Freud und Leid
Robert Seethalers 2012 erschienener Bestseller „Der Trafikant“ erzählt mit bewusst einfacher und somit kunstvoller Sprache von komplexen Dingen: In der Coming-of-Age-Geschichte des jungen Oberösterreichers Franz, der im Jahr 1937 von seiner Mutter nach Wien geschickt wird, um eine Lehrstelle in der Trafik eines Kriegsversehrten anzutreten, sich unglücklich in eine arme Böhmin verliebt, zum Freund des Psychoanalytikers Sigmund Freud wird und schließlich die Machtübernahme der Nationalsozialisten miterleben muss, spiegeln sich Trieb und Traum, Ich und Es, Eros und Thanatos. Kritiker verglichen Seethalers hellsichtig-humorvollen Stil dabei mit Alfred Polgar oder Joseph Roth. Um eine Verfilmung bemühten sich viele Regisseure, doch den Zuschlag erhielt Nikolaus Leytner (Grimme-Preis für für den TV-Film Ein halbes Leben, 2009).
Der Film folgt dem Roman über weite Strecken, auch wenn es (möglicherweise budgetbedingt) Anpassungen in Sachen Lokalkolorit gab: So wurde beispielsweise nicht in der realen, heute wohl zu modernen Berggasse gedreht, in der sich Freuds Praxis befand, und den prominenten Handlungsort Prater hat man mit einem Kirtag vertauscht. Dadurch ist dem Film so etwas wie Verortung verloren gegangen; Wien wirkt teils kulissenartig zusammengestückelt, auch ist die Szenerie manchmal etwas zu malerisch ausgeleuchtet. Zudem beginnt alles ein wenig zu schnell, was den Figuren zunächst wenig Raum zum Atmen lässt und für eigenwillige Dynamiken sorgt.
Freud etwa, im Roman anfangs eher reserviert und deutlich von Selbstzweifeln geprägt, wird hier zu mühelos zum (väterlichen) Freund des jungen Franz. Doch nachdem die Grundlagen etabliert sind und die Bedrohung der Hauptfiguren durch die Nationalsozialisten zunimmt, ist man bereit, mit den Figuren mitzugehen. Ein klein wenig ausgebaut wurde die Figur von Trafikant Otto Trsjnek (Johannes Krisch), doch sie bleibt – ebenso wie die Geliebte Anezka (Emma Drogunova) und die hauptsächlich über Postkartenverkehr präsente Mutter (Regina Fritsch) – eine Nebenrolle. Der Schwerpunkt liegt auf der Freundschaft zwischen Franz und Freud. Simon Morzé fängt dabei besonders Franz’ anfängliche Naivität gut ein, und Weltstar Bruno Ganz versieht Freud mit einer humanen Aura. Eigene Akzente setzt der Film vor allem in Franz’ Träumen, die eine größere Rolle spielen als im Roman: Gelegenheit für surreale Sequenzen, die sich aber im Kontext der Geschehnisse entschlüsseln lassen. Besonders gelungen ist eine Szene, in der der nackte Freud in einem leck geschlagenen Boot liegt, die Zigarre in der Hand. Oder ist es doch mehr als eine Zigarre?