ray Filmmagazin » Serien » Die neue Zeit – Das streitende Paar
Die neue Zeit

Serie | Die neue Zeit

Das streitende Paar

| Jörg Becker |
Eine sechsteilige Serie, „Die neue Zeit“, ein öffentlich-rechtlicher Spielfilm-Festakt zum Jubiläum der berühmtesten deutschen Kunst- und Designschule, „created by Lars Kraume“, bringt die frühen Jahre des Bauhaus nahe.

Am Ende des letzten Teils von Die neue Zeit sieht man die männliche Hauptfigur, Walter Gropius (August Diehl), als alten Herrn die Treppe seines „Gropius House“ (1938, Lincoln, Massachusetts) in sein Zimmer im ersten Stock hinaufsteigen und einen dort aufgehängten Druck betrachten, in dem die gesamte Erzählung der Filmserie wie in einem Erinnerungsartefakt aufbewahrt erscheint: „Das streitende Paar“, eine Arbeit der weiblichen Hauptfigur, der Bauhaus-Studentin Dörte Helm (Anna Maria Mühe). In diesem Bild aufgehoben ist die geheime Trauer um eine zunächst verbotene, dann verlorene Liebe – oder sollte man es (nur) eine Affäre nennen – ein versteckter Schlüssel zu einer nie gelebten Beziehung, einem womöglich ganz anderen Leben. Dieses Gefühl, zuletzt, alles Gesehene, Erzählte wiederzufinden angesichts eines Motivs daraus, auf das Die neue Zeit zurückkommt, ist eine starke Fermate des Films.

Die sechsteilige Serie zum Jubiläum des Bauhauses stellt die junge Frau in den Mittelpunkt. Sie soll den künstlerischen Aufbruch verkörpern, die begründete Hoffnung, und lässt sich mit Phantasie aufladen. Die Beziehung zwischen Dörte Helm und Walter Gropius, eine wechselseitige spannungsreiche Anziehung, bildet das Gravitationszentrum der Serie, die ansonsten in vielerlei gestalterischen Erfindungen auseinanderdriften würde, was womöglich für die Kunstbetrachtung kein Mangel wäre, allein es braucht doch stets eine Dramaturgie menschlicher Beziehungen.

1963 in New York. Walter Gropius, 80 Jahre alt, international gefeierter Architekt und Mitbegründer moderner Architektur, trifft auf die Journalistin Stine Branderup. Zwischen den beiden entwickelt sich ein Streitgespräch über die Rolle der Frauen am Bauhaus. Branderup wirft Gropius vor, Frauen an seiner Schule zwar zugelassen, letztlich aber unterdrückt zu haben. Gropius wehrt sich und erzählt die Geschichte aus seiner Perspektive. „Everybody remembers Bauhaus in black-and-white, but color ist very important“ erklärt Gropius eingangs seiner Interviewerin – und schon switcht das Bild in die Farbe über, und wird, mit Ausnahme der Einzelfotografien, so bleiben.

Man sieht einen vergangene Zeiten (1919–1925; 1963) darstellenden Spielfilm im Serienformat, der seine Geschichte – eine fiktionale Serie, die sich an historische Figuren und Ereignisse hält – für die Welt erzählen können soll: „ganz großes Kino“, geschaffen durch und für das Fernsehen, nach den Kriterien Unterhaltung, Information, Lehrhaftigkeit und Spannung. Durchweg merkt man dem Film die Verantwortung an, mit der ein „Spagat zwischen fact und fiction“ zu bewerkstelligen ist: akkurat zu sein in Sachen der historischen Ereignisse, quellennah (wozu die Drehbuchmitarbeit der Kunsthistorikerin Lena Kiessler beitrug), und allein im Privaten, nicht dokumentierten Bereich sich das Fabulieren zu gestatten, die realen Biografien dramatisieren zu können.

„Aber man macht Filme vor allem über Menschen in ungewöhnlichen Situationen“, so der Regisseur, der mit der Formel „created by Lars Kraume“ im Nachspann, wohl nach Art eines modernen Autorenfilmbegriffs, vermerkt ist. So konzentrierte man sich in der Drehbuchkonzeption auf die Biografien der Frauen des Bauhauses, nicht allein auf den Kampf, der im Geist der Schule nicht nur für gestalterische Erneuerung, eine anderes Menschenbild und gegen einen traditionellen Kulturbegriff ausgefochten wurde, sondern auch gegen die Männer des Bauhauses für Gleichberechtigung, man fragte sich, wie Beispiele von Emanzipation abliefen und die starken Frauen der Schule dennoch bis heute nahezu unbekannt geblieben sind – letztlich: wie man der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren lassen kann.

Erst nachdem ein Großteil des Drehbuchs in mehreren Fassungen mit einer fiktiven Figur konzipiert war, hatte man die nicht sonderlich gut erforschte Biografie von Dörte Helm entdeckt und ins Zentrum gerückt; von der Bauhaus-Studentin war vor allem bekannt, dass sie die Rebellischste, früh Gleichberechtigung Propagierende gewesen sei.

Eine Affinität zu historischen Themen hat Regisseur und Autor Lars Kraume, zweifacher Grimme-Preisträger (Dunckel, Studienabschussfilm der dffb, 1998, und Guten Morgen, Herr Grothe, 2007), der zwischen 2005 und 2013 den Tatort aus Frankfurt/Main inszenierte und 2007 Folgen der legendären Serie KDD (Kriminaldauerdienst) drehte, mit Der Staat gegen Fritz Bauer, 2015, sowie Das schweigende Klassenzimmer, 2018, unter Beweis gestellt. Sein Bauhaus-Film ist keine Puppenstube, er hat ihn, von der Stiftung Weimarer Klassik ermöglicht, zu einem großen Teil an vorgefundenen Originalschauplätzen in Weimar gedreht (einzig die Fassade des Bauhauses wurde, vor grünem Hintergrund aufgenommen, per VFX gestaltet), daneben in Berlin, Potsdam, Wuppertal, Köln etc., und nicht wegen der Gewerke, wie sonst bei derart aufwändigen historischen Sets oft üblich, den Dreh ins Ausland verlegt. Historienfilme wirken oft schwerfällig, auf den Bildausschnitt begrenzt. Hier indessen wurde auf die Chance des Rundum-Drehens gesetzt, also potenziell jede Szene schnittlos als Plansequenz drehen zu können, was immer wieder in der Raumanordnung mit Gropius, Dörte Helm und Johannes Itten gelang.

„Da das Bauhaus vor allem wild und frei war“, so Kraume, „dachten wir, es sei eine gute Idee, auch etwas wilder und freier zu drehen, um etwas Ungezwungenes herzustellen. (…) Die Sets sind alle extra eingerichtet, und normalerweise kann man nicht 360 Grad drehen, denn irgendwo hört die Dekoration auf. Aber uns war es wichtig, dass sich alles fast ‚dokumentarisch‘ anfühlt. Jens Harant, der Kameramann, hat alles mit der Handkamera gedreht, die Sets waren so eingerichtet, dass er überall filmen konnte, und die Schauspieler konnten sich frei bewegen in ihrem Spiel.“ Dem Bauhaus adäquat, das sich als „Schule des Erfindens“ begriff, welches über Stahlrohrstühle, weiße architektonische Kuben und flache Dächer hinausging, sollte die Kamera-Arbeit aus der Konventionalität ausbrechen, etwa durch rasante Schwenks zwischen Personen im heftigen Disput; an manchen Stellen kommt durch 16mm-Einlagen eine Poesie tonloser Eindrücke künstlerischer Arbeit in den Film, so etwa angesichts der Yoga-Exerzitien im Kreis von Johannes Itten, Leiter des obligatorischen Vorkurses und Gropius‘ Konkurrent um die Beliebtheitswerte bei den Studenten, gedreht mit Lars Kraumes alter Bolex-Kamera, an anderen Stellen sieht man Szenen ausgelassenen Nacktbadens der Studenten, ein Skandal, von dem sich das Weimarer Bürgertum peinlich berührt abwendet, im dritten Teil – „Die Märzgefallenen“ – findet man massiv gewaltsame Straßenkämpfe, in welche die studentischen Aktivisten gegen die reichsfeindlichen Kapp-Putschisten geraten, die nach wenigen Tagen durch einen Generalstreik besiegt sind, in einer Montage aus Schwarzweiß-Fotografien gefasst, und auch manche Arbeitsprozesse aus Dörte Helms Werkstatt sind in diesem Verfahren verdichtet, das Lars Kraume einem Film von Chris Marker, La Jetée (1962) übernommen hat.

Wenn man Walter Gropius im zeitgenössischen Wagen vor dem Flachdachbungalow „Haus am Horn“, dem Versuchshaus der ersten Bauhaus-Ausstellung 1923 (Entwurf von Gropius, Georg Muche, Adolf Meyer), eine Schau, um sich beim konservativen Weimarer Bürgertum respektabel zu machen, vorfahren sieht, vermag man in der gestalterischen Kontrastwirkung die ganze Erneuerung durch diese Bauhaus-Schule auf einen Blick zu erkennen. Die Verkörperung durch August Diehl, mit leuchtendem Blick und imponierender Selbstbehauptung im Sinne der Sache, der neuen Staatlichen Schule, verleiht der Person Walter Gropius‘ eine solide sympathische Grundierung, die in eklatantem Gegensatz zur Entzauberung des Mythos Walter Gropius steht, die in Bernd Polsters Gropius-Biographie „Der Architekt seines Ruhms“ (München: Hanser 2019) begangen wird.

Die Serie erzählt nicht nur von den Meistern und Schülern des Bauhaus. Sie erzählt immer auch von der neuen Kunst, die dort entstand oder weiterentwickelt wurde: Die Möbel von Marcel Breuer, die Webarbeiten von Gunta Stölzl, die Farbkreise von Johannes Itten, die Bilder Oskar Schlemmers und die Aufführungen seines Triadischen Balletts, die Fotogramme von Laszlo Moholy-Nagy – sie sollen, auch wenn man ihnen nicht wirklich näher kommt, die heimlichen Stars der Serie sein.

Der Umgang mit der Musik macht deutlich, wie das Bauhaus hier nicht einfach nur historisch korrekt, sondern auch auf ein modernes Publikum übertragbar sein sollte. Die „Bauhaus-Band“, die es damals wirklich gab, spielte den Jazz der Zeit, greift aber auch experimentell vor, versetzt ihr Spiel mit ungarischen Volksliedern, eine Mélange aus Charleston, frühen Ragtime-Ansätzen, Klezmer vielleicht, gleitet über in einen puren, percussiven, durchaus modernen Sound, der oft die rauschhaften Feiern der Bauhaus-Studenten begleitet. Die Stücke der Komponisten Christoph M. Kaiser und Julian Maas bedienen sich fast unmerklich musikalischer Entdeckungen des ganzen 20. Jahrhunderts. Wenn die Bauhäusler feiern, dann tanzen sie zu einer Musik, die altmodisch und gleichzeitig modern für einen zeitgenössischen Zuschauer wirkt.

Für Dörte Helm wird der Kapp-Putsch 1920, der auch in Weimar Tote forderte, zur politischen Initiation: Die Kleidung ihrer Herkunft, aus der autoritär-konservativen Familie eines Ordinarius für Altphilologie, hat sie schon nach dem Auftritt von Else Lasker-Schüler auf einer Bühne des Bauhauses gegen Hosen getauscht; nun wird sie Bildreporterin von der Front der Klassenkämpfe mit der Kamera und druckt Flugblätter für die Gewerkschaft – was den zu politischem Schweigen verpflichteten Studenten verboten ist und zu einer weiteren von vielen Auseinandersetzungen zwischen ihr und Gropius führt. Ein weiteres Mal wird hier das zum symbolischen Motiv erhobene „Streitende Paar“ ins Zentrum gerückt, das den Kampf zwischen einer jugendlichen, modernen Unbedingtheit und erfahrenem Pragmatismus austrägt,

„Wir hatten insgesamt 3.500 Komparsen aus einem eher begrenzten Kostümstock von etwa 500 Kostümen einzukleiden, die immer wieder neu zusammengestellt werden mussten. Also ein eher bescheidener Fundus, bei so vielen Komparsen“, so die Kostümbildnerin Esther Walz, die sich, was die Kostüm-Sammlungen zur Epoche der Weimarer Republik betrifft, mitunter in Konkurrenz mit dem Babylon-Berlin-Team befand. „Es war ein sehr großer Cast mit 80 Rollen, die dann auch noch unterschiedliche Entwicklungen durchmachten, die über das Kostüm miterzählt werden mussten. So wird die Entwicklung der jungen Dörte ganz klar über ihre Kleidung erzählt: von der schönen Frauenkleidung der Jahrhundertwende mit bodenlangen Röcken und Korsett zum quasi Herrenanzug mit Krawatte.“

Das Tragen originalgetreuer Unterwäsche und Korsagen bewirke eine andere Bewegung der Schauspielerinnen in den Kostümen, zu denken an jenen fanatisch betriebenen Echtheits-Naturalismus, der Hollywood-Regisseur Erich von Stroheim nachgesagt wurde. Anna Maria Mühe kann sich nicht erinnern, jemals so viele Kostüme für einen Film getragen zu haben. Doch immer sind es ihre Augen, mitunter erzürnt oder abwehrend, mehr aber noch Inspiration und Begeisterung ausstrahlend – etwa angesichts von Else Lasker-Schülers Auftritt als „Prinz von Theben“ -, Augen, in denen sich die ganze Szene spiegelt.