25 Jahre Amour Fou | Interview

Der lange Atem

| Günter Pscheider |
André Fetzer ist Herstellungsleiter bei Amour Fou. Ein Gespräch über die Wichtigkeit von guten Geschichten, die Freude, endlich seinem Sohn einen Film zeigen zu können, bei dem er involviert war, und über das Genie von Fritz Lang.

Jede (Film-)Firma braucht hin und wieder jemanden, die oder der frischen Wind in die Organisation bringt, innovative Ideen beisteuert und verlässlich auch schwierige Aufgaben meistert. Als André Fetzer 2011 für ein Projekt mit Amour Fou zusammenarbeitete, war schnell klar, dass für beide Seiten die Chemie stimmt, und seitdem ist der ausgebildete Germanist und Absolvent der Filmschule Köln aus dem Team nicht mehr wegzudenken. Als Herstellungsleiter ist er die zentrale Schaltstelle bei jeder Produktion, dazu ist er auch in die Stoffauswahl involviert und betreut seit 2018 das neue Kinder- und Jugendfilmlabel „petit fou“.

Sie haben ursprünglich als Techniker am Set begonnen. Was hat Sie dazu veranlasst, eine Karriere im Produktionsbereich anzustreben?
André Fetzer:
Mich hat immer genervt, wenn ich als Techniker unorganisiert irgendwo herumstand, anstatt zu arbeiten. Da dachte ich mir: „Das kann ich besser, und das werde ich ändern.“ Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. In Wirklichkeit macht es mir wirklich Spaß, wenn die Rädchen eines Filmwerks ineinandergreifen. Das funktioniert dann, wenn man sich von Anfang an Gedanken zur Struktur und Organisation macht und dies permanent beobachtet und adaptiert. Selbstverständlich passiert das in Absprache mit allen Beteiligten – Technik, Schauspielerinnen und Schauspieler, Produktion und Förderinstitutionen.

Wie sind Sie zu Amour Fou gekommen?
André Fetzer:
2011 erhielt ich eine E-Mail aus Luxemburg. Sie waren auf der Suche nach einem Produktionsleiter für eine internationale Koproduktion. In einem anschließenden Gespräch erfuhr ich, dass es Hannah Arendt von Margarethe von Trotta sein würde. Perfect Match also. Das war genau das, was ich machen wollte. Eine internationale Koproduktion einer renommierten Regisseurin und ein historisches Drehbuch. Nach dem Ende der Dreharbeiten sollte eigentlich Schluss sein. Doch da fragten mich Alexander Dumreicher-Ivanceanu und Bady Minck, ob ich nicht das nächste Projekt von Elfi Mikesch machen wolle. Das wäre direkt im Anschluss. Okay, es dauerte dann doch mehr als anderthalb Jahre, bis der Film finanziert war. In der Zwischenzeit gesellten sich dann weitere Projekte in den unterschiedlichen Phasen zwischen früher Entwicklung bis zur Postproduktion hinzu. Und so wurden aus einer kurzen Produktionsleitung, die normalerweise ein paar Monate dauert, nun schon mehr als neun Jahre in Luxemburg bei der Amour Fou.

Ganz naiv gefragt: Was sind eigentlich genau die Aufgaben des Line Producers?
André Fetzer: Streng genommen bin ich Herstellungsleiter. Dieses Berufsbild unterscheidet sich von dem eines Line Producers. Der Line Producer wird bei internationalen Kinoproduktionen eingestellt, um das gesamte Projekt in der Umsetzung zu betreuen. Er hat also das Gesamtbudget in der Verantwortung und stimmt dieses mit den Produktionsleitern der einzelnen Koproduktionspartner ab. Der Herstellungsleiter in einer Produktionsfirma ist für mehrere Projekte innerhalb der Firma zuständig, die sich in unterschiedlichen Phasen befinden können. So kann er Anfang der Woche mit potenziellen Ko-Produzenten auf Motivtour sein, Mitte der Woche am Set einer aktuellen Produktion, um den Kostenstand zu besprechen und zum Wochenende hin in einer Postproduktionsbesprechung eines Animationsprojekts.

Nachdem Sie ja in der Projektgruppe sitzen, die Stoffe auswählt: Nach welchen Kriterien gehen Sie da vor, oder, anders gefragt: Was macht für Sie einen verfilmungswürdigen Stoff aus?
André Fetzer: Am Ende ist es immer ein Gesamtpaket. Ich versuche mich nicht von einem einzelnen Aspekt leiten zu lassen. Das wichtigste ist natürlich das Drehbuch. Ist dieses dramaturgisch gut geschrieben, stimmen die Figuren und die Welt, in der sie agieren, ist der Plot gut gearbeitet und die Geschichte interessant, dann hat es gute Chancen. Die Filmografie der Regisseurin oder des Regisseurs ist ein weiterer Baustein. Wenn es weitere kreative Schlüsselfiguren mit viel Erfahrung und Renommee gibt, ist das ein weiterer Pluspunkt. Bei einer Koproduktion ist die Reputation des Ko-Produzenten wichtig und die Finanzierungsmöglichkeiten im jeweiligen Land. Wenn ich ein Projekt als Produzent mache, muss mich das Projekt auch persönlich ansprechen. Entscheidet man sich für ein Projekt, wird man dieses viele Jahre begleiten. Dazu braucht es einen langen Atem.

Was sehen Sie derzeit – neben Corona –  als die größten Herausforderungen in Luxemburg, Deutschland, Österreich und Europa in Bezug auf das Produzieren von Filmen?
André Fetzer: Ich sehe die Streaming-Plattformen als große Chance, da diese nach Europa blicken und sehen, dass hier viele tolle Geschichten liegen. Die Welt ist hungrig nach originären Stoffen. Gleichzeitig sind natürlich die Plattformen für uns auch das Schaufenster zur Welt. Wir haben in Europa einen jahrtausendealten Pool an Geschichten. Diesen Schatz können und müssen wir heben. Unsere Identität liegt in einer gemeinsamen Geschichte, die wir in Filme einfließen lassen können und sollten. Daher finde ich es wichtig, Filme gemeinsam zu produzieren, da immer ein Teil des Anderen vorhanden ist.

Wie sehen Sie die Kinolandschaft der Zukunft? Sterben die Arthouse-Kinos aus? Wird auch Amour Fou verstärkt versuchen, mit Serien für Netflix und Co. zu reüssieren, oder ist das kein Ziel für die nähere Zukunft?
André Fetzer: Ich denke nicht, dass die Arthouse-Kinos aussterben werden. Ich sehe aber mit Skepsis, dass Streaming Plattformen einen Film wie Alfonso Cuaróns Roma herausbringen. Das ist der Treibstoff, der die Arthouse-Kinos antreibt. Diese Filme sollten bei ihrer traditionellen Verwertungskette bleiben. Ich sehe Streaming-Plattformen aber auch als Chance für die Amour Fou, um mit anderen Art von Filme, oder besser gesagt mit seriellen Projekten voranzuschreiten.

Was war der Anstoß und die Intention hinter der Gründung des neuen Labels petit fou?
André Fetzer: Der Anstoß für petit fou war fast ein bisschen banal. Wir hatten einen Film mit jugendlichen Darstellern, und ich musste mich mit den Regularien in Luxemburg auseinandersetzen. Dabei habe ich mich tiefer in die Materie eingearbeitet, den Blick über den Tellerrand gerichtet und mir viele Kinderfilme angeschaut und festgestellt, dass es hier wundervolle Filme gibt. Mein Sohn hat hier sicherlich auch noch dazu beigetragen, denn ich wollte mit ihm auch mal einen Film anschauen, den ich gemacht habe und nicht immer sagen, den kannst du mal anschauen, wenn du groß bist. Die Kinderfilmszene in Europa ist klein, aber fein und weniger aufgeregt. Hier geht es mehr um den Film und weniger um den Glamour der Akteure. Man muss einmal erlebt haben, wie es ist, bei einem Festival in hunderte strahlende Kinderaugen zu blicken.

Auf welchen der zahlreichen Filme, an denen Sie mittlerweile mitgearbeitet haben, sind Sie besonders stolz, und warum?
André Fetzer: Da muss ich natürlich zuallererst Hannah Arendt von Margarethe von Trotta nennen. Es war meine erste internationale Koproduktion, meine erste Arbeit für Amour Fou, und die Zusammenarbeit mit Margarethe war richtig toll. Mich hat zutiefst beeindruckt, mit welcher Souveränität, Professionalität und Gelassenheit Margarethe den Film umgesetzt hat. Ich spürte regelrecht, dass da eine Frau ist, die weiß, was sie tut, dass sie dies gerne tut und es vor allem gemeinsam machen möchte. Der zweite Film, den ich nennen möchte, ist Invisible Sue – Plötzlich unsichtbar, weil das unsere erste Kinderfilmproduktion war. Da bestätigte sich mein Eindruck, dass die Kinderfilmszene weniger aufgeregt, aber genauso professional ist. Wir machen die gleichen Filme, aber eben für ein jüngeres Publikum.

Welchen Film der Filmgeschichte hätten Sie gerne produziert bzw. mit welcher Regisseurin oder welchem Regisseur hätten Sie gerne zusammengearbeitet oder würden Sie gerne noch zusammenarbeiten?
André Fetzer: Produziert hätte ich gerne einen Film von Fritz Lang aus seiner Zeit in den 1920ern in Deutschland, da ich gerne gesehen hätte, wie bei all dem Aufwand noch die künstlerische Idee erhalten bleibt, oder, anders gesagt, so genial zum Ausdruck kommt. Und außerdem hätte ich gerne mit Alfred Hitchcock zusammengearbeitet, um zu sehen, wie ein Regisseur agiert, der beim Dreh schon einen fertigen Film im Kopf hat.