Anlässlich des Heimkino-Starts seines neuen Films „Astronaut“ am 10. September: ein Gespräch mit dem legendären Hollywood-Star Richard Dreyfuss, der in den siebziger Jahren das schauspielerische Alter Ego von Steven Spielberg war.
Seine bald 73 Jahre merkt man dem am 29. Oktober 1947 geborenen Oscar-Preisträger (1977 „Bester Hauptdarsteller“ für die Komödie The Goodbye Girl) beim Interview wahrlich nicht an. Eine Stunde lang nimmt er sich Zeit, gestikuliert, spielt Szenen vor und redet einen mit dem Vornamen an. Im Gespräch geht es um Steven Spielberg und die gemeinsamen Klassiker Jaws und Close Encounters of the Third Kind, um das heutige Hollywood und seine bipolare Störung.
Einer Ihrer absoluten Karriere-Höhepunkte war 1977 Steven Spielbergs Science-Fiction-Klassiker „Close Encounters of the Third Kind“. Kehren Sie jetzt im Jahr 2020 mit „Astronaut“ zu Ihren Wurzeln zurück, obwohl Shelagh McLeods Spielfilm-Debüt eher eine Familiengeschichte als ein Science-Fiction-Film ist ?
Richard Dreyfuss: In gewisser Hinsicht ja. Astronaut handelt vom Witwer Angus, der zwar noch bei seiner Tochter, deren Mann und seinem Enkel lebt, sich aber von den beiden Erwachsenen nur mehr geduldet sieht. Als ihm „Fehler“ unterlaufen, soll er entgegen seinem Einverständnis in einem Seniorenheim eine neue Bleibe finden. Er fügt sich unter innerem Protest. Einzig sein Enkel Barney, famos gespielt vom sehr talentierten Richie Lawrence, versucht sich wirklich in ihn und was ihn noch antreibt, hineinzuversetzen. Angus’ größter Wunsch seit seiner Kindheit ist, eine Reise ins All zu unternehmen. Als ein megaerfolgreiche Geschäftsmann ein Gewinnspiel veranstaltet und einen Platz für den ersten kommerziellen Weltraumflug verlost, bewirbt er sich natürlich. Der Haken dabei: Das Alterslimit liegt bei 65, und der über 70 Jahre alte, gesundheitlich zudem angeschlagene Rentner darf eigentlich nicht mitmachen. Also schwindelt er bei seinem Alter. Unter großen Mühen und schließlich auch nicht nur mit der Unterstützung von Barney, sondern von dessen Vater Jim, der selbst Probleme hat, weil ihm in seinem Job gekündigt worden ist, schafft er es unter die finalen Kandidaten. Astronaut, selbst ein kanadischer Film, ist eine Hommage an den US-amerikanischen Glauben, seine Träume zu verwirklichen. Allerdings in unsentimentaler Weise, und das hat mich an Shelagh McLeods Drehbuch vor allem gereizt. So habe ich Angus gesetzter angelegt, als ich es eigentlich selbst mit bald 74 Jahren bin. Ich wollte authentisch rüberkommen und nicht als flotter Greis, auch, wenn ich das in Wirklichkeit vielleicht bin. (zwinkert verschmitzt)
Das Zusammenspiel mit Richie Lawrence ist – wie Sie erwähnten – wirklich gelungen. Ist es schwieriger oder einfacher, mit Teenagern zu drehen?
Richard Dreyfuss: Für mich ist es definitiv einfacher, weil als Mann in mir immer noch ein Kind steckt. In gewisser Weise bin ich nie erwachsen geworden. Wie eigentlich alle Künstler. (lacht) Mit Richie zu drehen, war wirklich ein Geschenk für mich. Er ist aufgeweckt und sensibel.
Natürlich muss ich auch auf „Close Encounters of the Third Kind“ zu sprechen kommen. Spielberg zeigt – im Gegensatz zu vielen Hollywood-Filmen zuvor – eine friedliche Kontaktaufnahme durch Außerirdische. Ihr Charakter des Elektrikers Roy Neary wandelt sich förmlich vom ungläubigen Saulus zum gläubigen Paulus. Die Entwicklung findet ihren Höhepunkt in der Schlussszene, als Neary als Auserwählter mit in den Himmel und somit im symbolischen Sinn auf in das Ewige Leben steigt. Welche Erinnerungen haben Sie an den Film? Insbesondere an die Zusammenarbeit mit dem französischen Meisterregisseur François Truffaut, der hier als Wissenschaftler mitspielte?
Richard Dreyfuss: Sie sind der erste Journalist in mehr als 40 Jahren, der mich nach der Zusammenarbeit mit François Truffaut fragt. Es liegt wohl auch daran, dass Sie Europäer sind. Natürlich wusste ich im Vorfeld, wer Truffaut war! Es war eine absolute Ehre für mich, mit ihm gemeinsam vor der Kamera zu stehen. Steven Spielberg war ein riesiger Fan von ihm, vor allem von Jules und Jim. Ich übrigens auch! Unheimliche Begegnung der dritten Art handelt vordergründig von UFOs und einer verdeckten Operation der Regierung unter der Leitung des Sprachwissenschaftlers und Hauptgasts der „Montsoreau Konferenz“, Claude Lacombe, überzeugend verkörpert von Truffaut. Wie im Film konnte er kaum englisch, durfte viel französisch sprechen, da ihm ja ein Dolmetscher zur Seite stand. Erst in der Schlusssequenz, wenn die Außerirdischen, die von ihnen Jahrzehnte zuvor im Bermuda-Dreieck entführten, nicht gealterten Menschen zurückbringen und dann mich für die intergalaktische Reise auswählen, sprach er mit mir auf Englisch. Er war sehr charmant zu mir, mochte vor allem American Graffiti und Jaws. Viel hätte ich darum gegeben, einmal in einen seiner selbst von ihm inszenierten Filme zu spielen, doch dazu kam es durch seinen frühen Tod 1984 nicht mehr. Das Hauptgewicht des Plots liegt jedoch auf einer Handvoll realistisch gezeichneter Kleinstadtbewohner, aus deren Blickwinkel die Ereignisse erzählt werden. Und dazu gehöre ich als Familienmensch Roy Neary, der im Lauf der Handlung immer gestresster durch die merkwürdigen Ereignisse wird, bis er sich entspannt, als er sich nach der Devise „Sehen heißt Glauben“ von der Existenz der UFOs und seiner Insassen überzeugen kann. Das ist ein sehr optimistischer Film, der mir als Schauspieler und Mensch gut tat, weil ich seit meinem elften Lebensjahr selbst über Jahrzehnte unter einer bipolaren Störung litt.
Wie haben Sie diese in den Griff bekommen?
Richard Dreyfuss: Zur Zeit der Dreharbeiten von Close Encounters machten sich die Symptome der psychischen Erkrankung noch deutlicher bemerkbar. Ich war mal himmelhoch jauchzend, dann wieder zu Tode betrübt. Zunächst mit Alkohol, dann mit illegalen Drogen versuchte ich, dagegen anzukämpfen. Mein Oscar-Gewinn 1977 als Bester Hauptdarsteller für The Goodbye Girl erwies sich mehr als Fluch denn als Segen. Auf einmal waren meine Filme weniger kommerziell erfolgreich. Dazu kam, dass ich nach einem Autounfall 1982 sogar verhaftet wurde. Nach der Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung sowie einer erfolgreichen Lithium-Therapie schaffte ich schließlich 1986 mit Stand by Me und Down and Out in Beverly Hills ein Comeback. Mein Bad-Guy-Image wich von mir.
Welcher Film ist Ihnen als schauspielerisches Alter Ego von Steven Spielberg eigentlich näher: „Jaws“ oder „Close Encounters of the Third Kind“?
Richard Dreyfuss: Lassen Sie es mich so beantworten: Bei den Dreharbeiten zu beiden Filmen erlebte auch Steven Spielberg, der wie ich von geringer Körpergröße ist, eine Wandlung, die ich hautnah miterleben durfte. Bei Jaws wies 1975 noch nichts auf den ungekrönten Regie-König von Hollywood hin. Er war der junge Bursche aus Cincinnati in Ohio, ein Kumpel-Typ, der uns Schauspielern, also meinen leider inzwischen verstorbenen Kollegen Robert Shaw, Roy Scheider und mir, viele Freiheiten ließ. Bei Close Encounters of the Third Kind inszenierte er zwei Jahre später bereits wie ein auf einem Kran statt einem Pferd sitzender Generalfeldmarschall sein Regiment, gab ganz genaue Anweisungen. Er „führte“ einem im positiven Sinn. Als ich auf eine Fortsetzung von Close Encounters of the Third Kind drängte, winkte er ab, weil er es es bei Roys Abflug mit den Außerirdischen belassen wollte. Das tat aber unserer Freundschaft bis heute keinen Abbruch.
Sie waren – bis Adrien Brody 2003 für „The Pianist“ gewann – der mit 29 Jahren jüngste Schauspieler, der den Oscar als Bester Hauptdarsteller erhielt. Haben Sie selbst Vorbilder?
Richard Dreyfuss: Ja, als ich 15 war, sah ich Sir John Gielgud auf der Bühne „The Ages of Man“ aus Shakepeares „As You Like It“ vortragen. Das beeindruckte mich derart, dass ich meine Schüchternheit überwand und man mich als jugendlicher Fan zu seiner Garderobe vorließ, wo ich ihm persönlich für seine Performance danken durfte. Er war mein absoluter Kindheitsheld! 1987, also zwei Dekaden später, trug ich ihm einen Part in der von mir selbst geschriebenen Fernsehshow Funny, You Don´t Look 200: A Constitutional Vaudeville an, und er akzeptierte. Das bleibt mir unvergeßlich! Die Leute kamen früher aus allen Herren Länder gereist, um ihn in London oder Oskar Werner in Frankfurt am Main und Wien als „Hamlet“ zu sehen. Welcher aktuelle Hollywood-Schauspieler kann das heute von sich behaupten? Die beiden größten Hamlets des letzten Jahrhunderts spielten mit dem dritten im Bunde, Laurence Olivier, sogar in einem Film zusammen: Bei der utopischen Vatikan-Geschichte The Shoes of the Fisherman brachte sie Produzent George England 1968 zusammen.
Film- und Theater-Geschichte scheinen Steckenpferde von Ihnen zu sein. Wie sehen Sie das heutige Hollywood, gerade in Corona-Zeiten?
Richard Dreyfuss: Bei ersterem haben Sie Recht. Viele Schauspieler hatten früher mehr Berufsethos. Deshalb wirken sie auch heute oftmals überzeugender. Das heutige Hollywood ist planlos: Blockbuster bestehen fast ausschließlich aus Remakes oder Comic-Adaptionen. Und bei Corona reagieren die Studios superängstlich, verschieben fast alle Kinostarts oder setzen auf Streaming wie Disney. Auch da hat Europa mittlerweile die Nase vorn, bringt inhaltlich viel interessantere neue Filme unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen in die Lichtspielhäuser. Gute Filme gehören einfach ins Kino! Ich habe jetzt auch eine Frage an Sie.
Welche denn?
Richard Dreyfuss: Meinen Sie, dass, wenn ich im nächsten Jahr nach Berlin kommen sollte, die Leute sich dort ein Theaterstück mit mir ansehen würden?
Selbstverständlich! Das ist aufgrund seiner internationalen Einwohnerschaft der beste Ort für solch ein Unterfangen!
Richard Dreyfuss: Ich danke Ihnen!