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Hartmut Bitomsky

Hartmut Bitomsky

Der Blick für die Dinge

| Jörg Becker |
Zum 80. Geburtstag am 10. Mai: Über den Autor und Filmemacher Hartmut Bitomsky, das Werk eines Filmkritikers in Worten und Bildern.

Die Position von Hartmut Bitomsky innerhalb der Filmgeschichte ist singulär und innerhalb des deutschen Films schwer bestimmbar. Bitomsky hat Lehr-, Dokumentar-, Essay- und Spielfilme gedreht, er gehörte knapp zehn Jahre bis zur Einstellung ihres Erscheinens 1984 zur Redaktionskooperative der Zeitschrift „Filmkritik“, war ab 1993 Dekan am California Institute of the Arts, anschließend von 2006 bis 2009 Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) – wo er bereits 1966 im ersten Jahrgang u. a. mit Wolfgang Petersen, Helke Sander, Harun Farocki und Holger Meins studiert hatte.

Einmal war „Das Kapital“ (1867) von Karl Marx die Vorlage, von Hartmut Bitomsky/Harun Farocki als Lehr-Spielfilm inszeniert in Eine Sache, die sich versteht (1971). Die Waren, das Geld, Händler, Konsumenten und Produzenten beginnen zu sprechen: Es geht um die Warenförmigkeit menschlicher Beziehungen, indem die im Kapital hergeleiteten marxistische Grundbegriffe wie Gebrauchs- und Tauschwert, Sklaverei, Leibeigenschaft und Lohnarbeit durchdekliniert werden. Bitomskys Kinofilm Auf Biegen oder Brechen (1975) und einzelne Fernseharbeiten bilden in der Folge eher Randerscheinungen seiner Filmografie, die aber nicht weniger aussagekräftig sind. „Ein Western mit Autos von Hartmut Bitomsky“ steht groß auf dem Verleihplakat zu seinem einzigem Kinospielfilm, dessen Drehbuch er gemeinsam mit seinem Studienfreund Harun Farocki verfasst hatte.

Filmdenken
Stattdessen stellte Bitomsky ab den siebziger Jahren vor allem filmkritische und filmvermittelnde Sendungen für den WDR her; über John Ford, Humphrey Jennings oder (mit dem WDR-Filmredakteur Werner Dütsch) die beiden Mehrteiler zum frühen Kino, Das goldene Zeitalter der Kinematographie (1976) und Kulturrevue (1979), zum einen Pionierarbeiten der Filmvermittlung zu Zeiten, als die Frühgeschichte des Kinos (ca. 1895-1914) noch nahezu unsichtbar war, versteckt in Archiven, zum anderen der Versuch, Walter Benjamins Passagenwerk in Film zu übertragen und das 19. Jahrhundert ausschließlich anhand überlieferter Zeugnisse zu erzählen (der erste Teil trägt den Titel: Die Straße nach Kairo [zu denken an den Sound von „Road to Cairo“ von David Ackles, 1968, bzw. Julie Driscoll, 1969], Die Gebrüder Lumière, die Weltausstellung und der Kinematograph). Zahlreiche aus der Filmarbeit entstandene Texte, die er vor allem zwischen 1974 und 1984 in der Zeitschrift „Filmkritik“ veröffentlichte, kommen hinzu.

Filmen und das Denken über Film ist bei Bitomsky eins. Gegenüber der Einordnung in die Gattung Essayfilm erklärte Bitomsky 1997: „Ich mache Dokumentarfilme, und der Dokumentarfilm ist für mich noch immer ein brauchbarer Begriff, der sehr viele verschiedene Möglichkeiten deckt.“ Seine vielfältigen filmischen Untersuchungen zum Dokumentarischen (u. a. Das Kino und der Tod, 1988, Das Kino und der Wind und die Photographie, 1991), die auch auf eigenen Lehrveranstaltungen basieren, belegen diese Selbstbestimmung, ebenso seine späteren großen Dokumentarfilme B-52 (1999/2001) sowie Staub (2007), die immer auch ihre Theorie reflektieren (nachzuvollziehen in der Veröffentlichung seines Arbeitsjournals „Geliehene Landschaften“, 2012).

Der letzte Vorsitzende
Frederik Langs Monografie, Untertitel: „Die Arbeit eines Kritikers mit Worten und Bildern“, konzentriert sich in der Bestimmung von Bitomskys Film- und Textarbeit auf die Kritik als Schaffensprozess und die literarische Form des Fragments, die auf die Frühromantiker zurückgehen, und rekurriert zudem auf den Kritiker-Begriff von Walter Benjamin, Maurice Blanchot und Claude Lévi-Strauss. Bitomsky selbst erinnerte sich an eine Forderung, die Cesare Pavese in seinen Tagebüchern an das Schreiben stellte, die der Film aber viel besser erfüllen könne, „dass man die Analyse nicht aussprechen solle, sondern sie entstehen zu lassen habe, auf eine rhythmische Weise, aus einem verwickelten, zusammenhängenden Ergreifen der Wirklichkeit. Verwickelt und zusammenhängend! Die Analyse muss ins Leben einbegriffen sein.“ (1997) Da zeigt sich etwas vom genuinen Geist der „Filmkritik“ in ihrer Spätphase, der Bitomsky, als Kooperative-Mitglied und als Autor eine tragende Säule und in den Achtzigern ihr letzter Vorsitzender, angehörte: „Es gilt das Autorenprinzip, es gilt die Politik, nicht über etwas zu schreiben, weil es da ist, eher den lebendigen Vorgang des Interessierens und Erkennens an einem Gegenstand abzubilden. Die Ausdrücke müssen aus der tatsächlichen Begegnung von Autor und Sujet kommen, nicht aus einer simulierten. Dies sind Vorstellungen aus dem Begriff literarischer Wahrheit und Wahrhaftigkeit.“ („Die Existenz der Filmkritik“. In: „Filmkritik“ 301, Januar 1982)

Bitomsky hatte spätestens 1983 mit dem Filmessay Deutschlandbilder seine Berufung als „medienarchäologischer Bildkritiker“ gefunden. Voraussetzung: Man schreibt Kritik nicht über etwas, vielmehr aus dem Gegenstand heraus. Filmverständnis ist vor allem eine Sache der genauen Beobachtung und der Befragung eines Films nach dessen eigenen Kriterien. So kann der Kritiker kreativ, kann schreibender Künstler werden, der auf die eigenen Sinne als seine Theoretiker vertrauend ein gegebenes Werk erweitert, vollendet, fortschreibt.

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Die Stimme des Autors
Im Lauf der siebziger Jahre beginnt Bitomsky, sich in seinen Filmen zunächst hörbar, dann auch sichtbar zu machen als Autor, der verantwortliche Urheber des Films, dessen Wahrnehmung und Interesse die Darstellung leitet, er spricht seine Kommentare selbst, teils direkt zur Kamera. Als Filmdenker wie als Regisseur des Films Das Kino und der Wind und die Photographie, den er als abgefilmte Durchlaufprobe eines Films über den dokumentarischen Film inszeniert (in dem die dabei assistierenden Filmemacher Christian Petzold, Ronny Tanner und Carlos Bustamante ebenfalls hör- und sichtbar werden), erschafft er das Dokument des Entstehungsprozesses eines Films, komponiert aus vielen Filmausschnitten auf zahlreichen Monitoren sowie Literaturzitaten aus Büchern, und zugleich einer Lehrveranstaltung, die sich selbst reflektiert.

Bitomskys Buch „Die Röte des Rots von Technicolor: Kinorealität und Produktionswirklichkeit“ brachte 1972 die Materialität des Kinos und seine Entstehungsbedingungen zusammen. „Gelesen habe ich das Buch, wie ich Langspielplatten hörte“, schrieb Christian Petzold in seinem Vorwort zur Bitomsky-Textsammlung „Kinowahrheit“ (2003), „stückweise“. Anfang der 1990er sein Regie-Assistent, ist Petzold direkter Vertreter der Bitomsky-Schule, repräsentiert die Verbindung von Bildkritik, Arbeit am Mythos und Erzählkino. „In der Erinnerung sind die Texte Bitomskys wie Straßen, wie Kreuzungen. Travellings. Reisetagebücher. (…) Nach dem Ende der ‚Filmkritik‘ 1984 sind die Texte in seinen Filmen. Auch die Filme wurden Straßen und Kreuzungen. Ein Highway. Eine Autobahn.“

In der WDR-Produktion Das Kino und der Tod entwickelt Bitomsky eine Typologie des Sterbens anhand von Filmstills. Über das Nacherzählen von Szenen aus Don Siegels The Killers (1964; mit Ronald Reagan) oder Hitchcocks Torn Curtain (1966) eröffnet sich eine Theorie des Todes, die auch das Wesen des Kinos berührt. „Es ist das Töten, das das Kino beschäftigt, und weniger der Tod. Das Kino beschäftigt sich mit Tätigkeiten, nicht mit Zuständen.“

Reise in Amerika
Aufzeichnungen während der Arbeit an dem Film Highway 40 West (1981; Filmfestspiele Venedig) haben zu einem Text geführt, den Bitomsky als „eine Art Itinerarium“ bezeichnet hat, welcher also nicht, wie ein Tagebuch, der Chronologie, sondern der Geografie des durchquerten Raums folgt, durch den nordamerikanischen Kontinent entlang der Trasse des Highways von Atlantic City bis San Francisco – westward ho! („Filmkritik“ 310, Oktober 1982). Ein erfahrener Text: „Atlantic City, N.J. / Unter dem Million Dollar Pier umarmen die niederbrechenden Wogen dicke, rostverkrustete Pfeiler mit einer zweideutigen Gebärde. Die Pfeiler stehen ungerührt. In Reihe und über Kreuz sind sie zu einem künstlichen Hain zusammengestellt. An den äußeren Rändern frißt sich das blanke Morgenlicht in den Schatten. (…) / Die Pfeiler stemmen eine Plattform von massiven Holzbohlen und Eisenplanken empor. Wie auf Stelzen geht die Gesellschaft durch die Naturkräfte. Sie hat keinen Grund unter den Füßen. / Es ist der dritte Morgen, den wir am Boardwalk stehen und darauf warten, daß die Sonne stilvoll dem Meer entsteigt. Der Film soll mit dem ersten Licht des Tages anfangen, Blick auf den Atlantischen Ozean. Die Idee ist, den Film in Tage einzuteilen. / Während wir in kurzen, irregulären Etappen das Land durchmessen, wird die Sonne zwölfmal über den Kontinent und über den Film hinweg auf ihre imaginäre Tour gehen. / Die Wanderung der Sonne soll die Arbeit gliedern.“

„Jeder Tag verlangt von mir einen Blick für die Dinge, ich verlange von jedem Tag ein Bild für die Blicke. Es wird schwierig, neue Bilder zu finden. Die Korrelation der Ideen wird eng. / Wiederholungen sind Niederlagen. Man verliert den Mut. Andererseits sind es gerade Ticks und Fixierungen, die einem Leben eingeben. (…) Vor uns liegt ein Film ohne Bilder. Die Wörter sind seine Piloten. Beim Schreiben ist die Verfügbarkeit der Welt, beim Filmen ist ihr Widerstand zu erfahren. Das liegt in der Natur der Fotografie und in der Willkür der Sprache begründet. Darum wird der Film eine Affirmation Amerikas sein, meine Notizen aber Kritik. Er schnappt einfach über.“

Deutschlandbilder
„Es hat in Deutschland nach dem Krieg keinen Bildersturz gegeben, der die Bilder in einem Akt der ersten Empörung zerstört hatte. Die Filme wurden konfisziert, und das ist etwas anderes. Man pflegt die Bilder heute als Dokumente anzuschauen. Ein Bild ist die Maske des anderen“, so steht es in Hartmut Bitomskys Kommentar zu Deutschlandbilder (1983), einer Montage von Ausschnitten aus nationalsozialistischen „Kulturfilmen“, von Filmen, die ihrer Indienstnahme nicht entgingen – „als Dokumente werden sie mit einer doppelten Aufgabe betraut. Sie sollen belegen, wie der Faschismus wirklich gewesen ist, sie sollen sagen, was der Faschismus damals gesagt hat, die alte Botschaft noch einmal. Diesmal aber als Schreckensbotschaft. Und gleichzeitig haben sie gegen sich selbst auszusagen, wie man es mit Agenten macht, die übergelaufen und umgedreht worden sind.“ Jede wie gut auch immer gemeinte Kritik an den Bildern vermag hinter der Maske stets nur eine andere zu finden. Kinomythen aber sind anders auszutreiben, aus dem Inneren. Dann eröffnet sich ein Geschichtspanorama, das den deutschen Faschismus freigibt.

Deutschlandbilder – die Kompilation seiner Filmarchiv-Materialien, ihre Kommentierung, zusätzlich die Texte, die im Zusammenhang dieser Arbeit („Der Kotflügel eines Mercedes-Benz. Nazikulturfilme“. In: „Filmkritik“ 322 und 324, Okt./Dez. 1983) entstanden sind, vermitteln ungleich mehr über jene üblen deutschen Traditionen als hunderte Regalmeter an historiografischer Literatur zur NS-Zeit.

Bitomsky in einem seiner kompakten, nummerierten Textbausteine, immer von neuem, unter verändertem Aspekt ansetzenden Gedankenbeiträgen zum Thema Nazikulturfilm (die Originalquelle ist kursiv gehalten): „7. / Die Filme spiegeln das wirkliche Leben, wenn auch in gedrängter Form. Und: Die Menschen müssen sich frei und ungezwungen vor der Kamera geben. So lauteten die Imperative des Filmemachens. / Das Wort von der gedrängten Form hatte Goebbels einmal in einer Rede gebraucht. Die Filmjournalisten griffen es in zahllosen Abwandlungen auf. Es war die Losung, an der sie einander in der Finsternis ihrer Gedanken und Wahrnehmungen wiedererkannten.“

Durch die Recherche zu Deutschlandbilder fand der Filmemacher eine Fülle von Aufnahmen, die für das Großprojekt nationalsozialistischer Verkehrsplanung warben: Reichsautobahn (1985/86). Einstweilen eine mythische Größe, wie auch die NS-Parole von der „mobilen Gesellschaft“, welche vorerst eine Vision blieb und auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme noch wenig effektiv. Die Reichsautobahn schien von Anfang an zu einem künstlichen Gegenstand erhoben worden zu sein – „von Malern gemalt, von Photographen photographiert, von Dichtern besungen, von Romanciers beschrieben. (…) Die Filme, Gemälde, Photos, Bücher und Gedichte hielten als ihre Fassade her. Ein potemkinsches Projekt.“

Abschied vom industriellen Zeitalter
VW Komplex (1988/89): Der Konzern, die Fabrikhallen, die Menschen und Maschinen, kritisch kontrastiert in der Firmen-Philosophie der „Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft, zugleich ein Dokumentarfilm über die Geschichte der Produktionsstätte und der Volkswagen-Stadt Wolfsburg. Starke Wirkung ergibt sich aus der Konfrontation der Zeiten, dem Sprung zwischen Aufnahmen vollautomatischer Produktionsprozesse und Bildern aus der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte der Kraft-durch-Freude-bzw. Volkswagen-bzw. Käfer-Produktion. „Das VW-Werk ist ein Museum der Industrie-Technologie und zugleich schon deren Utopie. Die alten Werkshallen wirken beinah wie Kathedralen. Die neuen Hallen sind dagegen viel niedriger. Beim Gang durch das Werk verfolgt man die Entstehung eines Automobils und nimmt zugleich Abschied vom industriellen Zeitalter.“

Eine kurze Aufnahme von einem Redeauftritt Hitlers auf der Automobilausstellung 1935 („Gleich wird er versprechen, den Wagen für die breite Masse zu schaffen, den Volkswagen“ – Off-Kommentar Bitomsky) – doch ehe der etwas sagt, kommt der Schnitt in die Gegenwart, ins Design-Center von VW, und vom Zeichentisch, wo Striche von Hand aufs Papier übertragen werden, schneidet der Film auf einen Kameraschwenk, der einer dort Angestellten im Kostüm, die das große Studio betritt, in einer eleganten Bewegung geradezu spielfilmmäßig folgt, so dass die verschiedenen Tätigkeitsbereiche innerhalb der Halle in dieser Raumexposition erfasst werden.

Air Power – ein Objekt als Schnittpunkt vieler Bestimmungen
Geschichte, menschliche Arbeitskraft und Zeit, ist in den Objekten angesammelt, die im Zentrum von Bitomskys dokumentarischen Betrachtungen stehen, wie der VW/Volkswagen oder die B-52-Bomber, die er als Sujets ausgewählt hat und ausgiebig aufnimmt, so dass man als Betrachter noch einmal vor das Zeichenhafte des Gegenstandes, vor die Einschmelzung zum Symbol zurückgeführt wird. Das „B-52 Arbeitsjournal“ beginnt mit der Beschreibung der Zerstörung seines Gegenstandes auf dem Schrottplatz; erstaunlich und befremdlich, so der Autor, sei ihm beim Zusehen die Verschrottung vorgekommen: „Die B-52 als Gegenstand wird erst vollkommen sichtbar im Augenblick der Zerstörung.“ (13. März 1997). Auch VW Komplex beginnt auf dem Schrottplatz.

Das Bestreben des Autors geht „weg vom Personenkult des derzeitigen Dokumentarfilms. Ich sehe das als eine schlechte Rückvermenschlichung von Verhältnissen, die eigentlich doch verdinglicht sind. / Ich schätze die Anonymität, die der frühere Dokumentarfilm den Menschen gewährt, die in ihm auftauchen und mit ihm verschwinden. Manchmal sind sie bloß Gesichter ohne viel biographische Details, aber äußerst ausdrucksvoll.“ (Eintrag ins „B-52 Arbeitsjournal“ vom 28. Februar 2000) „Ein Gegenstand, wenn er von Menschen gemacht ist, ist ein vielseitiges, geprägtes, geformtes Objekt, ein Schnittpunkt vieler Bestimmungen, eine Konkretisierung mit einer Funktion, eine Produktionsform und ein Produktionsverhältnis, eine Form, ein Ziel, eine Zweckhaftigkeit und Funktionalität, die mehr über die Zusammenhänge, in denen es erdacht, gemacht und verwendet wird, Auskunft gibt als jedes herzzerreißende Interview vom Schwerbeschädigten.“ Dagegen spiegele sich der Filmemacher am Gegenstand allenfalls als Nebensache, subtextuell. In einem Interview, das Alexander Kluge 2011 mit Bitomsky geführt hat, erklärte der Filmemacher „seine Philosophie“: 35mm-Film sei adäquat für Dinge, für Gesichter indessen reiche 16mm-Material oder Video völlig aus.

Recycling
Im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) inszenierte Bitomsky 2010 die großangelegte und raumfüllende Film-Sound-Installation Shakkei – Geborgte Landschaft. Dafür wird bisher ungesehenes Film- und Soundmaterial u. a. aus seinen Filmen Staub (2007) und B-52 (2001) recycelt und aufwendig zusammenmontiert. Inspiriert wurde er dazu vom japanischen Shakkei, dass für das „Ausborgen“ einer Landschaft steht. Japanische Gärten werden oft so angelegt, dass eine vorgefundene „natürliche“ Landschaft mit gestalteten Elementen verbunden wird. In der Betrachtung verschmelzen der natürliche und der gestaltete Teil miteinander. Der Vorgang des Recycelns und damit das Zurückführen in einen Verwertungszusammenhang – in eine neue Ökonomie der Bilder –, ist Ausgangspunkt für die n.b.k.-Filmlandschaft, für die Bitomsky sein eigenes Material neu vorfindet, gestaltet und zu einem Ganzen montiert.

„Was Recycling sein müsste: den Dingen eine neue Form geben, den Dingen eine neue Funktion zuweisen, den Dingen einen höheren Wert beimessen, den Dingen eine neue Zugehörigkeit und Stelle beschaffen. All das zusammen. / Aber dann wäre es nicht mehr Recycling, das einen Kreislauf beschreibt und deshalb in die Kategorie pessimistischer Begriffe gehört.“ („Destruction / Desolation / Decycling“; 13. März 1997)

Der Film B-52 folgt einer Dekonstruktionsmethode, zerlegt das High-Tech-Objekt Flugzeug immer wieder mit dem Augenmerk auf besondere Details seines Corpus. In Totalen erprobt er die klassischen Start-Landungs-Aufnahmeschwenks, welche die Kamera angesichts eines solchen Objekts ausführt, oder er zerlegt die Strecke des Schwenks in drei feste Kader voneinander abgesetzter Blickwinkel, welche die Maschine beim Start durchquert. Solche Filmweisen der Wiederholung sind weder im Dokument- noch im Fiktion-Kontext konventionell, der Blick verweilt in ruhiger Schnittfolge auf dem Vorgang, dass man an Kinder denken könnte, deren Augenmerk in selbstvergessener Aufmerksamkeit von dem Geschehen vor sich gebannt wird.