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Dein Kind und wir Film

Filmstart

Dein Kind und wir

| Pamela Jahn |
Kluges, modernes Märchen über Mutterschaft und Liebe

Rachel (Virginie Efira) ist glücklich. Das glaubt sie zumindest, und man sieht es ihr an. Die sympathische Lehrerin geht mit einem Lächeln durchs Leben. Warum auch nicht? Sie ist eine moderne Frau, ungebunden und frei. Auch auf der Arbeit läuft es gut. Ihre Schüler mögen sie, und sie liebt ihren Beruf. Als sie den Autodesigner Ali (Roschdy Zem) kennenlernt, wird aus dem Flirt schnell etwas Ernstes. Aber ihr neuer Lover ist nicht allein. Seine vierjährige Tochter Leila lebt bei ihm, seit seine Frau ihn verlassen hat. Rachel stört das nicht. Im Gegenteil. Das quirlige Mädchen wächst ihr schnell ans Herz.

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Dann wirft Rachel ein scheinbar harmloser Besuch beim Arzt aus der Bahn: Wenn sie Kinder wolle, sagt ihr Gynäkologe, dann jetzt. Die Ansage löst bei der Anfang Vierzigjährigen eine Sinnkrise aus: Je mehr Zeit sie mit Leila verbringt, desto mehr wird ihr bewusst, dass die Kleine niemals ihre Tochter sein wird – und gar nicht sein kann. Bald wiegt der Gedanke so schwer, dass Rachel ihr ganzes Dasein in Frage stellt. Sie hört ihre innere Uhr immer lauter ticken. Und als dann auch noch ihre jüngere Schwester (Yamée Couture) unverhofft schwanger wird, erstarrt ihr Blick.

Die französische Regisseurin Rebecca Zlotowski widmet sich in ihrem fünften Spielfilm einem komplexen Problem, das ihr persönlich lange an die Nieren ging. Auch sie hat Kinder großgezogen, die nicht ihre sind, ohne jemals selbst Mutter zu werden. „Es steckt viel von mir in dieser Geschichte“, sagt sie, „aber manchmal macht man Filme, die Artefakte sind, und manchmal filmt man Situationen, die einem tief unter die Haut gehen.“ Rachel sei ein Teil von ihr, aber was sie erlebt, ist reine Fiktion.

Umso erstaunlicher ist, wie es Zlotowski gelingt, mit Rachel eine Figur zu schaffen, die auf eine feine, subtile Weise irritiert, weil sie vertraut und trotzdem universell genug wirkt. Ehe man sich versieht, ist man als Zuschauer nicht nur ins Geschehen involviert, sondern mit den eigenen moralischen Werten konfrontiert. George Lechaptois’ Kamera bleibt oft auf Distanz, aber die Inszenierung ist weich, als würden die Bilder einer sanften Melodie folgen, die dem Kino aus einer anderen Zeit entstammt. Immer wieder zieht Zlotowski die Perspektive zu einem kreisrunden Punkt auf der Leinwand zusammen, der sich auf Rachels Gesicht konzentriert. Und plötzlich liegt Virginie Efira die ganze Trauer und Angst einer Frau in den Augen, die sich fragt, ob sie sich mit ihrer emanzipierten Haltung vielleicht insgeheim selbst betrügt und was am Ende von ihr bleiben wird. Antworten liefert der Film nicht. Es ist ein Blick, den man so schnell nicht vergisst.