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Österreich - Heimartbeit. Ein Dossier

Der Enthusiasmus eines Kindes

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Am 23. März feiert Michael Haneke seinen 80. Geburtstag. Vor fünf Jahren, zum 75er, haben wir vier seiner begabtesten Studentinnen und Studenten zu Wort kommen lassen. Diese Texte sind so schön, witzig und klug, dass wir sie hier noch einmal bringen.

 


HAPPY HALLOWEEN!

Text – Peter Brunner

Seit ich mich erinnern kann, hatte ich immer die abergläubische Vorstellung, bestimmte Geburtstage nicht mehr zu erleben, und dann erlebt man sie doch, und es ist eigentlich nichts dabei – die Angst schleicht sich irgendwo anders hin. Wahrscheinlich ist die fruchtbarste Sache, die man machen kann, um sich von unterschiedlichen Ängsten abzulenken oder sich ihnen zu stellen, die konstante und obsessive Arbeit an etwas, das man liebt. Ich denke, das ist eine der beachtlichsten und konstruktivsten Haltungen, die MH seinen Studentinnen und Studenten vorlebt und die einen inspirieren kann.

Wer von den „beschäftigten“ Menschen schreibt denn schon in so kurzer Zeit und oft zu so später Stunde so verlässlich auf Nachrichten zurück? Ich kann mich noch an die Disziplinarkonferenz erinnern, die Folge der eigenwilligen Arbeitsweise unseres Jahrgangs an einer Reihe Kurzfilme (Regieübung) war. Das einzige, was mich damals nicht an die etlichen Gymnasien erinnerte, die ich besucht hatte, war MH, der neben den anderen Lehrenden eher wie einer von uns wirkte, sehr auf der Seite seiner Studierenden war und womöglich den bürokratischen Akt genauso schnell hinter sich bringen wollte wie wir. Ja, wir hatten die Zeit überzogen, ja, wir hatten ein paar tote Katzen am Set, okay, im Eifer des Gefechts wurde die eine oder andere Beleidigung ausgesprochen, aber so ist das eben, wenn unterschiedliche Menschen zusammen Filme machen.

Dieses Verständnis dafür, einen eigenen Weg finden zu können und ihn dann auch gehen zu dürfen, war eine wesentliche Freiheit, die mir MH vermittelt hat, auch wenn diese Freiheit immer mit seiner ehrlichen Kritik verbunden war. Aber wie auch immer diese ausgefallen ist, ich muss dann trotzdem schmunzeln, wenn ich an MH denke, wie er daumenrollend einen fremden Film ansieht, seine Lippen mit den Sätzen der Schauspieler mitbewegt und sich manchmal mit dem Enthusiasmus eines Kindes, das gerade seinen Schatten entdeckt, über die Ideen anderer freuen kann.

Ich erinnere mich auch an einen anderen Moment im Studium: ein Termin bei MH, bei dem es um die Vorbereitungen zu einem Kurzfilm ging, dessen Besetzung zum Großteil aus Kindern bestehen sollte. Ich war zu der Zeit in einer „Punkphase“, trug von Kopf bis Fuß schwarz, mit lackierten Fingernägeln. MH fragte mich, ob ich das Casting nicht lieber jemand anderes machen lassen wolle und warnte mich mit einem Augenzwinkern in der Stimme, dass das Kindercasting mit meinem Gruftie-Outfit womöglich nach hinten losgehen könne und ich vorsichtig sein solle, damit die Eltern meine Absichten richtig verstünden. Ich finde das im Nachhinein besonders lustig, wenn man bedenkt, dass er ja selbst immer schwarz trägt.

Danke für die Neugier, das Interesse, die Zeit und die Liebe zum Drama!

 


WHIPLASH ODER NICHT WHIPLASH

Text – Christoph Rainer

Mein ehemaliger Professor an der Wiener Filmakademie konnte sich nie an meinen Namen erinnern. Für ihn war ich lediglich, entsprechend meiner Physiologie, der „lange Lulatsch“. Der mit dem „Adlerauge für’s Unwesentliche“. Damit gab ich mich aber auch gerne zufrieden, denn an meine einzige Regie-Kollegin in seiner Klasse konnte er sich gar nicht erinnern. Es hat mich schon extrem gefreut, dass er von mir und meiner Sehstärke bzw. -schwäche wusste.

Der Rückblick auf meine Zeit bei Michael Haneke löst ambivalente Gefühle aus. Sein Klassenunterricht war zwar extrem lehrreich – ihm bei der Schauspielführung zuzuschauen, war jedes Mal faszinierend – die Einzeltermine mit ihm hingegen alles andere als ein Honigschlecken. Mit präziser Verachtung und einer guten Prise an (schwarzem) Humor hat er meine Drehbücher und Filme jedes Mal aufs Neue vernichtet. Das mit Abstand positivste Feedback, das ich je von ihm bekommen hab, war zu einem meiner Dokumentarfilme: „Naja, der Film ist ja ganz okay, aber ich verstehe nicht, warum man einen Film über jemanden macht, der dumm wie Scheiße ist!?“ Seine Kritik blieb dabei immer konsequent und ehrlich: „Machen Sie doch bitte etwas anderes!“

Immer wenn ich meine nostalgischen Haneke-Anekdoten zum Besten gebe – und ich verpasse keine Chance, das zu tun – meinen gutgesinnte Zuhörer stets, dass er bestimmt mit Weitsicht und Methode so gewaltet hat: er wollte mich nur herausfordern um meine wahren Stärken zum Vorschein zu bringen. Manche nehmen den Film Whiplash als Referenz: ein Professor, der das Talent aus seinen Jüngern regelrecht herausprügelt. In seltenen, schwachen Stunden möchte ich das gerne annehmen. Ich male mir verblümte Szenarien aus, wie der „Meister“ in mir etwas Besonderes gesehen hat und mir eine ganz persönliche Spezial-Behandlung zuteil werden hat lassen, um so meinen ungeschliffenen Genius zum Scheinen zu bringen.

Doch meist entsinne ich mich schnell wieder der Realität: Michael Haneke hatte keinen größeren Plan mit mir. Außer vielleicht den, mich von der Filmakademie zu schmeißen. Er war in seinem Umgang mit mir immer sich selbst gegenüber integer, ehrlich und wahrhaftig. Und das war, schlicht und ergreifend, dass er bei mir „nicht einmal den Funken einer Hoffnung auf ein bisschen Talent“ sah. Aber das ist ja auch okay. Denn gerade das ist ein wichtiger Bestandteil der Kunst. Dass es objektiv kein Gut und Schlecht gibt. Kein Richtig und Falsch. Nur ein subjektives Gespür. Und für das ehrliche und konsequente Verfolgen seines rigiden Gespürs habe ich ihn stets bewundert. Die Kunst darf das und soll das auch dürfen. Ob eine Ausbildung so etwas darf, ist eine andere Frage.

Einige Jahr später sind wir zufällig beim Toronto Film Festival ineinander gelaufen. Ich hatte gerade den TIFF Emerging Filmmaker-Preis erhalten und habe ihm erfreut davon erzählt, um ihm somit auch indirekt für die Zeit damals zu danken. Er hat gelächelt und mir gratuliert. Es war ein schöner Moment. Irgendwie emotional. Auch wenn mir klar war, dass er keine Ahnung mehr hatte, wer ich bin.

Lieber Herr Professor, alles Gute zum Geburtstag!

Ihr langer Lulatsch

 


BEGEGNUNGEN MIT HERRN H.

Text – Maria Luz Olivares Capelle

 „Wir wollen Sie fragen ob Sie (…) rund 3.000 Zeichen schreiben würden über Ihre Begegnungen mit Michael Haneke (…) Hr. Haneke ist nicht informiert, weil es eine Überraschung werden soll (…)“

Es gab während meines Studiums an der Filmakademie keinen Termin mit Professor Haneke, der nicht ohne eine gewisse Nervosität von meiner Seite verlaufen wäre. Man könnte es auch Feigheit nennen. Ich erlaube es mir, wenn ich denke, dass ich, wenn ich einen Termin mit Jorge Luis Borges, Björk, Pina Bausch, Lucrecia Martel oder mit Abbas Kiarostami hätte, wohl genau so nervös sein würde. Und dabei geht es nicht darum, jemanden zu idolisieren, das bringt niemanden weiter; aber ich finde es aufregend und faszinierend, die Möglichkeit zu haben, jemandem aus der Nähe beim Arbeiten und Denken zuschauen zu können, der seine Arbeit so konzentriert, seriös und genau macht.

Ich bin auch nervös, wenn ich ihn in treffe, weil er Filme wie Caché oder Code inconnu gemacht hat. Einerseits bewundere ich den künstlerischen Aspekt dieses Filmes sehr, aber überdies habe ich beim Schauen das Gefühl, dass ich mich und wahrscheinlich viele Menschen sich darin erkennen können. Aber wie hat er das gemacht?

Dieser Film, sowie viele andere von ihm, zeigen mir, dass mein Gesprächspartner jemand ist, der ganz genau hinschaut und ganz viel wahrnimmt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich bei diesen „Professor-Studenten“-Terminen einscannt. Noch bevor ich den Mund aufgemacht habe, hat er schon viel mehr von mir gecheckt, als ich erzählen würde oder zugeben möchte. Das ist für mich der „Regisseurs-Blick“ per se. Aber diese Haltung von ihm könnte auch als eine Art betrachtet werden, offen für andere zu sein. (Und das wird sowieso stark gebraucht, wenn ich in meinem fehlerhaften, stolzen Latina- Akzent rede und er in seinem Wiener Akzent antwortet.)

Seine Offenheit hat es mir ermöglicht, mit ihm ganz unterschiedliche meiner Arbeiten zu diskutieren. Seien es ein Fantasyfilm, ein Experimentalfilm oder andere, hybride filmische Formen; Filme, die sich von seiner Art Filme zu machen entfernen. Trotzdem ist er in der Lage, auch diese mit ganz konkreten Werkzeugen zu diskutieren. Dabei hat er mir mehrmals Dinge gesagt, die mich sehr geprägt haben, weil er dabei den Kern meiner Arbeit getroffen hat.

Ich vergesse auch nicht, dass Haneke auch „nur“ als Regisseur tätig sein könnte. Dass er darüber hinaus noch unterrichtet,  ist eine Luxus-Möglichkeit für uns Anfänger.

Dazu gehört auch ein anderer notwendiger Aspekt: um zu lernen, muss man viel über Fehler reden. Haneke hat genug Erfahrung und handwerkliches Können, um Fehler zu entdecken. Da wird an starken Wörtern nicht gespart, und die Fehler werden ohne pädagogische Anästhesie oder rhetorische Dekoration markiert. Dazu hat er die seltene Fähigkeit, mit Präzision erklären zu können, warum etwas nicht funktioniert. Das ist Gold wert. Dann bietet er auch Möglichkeiten an, wie man diese Fehler filmisch lösen könnte.

In den Treffen mit Michael Haneke ging es immer um die Sache, um die Arbeit und um Film. Es ist eine Freude, solche Begegnungen haben zu können.

 


SZENEN EINES STUDIUMS

Text – Patrick Vollrath

1. Bild. Gang – Filmakademie Wien. 3. Stock.
Innen/Tag.

Ein JUNGER FILMSTUDENT (23) sitzt auf einer Holzbank im Treppenhaus einer Kunstakademie. Nervös rutscht er hin und her. In der Hand hält er ein Blatt Papier. Man kann auf dem Zettel die Worte „Filmidee“ und „Verfolgung“ lesen.
Plötzlich geht die Tür eines Professorenzimmers auf. Ein weiterer Student kommt etwas zerknirscht heraus. Die beiden Studenten tauschen einen Blick aus.
Nun steht der junge Filmstudent von der Bank auf und geht aufs Professorenzimmer zu. Er steht noch im Türrahmen, da hört man schon die Stimme von Professor HANEKE.

HANEKE: Herr …

Professor Haneke schaut auf eine Namensliste.

HANEKE: … Vollrath. Ich habe Ihre Idee gelesen.
Gefällt mir sehr gut.

Der junge Filmstudent wirkt erleichert und überrascht. Dann betritt er das Professorenzimmer. Die Tür schließt sich, während die Kamera einen Moment auf dieser verweilt.

2. Bild. Büro Haneke – Filmakademie Wien. 3. Stock.
Innen/Tag.

Wir sehen bildfüllend einen Fernseher. Dieser zeigt einen Filmausschnitt, in dem eine blinde Frau von ein paar Jugendlichen verfolgt und geärgert wird.
Vor dem Fernseher sitzt ein grimmig dreinschauender Professor Haneke, neben ihm der junge Filmstudent. Die letzten Momente des Films vergehen, dann zeigt der Fernseher schwarz. Hoffnungsvoll blickt der junge Filmstudent seinen Professor an.

HANEKE: Naja. Die Idee war gut, aber des war nix.
Da können Sie froh sein, wenn ich Ihnen noch
eine 3 gebe.

Zerknirscht packt der Filmstudent seine Sachen zusammen.

3. Bild. Großer Saal – Filmakademie Wien. Erdgeschoß.
Innen/Tag.
Der Saal ist mit vielen Studenten gefüllt. Sie sitzen in mehreren Stuhlreihen neben- und hintereinander.
Zwei Schauspieler proben gerade eine Szene aus Anton Tschechows „Die Möwe“. Professor Haneke unterbricht und korrigiert, gibt ein paar Regieanweisungen.
Der Filmstudent sitzt resignierend am Rand des Saals auf einem Stuhl. Vor ihm diverse Zettel. Dann blickt Professor Haneke ihn an.

HANEKE: Eigentlich sollten Sie das doch inszenieren.

4. Bild. Schneideraum – Filmakademie Wien. 2. Stock.
Innen/Tag.
Wir sehen wieder bildfüllend einen Fernseher. Es laufen die letzten Szenen eines Kurzfilms, Alles wird gut.
Vor dem Fernseher sitzt der nicht mehr ganz so junge Filmstudent (29). Unsicher blickt er zu Professor Haneke hinüber. Ein Moment der Stille.

HANEKE: Ein sehr gelungener Film! Damit werden Sie
sicher großen Erfolg haben!
Die Freude im Gesicht des Filmstudenten ist nicht zu übersehen.

5. Bild. Großer Saal – Filmakademie Wien. Erdgeschoß.
Innen/Tag.
Abbas Kiarostami sitzt vor einer Gruppe von Menschen. Er erzählt übers Filmemachen. Der Filmstudent sitzt in der zweiten Reihe. In der ersten Reihe sitzt Professor Haneke. Immer wieder hebt der Professor wie ein kleiner Schuljunge den Arm und richtet eine interessierte Frage an Abbas Kiarostami, die dieser sehr gerne beantwortet. Der Filmstudent beobachtet diese
besondere Situation.

6. Bild. Treppenhaus – Filmakademie Wien. 2. Stock.
Innen/Tag.
Der nun ehemalige Filmstudent geht nach langer Zeit mal wieder durchs Treppenhaus der Filmakademie. Plötzlich kommt ihm Professor Haneke entgegen. Als er ihn sieht, freut er sich. Er geht auf ihn zu. Der ehemalige Filmstudent will ihm die Hand zur Begrüßung reichen, doch Professor Haneke umarmt ihn stürmisch.
HANEKE: Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu so
einem tollen Erfolg.

Der ehemalige Filmstudent ist kurzzeitig überfordert mit der Situation. Doch dann grinst er stolz.

Lieber Herr Professor Haneke,
ich wünsche Ihnen zu Ihrem Geburtstag alles erdenklich Gute.
Ihr ehemaliger Student