For your consideration: Reese Witherspoon
Als wir Cheryl Strayed begegnen, sitzt sie schmutzig und zerschlagen an einem felsigen Berghang und zieht einen losen Nagel von ihrem blutigen Zeh. Da fällt ihr Wanderschuh in die Tiefe, sie steht auf, schreit sich die Seele aus dem Leib und wirft den zweiten Schuh hinterher. Längere Rückblenden und flüchtige Fetzen erzählen, wie Cheryl in der Wildnis landete. Es ist der Krebstod ihrer Mutter (Laura Dern), der sie in die Heroinsucht und Promiskuität treibt und im Ende ihrer Ehe kulminiert. Unerfahren schleppt sie also im Alter von 26 Jahren ihren schmächtigen Körper samt viel zu großem Rucksack drei Monate lang keuchend entlang des Pacific Crest Trail von der Mojave-Wüste Kaliforniens bis zu den schneebedeckten Kaskaden Oregons. Gelegentlich begegnet sie anderen Menschen, wehrt die obligate Klapperschlange und männliche Verfolger ab, stöhnt Kraftausdrücke und summt „El Cóndor Pasa“.
Es ist die gehaltvollste Rolle für Witherspoon seit ihrem Oscar 2005 für Walk the Line. Ohne ihr Courage und Talent absprechen zu wollen, sieht ihr eigens produzierter Film, der auf den Memoiren der Heldin basiert, stark nach einem Prestige-vehikel aus, das sie zur nächsten Oscar-Verleihung befördern soll. Es steht ihr buchstäblich auf die Stirn geschrieben: „For your consideration“. Doch nicht jeder Imagewechsel geht so glücklich vonstatten wie der von Matthew McConaughey. Dabei mangelt es der Geschichte weder an Aufrichtigkeit noch an Humor. Ein Mann hilft Cheryl dabei, ihren Rucksack von Ballast zu befreien. Er hält zwölf Kondome in der Hand und fragt: „Do you need all these?“ Regisseur Jean-Marc Vallée (Dallas Buyers Club) hat ein gutes Auge für natürliches Licht, doch gemeinsam mit Autor Nick Hornby und Cutter Martin Pensa verwendet er anachronistische Rückblenden, die den Fokus verlieren und den Film überfordern, sodass, wenn sich Cheryls Schmerz nach 1100 Meilen in Wohlgefallen auflöst, das einzige Gefühl, das sich bei uns einstellt, Erleichterung ist – darüber, dass die Odyssee zu Ende ist.
Into the Wild (2007) und Tracks (2013) kommen einem in den Sinn, aber Wild findet weder die reizvolle Ambivalenz des einen,
noch die demütige Ruhe des anderen. Weit entfernt vom Postkarten-Kitsch in Eat Pray Love ist es aber doch erfrischend zu sehen, dass – mit den Worten von Reese Witherspoon – „eine Frau ohne Mann, Geld, Job und Haus ein Happy End bekommt.“