ray Filmmagazin » Filmkritiken » Der Palast des Postboten
Palast-des-Postboten

Filmstart

Der Palast des Postboten

| Oliver Stangl |
Ein Mann und sein Traum

Lange hat es gedauert: Rund fünf Jahre nach der Frankreich-Premiere schafft es Nils Taverniers Verfilmung einer histoire vraie nun auch hierzulande in die Kinos (angeblich hat auch Covid zu dieser Verzögerung beigetragen). Noch länger hat freilich der Bau des titelgebenden Fantasie-Palastes in Anspruch genommen – stolze 33 Jahre. Als Architekt und Baumeister fungierte Joseph Ferdinand Cheval (1836–1924), der als Postbote in Hauterives, Département Drôme, tätig war. Dort legte er an jedem Arbeitstag bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1896 eine 30 Kilometer lange Strecke zurück. Nachdem er über einen Stein gestolpert war, manifestierte sich in seinem Kopf die Vision eines besonderen Bauwerks: der „Palais idéal“. Aus Steinen und Fossilien, die Cheval auf seiner Route fand und über die Jahre akribisch sammelte, begann er im Alleingang mit der Errichtung des Palastes, den er auch seiner kleinen Tochter zuliebe baute. Von ihrem frühen Tod schwer mitgenommen, sollte ihm das eklektische Bauwerk – das u. a. von Postkarten mit orientalischen Tempel-Motiven beeinflusst war und bis zur Fertigstellung eine Höhe von 12 Metern und eine Länge von 26 Metern erreichen sollte – dann als Grabmal dienen (wofür er keine Genehmigung erhielt; ein Grabmal im Palast-Stil baute er schließlich in kleinerem Maßstab). Der Palast brachte Cheval im Dorf, gemeinsam mit seiner distanzierten Wesensart, den Ruf eines Sonderlings ein, doch über die Jahre wurde der Bau immer berühmter; die Surrealisten huldigten ihm ebenso wie Hundertwasser. 1968 wurde der „Palais idéal“ als einziges naives Baukunstwerk weltweit zum historischen Monument erhoben.

Tavernier konzentriert sich auf Chevals autistisch erscheinendes Wesen, verbindet Charakterstudie mit Momenten der Freude (Halt durch die Ehefrau, die Liebe der ihm anfangs noch fremd erscheinenden Tochter), Tragödien (der Tod engster Familienmitglieder stürzte Cheval mehrmals in tiefe Trauer) und Landschaftsaufnahmen (Cheval meinte, die Natur habe ihn beim Bau geleitet). Dabei folgt der Film großteils konventionellen Mustern und leistet sich gelegentlich Sentimentalitäten; Jacques Gamblin liefert als Mann, der seine Gefühle nur auf indirektem Weg über sein Kunstwerk zeigen kann, eine gute Leistung ab, doch schränkt ihn die etwas zu direkte Inszenierung, die der Fantasie nur begrenzt Spielraum lässt, manchmal etwas ein. Dennoch sieht man interessiert zu, gerade, weil die Geschichte so unglaublich ist, und insgesamt überwiegt der sympathische Eindruck: Einem Mann und seinem Luftschloss aus Stein wurde zwar kein überragendes, aber ein doch respektables Denkmal gesetzt.