie machen Angst. Argento will überraschen, irritieren, erschrecken. Vor allem „Suspiria“  markiert 1976 so etwas wie einen Wendepunkt in seinem Werk, vielleicht sogar einen radikalen Umbruch. Denn die Bildfindung löst sich von der Erzählung, die allmähliche Eruption des Schreckens geht mit einem Zusammenbruch der narrativen Logik einher. Argentos visuelle Vorstellung hat hier absoluten Vorrang, ein Kaleidoskop glühender Bilder verleiht dem Horror so etwas wie Poesie. Und wenn ein Kinderlied ertönt, so wie in „Profondo Rosso“ (1975), wird es besonders gemein.

Dario Argento wird 1940 in Rom als Sohn des Produzenten Salvatore Argento und der brasilianischen Fotografin Elda Luxardo geboren. Er arbeitet zunächst als Filmkritiker für die römische Tageszeitung „Paese Sera“, um dann zusammen mit Bernardo Bertolucci und Sergio Leone das Drehbuch zum Italowestern aller Italowestern zu schreiben: „C’era una volta il West“ (1968). Regiedebüt 1970 mit „L’uccello dalle piume di cristallo”, einem spannenden und realistischen Thriller. „Il gatto a nove code“ und „Quattro mosque di velluto grigio“ folgen – frühe Filme, die von Fans besonders geschätzt werden. „Suspiria“ legt dann den Grundstein für barocke Fantasien wie „Inferno“ (1979), „Tenebre“ (1982) und „Opera“ (1987). Zusammen mit seinem amerikanischen Freund George A. Romero dreht Argento 1990 „Due occhi diabolici“, einen zweiteiligen Episodenfilm nach Geschichten von Edgar Alla Poe. „Trauma“ entsteht drei Jahre später mit seiner Tochter Asia, 1996 folgte „La sindrome di Stendhal“. Seine sporadischen Filme aus dem neuen Jahrtausend, zuletzt „Dracula 3D“ (2012), knüpfen noch einmal an seine Anfänge als Thriller-Regisseur an, finden aber nicht mehr den Weg ins Kino, sondern erscheinen nur noch auf DVD.

Letztes Jahr war Dario Argento beim Filmfestival von Locarno Mitglied der Jury des „Concorso Cineasti del presente“. Bei der Vorführung von „Suspiria“ ihm zu Ehren wurde er mit Standing Ovations gefeiert. Argento nahm es gelassen, fast ein wenig verlegen.

Woher kommt Ihr Interesse, Geschichten zu erzählen?

Als ich noch ein Teenager war, hatte ich schon diese Leidenschaft fürs Schreiben, Poesie, kleine Geschichten. Ich war auch begeistert von Literatur, Edgar Allan Poe zum Beispiel. Später habe ich dann lange Zeit als Journalist gearbeitet. Ich habe sogar Filmkritiken geschrieben und darum natürlich auch viele Filme gesehen. Mit dieser kritischen Annäherung machte ich mir Gedanken über die Inszenierung, die Cadrage, und andere Dinge. Später fing ich an, Drehbücher zu schreiben, zunächst nur für mich selbst. Dann habe ich das große Glück gehabt, für Sergio Leone das Drehbuch zu „C’era una volta il West“ zu schreiben. Dann habe ich noch einige andere verfasst, nicht viele allerdings. Und darum kam natürlich die Idee auf, meine Drehbücher selbst zu verfilmen und Regie zu führen. Ich habe mich also mit einem Script bei einer Produktionsfirma vorgestellt, und es wurde angenommen. Das also war mein erster Film, er war erfolgreich, und darum konnte ich weiter arbeiten. Das ist als eine sehr geradlinige Geschichte, ein Schritt folgte auf den anderen.

Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Filme?

Nun, definitiv nicht aus der Wirklichkeit und nur ganz selten aus anderen Filmen. Da sind zunächst einmal Träume, Vorstellungen, mein Unterbewusstsein. Das sind profunde psychologische Vorgänge. Meine dunkle Seite, wenn Sie so wollen. Meine Filme sind ja überall auf der Welt erfolgreich, in Europa, in Asien, in Südamerika. Ich erzähle nämlich etwas sehr Persönliches, und darum werden meine Filme überall verstanden, weil sie aus mir selbst herauskommen. Das spricht viele Menschen an.

Meinen Sie auch Leiden und Schmerz?

Nein.

Erschrecken Sie sich manchmal selbst vor Ihren eigenen Ideen?

Nicht immer. Aber manchmal schon – je nachdem, in welcher Situation ich mich befinde. Ich habe zum Beispiel Angst vor dem weißen Papier vor meinen Augen. Dann fange ich an zu schreiben, und ich sehe den Film plötzlich vor mir, so als wäre er auf einer Leinwand oder dem Bildschirm meines Laptops. Ich sehe förmlich vor mit, wie meine Ideen Gestalt annehmen. Und dieser Moment macht mir manchmal, nicht immer, schon Angst. Dann bekomme ich das Gefühl, etwas zu Tiefes angerührt zu haben.

Was halten Sie von der aktuellen Tendenz, im Film immer alles sehr realistisch aussehen zu lassen?

Ich denke da gar nicht viel drüber nach. Die interessantesten Filme sind meiner Meinung nach immer die, die die Phantasie ansprechen. Filme, die näher am Unbewussten des Autors sind als an der Realität. Manche Filme versuchen, sehr wirklichkeitsnah zu sein, und werden dann von der Realität überwältigt und überholt. Nehmen Sie nur einmal die Realität des IS mit ihren Anschlägen, die alles an Grausamkeit übertreffen, was man sich vorstellen kann.

Wie finden und realisieren Sie diese beeindruckende Farbgebungen in Ihren Filmen?

Wir wollten diese fantastischen, übertriebenen Farben realisieren, die es nur in der Imagination gibt. Und das geht nur auf Zelluloid. Heute würde man solche Farben gar nicht mehr hinbekommen. Die digitalen Farben heutzutage sind nicht mehr so schön, lebendig und kräftig wie damals. Das hat natürlich mit dem Zelluloidfilm zu tun. Zelluloid ist etwas Reales, Natürliches, Greifbares, Organisches. Zelluloid besteht aus dem, was die Natur zur Verfügung stellt. Darum sind die Farben auch exzellenter. Das digitale Blau ist nicht mehr das Blau von Kodak, und das digitale Rot ist nicht mehr das Rot von Fuji. Darum geht es.

Warum besetzten Sie Stars wie Clara Calamai in „Profondo Rosso“ oder Alida Valli und Joan Bennett in „Suspiria“ als Bösewichter?

Ich habe eine große Leidenschaft für das Kino, besonders für das alte Kino mit all seinen Diven und Stars. Wenn ich also in einem meiner Drehbücher eine Rolle für eine ältere Frau geschrieben hatte, suchte ich nach Diven, Königinnen des Kinos. Dass sie dann Schurken spielten, lag schlicht und einfach an der Rolle. Wenn Alida Valli in „Suspiria“ der Oberbösewicht ist, ist das einfach in der Geschichte festgelegt.

Glauben Sie, dass das Horrorkino immer ein Publikum finden wird oder wie alle Moden auch mal vorbei ist?

Moden kommen und gehen. Seit Jahren schon gibt es Abenteuerfilme, Liebesfilme, Science-Fictionfilme. Sie verschwinden nicht. Alles existiert, und alles co-existiert. Was sich ändert, sind die Art und Weise, sich filmisch auszudrücken und Geschichten zu erzählen. Ich habe ja auch nicht nur Horrorfilme gemacht. Meine Filme haben stets eine starke psychische Komponente. Vor kurzem wurde in Paris an der Universität einer meiner Filme gezeigt, „The Stendhal Syndrome“, und die Studenten sollten dann darüber schreiben. Die Texte waren sehr interessant, weil mich die Ergebnisse überraschten. Den Film würde ich nie als Horrorfilm bezeichnen, und die Studenten entdeckten denn auch eine große psychoanalytische Komponente.

Welcher Teil des Filmemachens gefällt Ihnen am besten, Schreiben, Filmen oder Schneiden?

Vielleicht das Schreiben. Auf keinen Fall das Schneiden. Wenn ich einen Film drehe, habe ich ihn schon im Kopf montiert. Im Schneideraum bleibt darum gar nicht mehr so viel zu tun.

Warum hat es ausgerechnet in Italien so viele Horrorfilme gegeben?

Das weiß ich nicht. (überlegt lange) Vielleicht hat das mit der katholischen Kirche zu tun. Da gibt es viele Mysterien, Heilige, Leidensgeschichten, Verbote – vielleicht trifft das in Italien auf einen fruchtbaren Boden und kann sich dort besonders entfalten.

Welche Erinnerungen haben Sie an Bud Spencer, der in Ihrem Film „Quattro mosche di velluto grigio“ mitgespielt hat.

Bud Spencer war ein sehr guter Freund von mir, und sein Tod ist ein großer Verlust für mich. Ich kannte ihn schon sehr lange. Als ich noch Drehbuchautor war, spielte er in einem Film, den ich geschrieben hatte, die Hauptrolle. (Anmerkung: Argento meint „Der Dicke ist nicht zu bremsen“, 1968 von Tonino Cervi inszeniert, 1969 entstand auch noch „Der Dampfhammer“ unter der Regie von Don Taylor und Italo Zingarelli.) Er war ein sehr guter, warmherziger Mann. Trotz seines Alters war er immer noch eine beeindruckende Figur, nicht zuletzt wegen seiner Größe und seines Gewichts. Vielleicht hätte er noch ein wenig länger leben können, wenn er nicht so schwer gewesen wäre. Aber das kann man nicht wissen.

Wird es zu „Suspiria“ wie angekündigt ein Remake geben?

Das kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Das ist eine Geschichte, die schon ganz lange zurückreicht. Vor sieben Jahren kaufte 20th Century Fox die Rechte und gaben sie an jemand anderen. Es gab auch mehre Drehbücher, mit denen man aber nicht zufrieden war. Das weiß ich aber nur aus den Zeitungen. Niemanden hat mich kontaktiert oder angerufen oder sonst mit mir gesprochen. Das ist schon eigenartig bei einem Film, der von mir stammt, bei dem ich der eigentliche Autor bin. Niemand fragt mich um Rat, weder bezüglich des Drehbuchs noch möglicher Schauspieler. Es ist ein Mysterium. Darum weiß ich auch nichts. (Anmerkung: Zur Zeit entsteht nach Argentos Drehbuch ein Remake von Luca Guadagnino mit Chloe Grace Moretz, Dakota Johnson und Tilda Swinton in den Hauptrollen. Quelle: imdb.com)