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The Fabelmans
The Fabelmans

Filmfestival | Berlinale

Das große Warten

| Pamela Jahn |
Steven Spielberg sorgt auf der Berlinale für die nötige Kino-Magie.

Etwas hat der Berlinale bisher gefehlt. Er hat diesem Festival gefehlt: Mit Steven Spielberg ist am Dienstagabend mehr als nur ein Hauch von Hollywood über den roten Teppich geweht. Den Auftrag, das Festival mit Glanz und Glamour zu versorgen, hatten zuvor bereits Schauspielerinnen wie Kristen Stewart, die heuer der Internationalen Jury vorsteht, sowie ihre Kollegin Anne Hathaway erfüllt, die in Rebecca Millers Eröffnungsfilm She Came to Me eine Psychiaterin spielt, die unter Ordnungswahn und religiösen Zwangsvorstellungen leidet. Spielberg dagegen brachte die ganze Magie des Kinos mit, die man vor allem in den Wettbewerbsfilmen dieses 73. Jahrgangs der Berlinale bisher vermisst.

Der große, vielleicht der größte Regisseur unserer Zeit stattete dem Festival einen Blitzbesuch ab, weil ihm in diesem Jahr der Goldene Ehrenbär verliehen wird – genau zum richtigen Zeitpunkt, denn gerade ist Spielberg sowieso unterwegs, um seinen neuen Film The Fabelmanns auch dem Rest der Welt vorzustellen, nachdem das Werk bereits in vergangen November in den Vereinigten Staaten gestartet war. In seinem autobiografisch gefärbten Rückblick in die 1950er Jahre, erzählt Spielberg mit viel Liebe und Gefühl indirekt seine frühe Kindheitsgeschichte aus der eigenen Perspektive. Und es ist ein besonderer Film, nicht nur für den Regisseur selbst: Was auf den ersten Blick wie ein auf Oscars getrimmtes Familiendrama wirkt, wandelt sich schnell zu einem Film, der zum Träumen einlädt und sein Publikum verzaubert, je länger man dem kleinen jüdischen Jungen Sam (Gabriel LaBelle) dabei zuschaut, wie er sich in das Kino verliebt und anfängt, seine eigenen Heimvideos zu drehen, um sich seiner Familie anzunähern.

Tatsächlich blicken auch viele der Filme, die derzeit um den Goldenen Bären konkurrieren, in die Vergangenheit zurück. Der Kanadier Matt Johnson erzählt in BlackBerry unterhaltsam und kurzweilig von der kuriosen Unternehmensgeschichte der Firma, die in den 2000er-Jahren das erste Smartphone erfand. Celine Songs Sundance-Hit Past Lives springt zwischen der Gegenwart und Kindheit seiner beiden Hauptfiguren, deren Wege sich in den neunziger Jahre in Seoul trennen und die sich beinahe ein halbes Jahrzehnt später in New York wiedersehen. Und auch die ersten beiden deutschen Beiträge begeben sich jeder auf seine Weise auf Spurensuche in eine vergangene Zeit: Emily Atef hat sich in Irgendwann werden wir uns alles erzählen dem gleichnamigen Roman von Daniela Krien angenommen, der im Sommer des Jahres 1990 in der ostdeutschen Provinz spielt. Zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung entfaltet sich darin zunächst langsam, aber dann umso heftiger die verbotene Liebe zwischen der Abiturientin Maria und dem doppelt so alten Bauern Henner und für einen flüchtigen Moment scheint es, als ob alles möglich wäre, die Freiheit, das Begehren, ein ganzes Leben im Augenblick. Margarethe von Trotta hat sich derweil der unglücklichen Beziehung zwischen dem vielleicht spannendsten Literatenpaar angenommen. In Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste rekonstruiert sie die Romanze zwischen der österreichischen Lyrikerin und dem Schweizer Autor Max Frisch in den fünfziger- und sechziger Jahren, vom ersten Kennenlernen in Paris, über das Zusammenleben in Zürich bis hin zu Bachmanns Rückzug nach Rom. Und es ist insbesondere der langwierige und schwierige Abnabelungsprozess der Schriftstellerin von der emotionalen Bindung mit Frisch, der von Trotta hier interessiert. Drumherum liefert Bachmanns Reise in die Wüste mit dem Schriftsteller und Filmemacher Adolf Opel den dramaturgischen Rahmen, der es der Regisseurin ermöglicht, Bachmanns Gemütszustand nach der Trennung zu beschreiben und der unendlichen Kraft und Schönheit ihres Denkens Ausdruck zu verleihen.

In Guy Nattivs Golda, der in der Reihe Berlinale Special gezeigt wird, porträtiert Helen Mirren auf eindrückliche und bewegende Weise die israelische Premierministerin Golda Meir während des dreiwöchigen Jom-Kippur-Krieges, der Israel im Herbst 1973 bis in die Knochen erschütterte. Aber natürlich steht auch der aktuelle Krieg in der Ukraine im Zentrum des Festivals. Vor allem Sean Penn zog gleich zu Beginn der Berlinale mit seiner von Vice produzierten Dokumentation Superpower alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Film zeigt den Schauspieler und Regisseur, wie er erstmals im November 2021 in die Ukraine reist und in Kiew bleibt, als der Krieg ausbricht. Ein Gespräch zwischen Penn und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bildet einen der Höhepunkte, die sein Ko-Regisseur Aaron Kaufmann filmt, und es ist unbestreitbar mutig von Penn, Kaufman und ihrem Team, sich davor und danach an die verschiedensten gefährlichen Schauplätze in der Kriegsregion zu begeben, um den Freiheitskampf der Ukraine darzustellen. Dass der Film letztlich jedoch eher als verschenkte Chance in Erinnerung bleibt, ist der Tatsache verschuldet, dass er zu sehr am Bild von Penn als einsamer und tapferer Held festhält, anstatt sich wirklich auf die Menschen zu konzentrieren, die noch immer in der Ukraine leben und kämpfen, und ihnen damit eine angemessene Stimme zu geben.

Am Ende ist es doch wieder Spielberg, der mit seinem kurzen Auftritt gewissermaßen die Ehre und den Ruf des Festivals retten muss. Er berichtet den Journalisten in der Pressekonferenz wie es überhaupt dazu kam, dass er sich in The Fabelmanns mit seiner eigenen Kindheit auseinandersetzt: „In gewisser Weise gab mir die Angst, die ich vor der Pandemie hatte, den Mut, meine eigene Geschichte zu erzählen.“ Und als er bezüglich der Szene im Film, in der sein junger Held den legendären Regisseur John Ford trifft, gefragt wird, was er heute an dessen Stelle einem jungen Regisseur sagen würde, der ihn um Rat fragt, antwortet Spielberg nach kurzer Pause mit weichem Blick: „Nun, ich werde nicht sagen: ‚Verpiss dich aus meinem Büro’ “, wie es Ford mit ihm machte. „Der Rat, den ich normalerweise gebe, ist nicht so sehr, wie man interessante Aufnahmen macht, sondern wie man interessante Geschichten erkennt und wie man Geschichten erzählt. Es gibt so viele Möglichkeiten, von so vielen großartigen Filmemachern zu lernen, die heute arbeiten. Ich lerne heute sogar mehr von den jungen Regisseuren und Regisseurinnen als von einigen der älteren, die vor 80-90 Jahren Filme gemacht haben, weil sie so kühne Arbeiten abliefern.“

Bisher lässt die Berlinale noch auf diese mutigen, großen, bewegenden Werke warten, von denen Spielberg spricht. Ob sich das auf der Zielgeraden noch ändert? Wir bleiben gespannt.