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Der denkwürdige Fall des Mr Poe

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Der denkwürdige Fall des Mr Poe

| Jörg Schiffauer |
Mordermittlungen im historischen Ambiente

An einem kalten Wintertag des Jahres 1830 wird die Militärakademie West Point von einer ebenso grausamen wie bizarr anmutenden Mordtat erschüttert: Einer der Kadetten der Kaderschmiede der US-Army wird erhängt aufgefunden, zudem wurde dem Toten das Herz fachgerecht herausgeschnitten. Um die beunruhigende Situation möglichst rasch unter Kontrolle zu bekommen, wenden sich die kommandierenden Offiziere an den ehemaligen Polizeibeamten Augustus Landor (Christian Bale), der nach einigen privaten Schicksalsschlägen den Dienst quittiert und sich auf ein einsames Anwesen in der Nähe von West Point zurückgezogen hat. Landau, der einen Ruf als Ermittler mit überragenden Fähigkeiten genießt, nimmt nach kurzem Zögern den Auftrag an und versucht, das Verbrechen, hinter dem man zunächst satanische Rituale vermutet, aufzuklären. Doch innerhalb einer Institution wie West Point, wo nahezu der gesamte Alltag durch ein strenges Regelwerk bestimmt ist, erweist es sich selbst für einen erfahrenen Detektiv wie Landau als höchst schwierig, Mauern mentaler Natur zu durchdringen und eventuelle dunkle Geheimnisse, die ein Motiv für die Untat darstellen könnten, zu ergründen. Doch dann bekommt Landor Hilfe von unerwarteter Seite, als er die Bekanntschaft eines Kadetten namens Edgar Allen Poe – der später berühmte Schriftsteller besuchte als junger Mann tatsächlich West Point – macht. Poe erweist sich als belesener Schöngeist, der den starren Ritualen einer Militärakademie kritisch gegenübersteht und dadurch zum Außenseiter unter seinen Kommilitonen geworden ist. Doch an der analytischen Methodik, mit der Landau seine Ermittlungen betreibt, findet der kluge Kopf Poe schnell Gefallen und erklärt sich bereit, ihm Einblicke in den Mikrokosmos von West Point zu verschaffen.

Regisseur und Drehbuchautor Scott Cooper hat The Pale Blue Eye als Mischung aus klassisch anmutenden Krimi und düsteren Mystery-Thriller in Szene gesetzt. Seine Inszenierung verbindet effektiv das historische Setting mit bekannten und bewährten Elementen des höchst populären Krimigenres. Ein Typus wie der Protagonist Augustus Landor, der als Ermittler bei aller Eigenwilligkeit höchst kompetent agiert, jedoch auf einer persönlichen, emotionalen Ebene so manches Päckchen zu tragen hat, zählt bekanntermaßen zum Repertoire dieses Genres. Hoch anzurechnen ist dem Regisseur, dass er die Charaktere mit einem der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angemessenen Habitus agieren lässt und nicht auf eine etwas zwangsoriginelle Steampunk-Attitüde setzt, wie sie Guy Ritchie in seinen Sherlock-Holmes-Variationen inmitten des viktorianischen England forciert. Sein Sensorium für milieugerechte Inszenierungen hat Cooper mit Black Mass, dem Crime-Biopic über Aufstieg und Fall von James „Whitey“ Bulger, der über viele Jahrzehnte das organisierte Verbrechen in South Boston beherrschte, ja nachdrücklich unter Beweis gestellt.

Atmosphärisch nähert sich The Pale Blue Eye streckenweise an Edgar Allen Poe an, der mit seinen morbiden Gedichten und Kurzgeschichten stilbildende Literatur zu verfassen verstanden hat. Der Plot hat jedoch letztendlich nicht genug Substanz, um alle Spannungsböden durchgehend zu tragen. Das vermögen weder ein gewohnt intensiv agierender Christian Bale noch ein feines Ensemble – dazu zählen markante Kurzauftritte von Gillian Anderson und vor allem jener des großartigen, mittlerweile 92-jährigen Robert Duvall – völlig zu kompensieren.