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Filmstart

Der Junge und der Reiher

| Alexandra Seitz |
Miyazakis möglicherweise (vor)letztes Meisterwerk

Möglicherweise ist dies nun tatsächlich der letzte Film von Miyazaki Hayao, möglicherweise verabschiedet sich das Genie des Animationsfilms mit Kimitachi wa do ikiru ka wirklich und in Wahrheit und unwiderruflich in den Ruhestand. Möglicherweise. Und sollte es so sein, dann ist dies ein fulminantes letztes Werk und würdiger Abschluss eines langen, verdienstvollen Arbeitslebens, in dessen Verlauf vielfach Staunen und Glück den Weg in die Welt fanden. Und sollte es nicht so sein, umso besser.

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Im Feuersturm von Tokyo hat Mahito seine Mutter verloren; nach angemessener Zeit heiratet der Vater deren jüngere Schwester und zieht mit seinem zwölfjährigen Sohn zu ihr aufs Land ins herrschaftliche Familienanwesen. Schon bei der Ankunft wird ein Reiher auf den Buben neugierig, der wiederum empfindlich reagiert auf die Veränderung seiner Lebensumstände und im Übrigen den Verlust der Mutter lang noch nicht überwunden hat. Bald versucht er, den lästigen Vogel in seine Schranken zu weisen, der wiederum sich rasch als reichlich sturschädeliger Gestaltwandler erweist, dessen Absichten schwer einzuschätzen sind. Als dann auch noch Mahitos mittlerweile hochschwangere zweite Mutter in einer auf dem Gelände von sich hin verwitternden Turmruine mit geheimnisvoller Vorgeschichte verschwindet, beginnt ein Abenteuer, das als „überbordend“ nur äußerst unzureichend beschrieben ist.

Der japanische Originaltitel des Films – übersetzt: „How Do You Live?“ – bezieht sich auf das gleichnamige, 1937 erschienene Jugendbuch von Genzaburo- Yoshino, von dessen möglicher Adaption Miyazaki seit Langem sprach. In den vorliegenden Film findet es nunmehr Eingang als hinterlassenes Geschenk der Mutter an Mahito, in dessen Lektüre der Junge vertieft ist, als die Turbulenzen ihren Anfang nehmen. Ein Element von vielen, die den in Kürze 83-jährigen Anime-Großmeister umtreiben und von denen er uns unbedingt noch erzählen beziehungweise die er uns zeigen will.

Und also gehen uns die Augen über und kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus angesichts: runder weißer Warawaras, die menschliche Seelen repräsentieren und gen Himmel schweben; kleiner Papageien, die sich in mannshohe, niedliche Menschenfresser verwandeln; eines alten Bärtigen, dessen Fantasie dieses ganze unwahrscheinliche Reich (noch) zusammenhält und der einen Erben sucht; und ì und ì und. Und klar ist auch, dass dies alles ungeheuer persönlich ist und wir die Ehre der Zeugenschaft haben. Und das Glück. Lebe wohl, Meister, und von ganzem Herzen Dank!