Die letzten Geständnisse, das erste tote Familienmitglied: Der fabelhafte Höhepunkt von „Breaking Bad“ findet sich in der 14. Episode der letzten Season mit dem Titel Ozymandias. Spoiler Alert.
Falsch getippt. Die vielleicht intensivste Episode der mit Abstand ausgekochtesten Serie der Gegenwart beginnt kalt, jedoch nicht mit einer Vor-, sondern einer Rückblende. Es sieht nach für den Pilotfilm gedrehtem und entfallenem Material aus, wenn Walt in Unterhose und grünem Hemd aus dem Winnebago steigt und seiner schwangeren Gattin am Handy eine erste – noch tapsig einstudierte – Notlüge erzählt, der so viele weitere Lügen in immer größerer Not und in aller Selbstverständlichkeit folgen sollten. Sky ist der Name Holly für ihre Tochter eingefallen; „sure a frontrunner“, meint Walt. Am Ende des Openers werden Walt, Jesse und der Camper nacheinander aus dem Bild radiert, und nach dem Titellogo setzt in der gleichen Einstellung der Sound des Shootouts aus dem Ende der vorigen Episode ein, bevor die aktuell Beteiligten ins Bild gefügt werden. Hanks Buddy Gomez ist bereits tot.
Vorige Woche wurde an dieser Stelle nahe Liegendes vermutet, dass nämlich Hank und Gomez das so pittoreske wie symbolische Stück Wüste kaum noch lebend verlassen werden können. Das hat sich leider bewahrheitet. Aber der Abschied von Hank, der von Dean Norris grandios gespielten, wahrscheinlich am Erschöpfendsten an der Nase herumgeführten Fahnderfigur der Filmgeschichte, wird erleichtert, indem dieser heldenhafte letzte Worte sprechen darf. „You can go fuck yourself“, sagt Hank zu Jack, der ihm die Pistole an den Kopf hält, und zu dem um Hanks Leben bettelnden und dafür seine 80 Millionen Dollar preisgebenden Walt: „You‘re the smartest guy I ever met and you‘re too stupid to see he made up his mind ten minutes ago.“ Und wieder zu Jack: „Just do what you gonna …“ (do). Tja, und so verliert Walt, der darüber zusammenbricht, nicht nur seinen Schwager, sondern auch sein Geld – jedenfalls den größten Teil davon, denn eines der sieben Fässer immerhin lässt Jack ihm da, „because my nephew respects you and I‘m in a good mood“. Und auch Jesse, der sich unter Hanks Wagen versteckt hatte, überlebt vorerst durch besagten Neffen: Todd überzeugt seinen Onkel, man müsse Jesse erst darüber ausquetschen, was die DEA weiß, bevor man ihn umbringt.
Vorvorige Woche wurde an dieser Stelle orakelt, Walt würde womöglich noch gestehen, Jesses geliebter Jane damals beim Sterben zugesehen zu haben. Dass Walt spontan Jesse die Schuld an der Ermordung Hanks gibt – statt angemessener Weise sich selbst –, bietet den bitteren Anlass. Der Heisenberg in Walt lässt sich dazu hinreißen, das Geständnis in Form einer letzten, eitlen Machtdemonstration zu machen. Überhaupt: Wie fieberhaft in „Ozymandias“ noch einmal der Kampf zwischen Walter White und seinem zurückgekehrten Alter Ego tobt, verdient allein schon einen Emmy. Und die Sequenz, in der Walt sein Geldfass durch die Wüste rollt, nachdem ihm der Sprit ausgegangen ist, an der verlorenen Hose aus der Pilotfolge vorbei, begleitet von einem Folk-Liedchen („Had a job a year ago, had a little home, now I‘ve got no place to go, guess I‘ll have to roam“), und nun sogar schon von der Kamera im Stich gelassen scheint, bis ihm zum wiederholten Mal ein Navajo-Indianer aus der Patsche hilft: All das evoziert erneut die vielen absurden, großartigen Momente, die neben der perfekten Spannungsdramaturgie, der ästhetischen Genauigkeit und Mehrschichtigkeit zum Markenzeichen von „Breaking Bad“ geworden sind.
Ein so wirkmächtiges Kapitel einer derart kolossalen Erzählung entzieht sich unmittelbar nach der Seherfahrung im Grunde der befriedigenden Beschreibung. Was sich zwischen Marie, die zunächst Hank noch am Leben und Walt verhaftet wähnt, und der geschockten Skyler abspielt; was sich zwischen den beiden und dem endlich, als letzten der Familie, eingeweihten Walter Jr. abspielt; die Handgreiflichkeiten zwischen Walt und seiner Familie, bevor er Holly entführt und ins Dasein als streunender Hund flieht; schließlich das Telefonat zwischen Skyler und Walt, mit der bewussten Irreführung der schon mithörenden Polizei – eine letzte geniale Verschleierung, ein letzter verzweifelter Versuch, seine Liebsten zu beschützen: Die vielen Ebenen der Serie wirken durch deren (vor allem auch psychologisch) realitätsnahes Reagens noch einmal so fabelhaft zusammen, dass man zumindest eines klar konstatieren kann: Das große Ganze überschießt die Summe der einzelnen Ingredienzen bei Weitem. Und im Zentrum steht die Tragik eines krebskranken Vaters, der für seine Familie alles tun wollte und am Ende alles Übel über sie gebracht hat. Während die einprägsame Metaphorik des bösen Kochens für den guten Zweck nun kaum noch eine Rolle spielt (in einer unheimlichen Fußnote muss Jesse für Todd fortan in Ketten kochen), wirkt die narrative Formel prachtvoll wie nie: Sie produziert nunmehr Schwarz in bedrückend hohem Reinheitsgrad.
Der Titel wie auch der Aufbau der von Rian Johnson (Looper) pfiffigst inszenierten Episode (Writing Credit: Moira Walley-Beckett) bezieht sich auf jenes gleichnamige, berühmte Gedicht aus dem 19. Jahrhundert von Percy Bysshe Shelley, das Bryan Cranston schon in einem Teaser zur letzten Halbseason rezitiert hat. Inspiriert von einer Statue Ramses II, geht es darin um den Fall eines einst mächtigen Königs – und um die Tatsache, dass keine Macht der Welt den Tod verhindern oder überdauern kann. Zur Erinnerung: Eine der Fantheorien, nach der Walt am Ende alles einschließlich seiner Familie verloren haben wird, ist nach der „Ozymandias“-Episode benannt (siehe hier). Das Ende des Gedichts lautet:
„My name is Ozymandias, king of kings:
Look on my works, ye Mighty, and despair!“
Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.