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Der Distelfink / The Goldfinch

Filmkritik

Der Distelfink

| Jörg Schiffauer |
Adaption eines Erfolgsromans um große Kunst und große Tragödien

Es hätte ein schöner Nachmittag werden sollen, als sich die Mutter des 13-jährigen Theo Decker (Oakes Fegley) entschließt, mit ihrem Sohn einen Abstecher ins New Yorker Metropolitan Museum of Art zu machen. Doch während man sich dem Betrachten der Meisterwerke hingibt, ereignet sich völlig unvorhergesehen eine Katastrophe, die das Leben Theos völlig verändern wird – ein verheerender Bombenanschlag kostet seine Mutter das Leben. Ein sterbender älterer Herr drängt den Buben, eines der Gemälde zu retten – Theo nimmt das Bild „Der Distelfink“ des niederländischen Malers Carel Fabritius, eines Rembrandt-Schülers, an sich und bringt es in dem Chaos unbemerkt aus dem Museum. Fortan wird er es bei sich behalten, das Bild wird so etwas wie die einzige Konstante in seinem Leben sein.

Soweit das Ausgangsszenario von John Crowleys Adaption des gleichnamigen  Erfolgsromans von Donna Tartt, der Kritikerlob und den Pulitzer-Preis einheimsen konnte. Die Verwerfungen, die der Verlust seiner Mutter mit sich bringt, prägen Theos Heranwachsen. Zunächst wird er von den Eltern eines Schulfreunds (Nicole Kidman, Boyd Gaines) aufgenommen, doch die es durchaus gut meinende Familie Barbour tendiert zu einer Art von Snobismus, der in einer grotesk anmutenden Erstarrung mündet. Als schließlich Theos Vater (Luke Wilson), der mit seiner neuen Partnerin in der Wüste Nevadas lebt, den Sohn zu sich nimmt, ahnt man trotz der nonchalanten Art des professionellen Spielers schon, dass das nicht gut gehen wird. Es verschlägt Theo wieder nach New York zum Geschäftspartner jenes Mannes, dessen Tod er im Museum miterleben musste. Der wird eine Art Ersatzvater für den Buben, in dessen Antiquitätengeschäft findet Theo das perfekte Feld, um seiner Leidenschaft für Kunst nachzugehen.

Selbst eine kurze Synopsis, die den Verzweigungen des Plots nur bedingt Rechnung trägt, lässt den hybridartigen Charakter von John Crowleys Inszenierung erahnen. In einer verschachtelten Struktur aus Vor- und Rückblenden (Ansel Elgort verkörpert Theo als jungen Mann) greift sie eine Reihe höchst unterschiedlicher Themen und Motive auf. The Goldfinch mäandert zwischen einer typischen Coming-of-Age-Erzählung, einem Drama um den Umgang mit einem schweren Verlust und der Reflexion, welche Bedeutung Kunst für das Leben haben kann. Das alles wird in einem hochseriösen Duktus in Szene gesetzt, doch man rätselt zusehends darüber, welche Geschichte – dass der Plot gegen Ende in Richtung Kunst-krimi abbiegt, macht die Sache nicht einfacher – die filmische Adaption eigentlich erzählen möchte.