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Österreich - Heimartbeit. Ein Dossier

Der Winter und die Popmusik

| Oliver Stangl |
Ein kurzer Überblick zum Diagonale Programm zwischen experimentellem Trailer und eine Personale für einen (noch) eher Unbekannten des heimischen Filmschaffens.

Die Frage, was Kino eigentlich ist, veranlasst viele Filminstitutionen und Festivals zu Programmen oder Zyklen (hierzulande wohl am bekanntesten: „Die Utopie Film“ des Österreichischen Filmmuseums). Die Diagonale stellt sich dieser Frage heuer mit dem Trailer Jean Luc Nancy von Antoinette Zwirchmayr. Das bereits mehrfach preisgekrönte Schaffen der 1989 in Salzburg geborenen Zwirchmayr bewegt sich zwischen bildender Kunst und analogem Film, kümmert sich nicht groß um Konventionen und besetzt gern Leerstellen zwischen Genregrenzen. Jean Luc Nancy ist ein poetischer Bilderrausch, der Schwarz-weiß und Farbe ebenso miteinander kombiniert wie Körper und Sterne. Eine atmosphärische Einstimmung auf das Spiel- und Dokumentarfilmprogramm der Diagonale, bei der sich die Beschäftigung mit dem Unbekannten als so etwas wie ein roter Faden erkennen lässt. So brach Regisseur Michael Glawogger für einen filmischen Reiseessay im Jahr 2014 auf, um sich für einen Film ohne Handlung vom Ungewissen überraschen zu lassen. Die Reise endete leider viel zu früh mit Glawoggers überraschendem Tod (einen ausführlichen Text zu Untitled finden Sie auf Seite xxx).

Unmögliche Bilder

Viele Kinobesucher werden ad hoc wohl nichts mit dem Namen Andi Winter anfangen können, dabei ist der Mann äußerst umtriebig und hat bereits als Filmvorführer, Cutter, Color Grader, Kameramann, Schauspieler oder Regisseur gearbeitet. Ein großer Unbekannter des heimischen Films, so könnte man den 1976 in St. Pölten geborenen Winter, der mit Regisseur Ulrich Seidl ebenso gearbeitet hat wie mit den Kameramännern Martin Gschlacht oder Gerald Kerkletz, wohl nennen. Dem Vielseitigen ist in diesem Jahr ein „Zur Person“ gewidmet, ein Programm, das gleichsam als Blick hinter die Kulissen des österreichischen Filmschaffens taugt, wie es Werke der unterschiedlichsten Gattungen miteinander in Beziehung setzt. Das Gesicht Andi Winters wird dabei nicht nur in Filmen wie Rimini (Peter Jaitz, 2009) oder Musikvideos wie Killed by 9V Batteries – Fur (Robert Oberrainer, 2010) zu sehen sein, sondern auch bei begleitenden Gesprächen im Kinosaal.

Neuentdeckungen kann man auch unter den gezeigten Spielfilmen machen: Ein besonders gelungener Beitrag ist dabei Sandra Wollners Siebzigminüter Das unmögliche Bild. Der Film folgt einem Mädchen, das in den fünfziger Jahren eine Super8-Kamera geschenkt bekommt, damit ihren Alltag festhält und so in ihrem von Frauen geprägten Haushalt nach und nach auf ein düsteres Geheimnis stößt. Ein präzise erzählter Film über den Abschied von der Jugend, bewusst in einem engen Format gehalten und zu Recht mit dem deutschen Nachwuchsfilmpreis ausgezeichnet. Weitere fiktive Arbeiten auf der diesjährigen Diagonale sind unter anderem Adrian Goigingers Die beste aller Welten, der vom Drogenentzug einer jungen Mutter handelt oder Lukas Valentin Rinners Die Liebhaberin, in dem ein Dienstmädchen in einem Swingerclub in Buenos Aires geistige und sexuelle Befreiung erfährt. Und wer weiß, vielleicht ist der Beitrag Ugly (Tagline: „Pain. Sex. Suicide. Birth“) des unbequemen Filmemachers Juri Rechinsky ja für einen Aufreger gut. An Dokumentarfilmen zeigt das Festival neben dem schon erwähnten Untitled unter anderem Bernhard Braunsteins Atelier de Conversation, der davon erzählt, wie in einer Pariser Bibliothek Flüchtlinge auf Geschäftsleute und Studenten treffen und so soziale und kulturelle Grenzen überschreiten; Filip Antoni Malinowskis Guardians of the Earth thematisiert anhand der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 das Dilemma zwischen Solidarität und nationalen Eigeninteressen.

Beim offenen Forum „Diagonale Film Meeting“ mag man vielleicht ebenfalls Unbekannte treffen, doch wer weiß, vielleicht ergeben sich ja daraus Kollaborationen oder Freundschaften. Auf der Tagesordnung steht im diesen Jahr jedenfalls das Thema „Wen interessiert’s? Popularität und Potenzial des österreichischen Films im Inland“. Der im europäischen Vergleich überaus magere Marktanteil von 5,3 Prozent (Stand 2015) bietet jedenfalls genügend Anlass zur Diskussion. Vom Thema Popularität (oder deren Mangel) ist es nicht mehr weit bis zum Pop.

Mit dem Spezialprogramm „1000 Takte Film“ hat man sich vorgenommen, der Wechselwirkung der Genres Film und Pop in Österreich nachzugehen, will, ausgehend von der Besetzung der Wiener Arena im Sommer 1976 „Musikfilme“ zwischen Subversion und Fortschrittsglaube unter die Lupe nehmen. So bietet sich die Gelegenheit, selten gezeigte Spielfilme und Dokus zu sehen, darunter Rainer Boldts Drama Der Fehlschuss (1976) mit Wolfgang Ambros als hoffnungsvollem Jungkicker, Franz Novotnys Mid-eighties Gaunerfarce Coconuts, zu der Hauptdarsteller Rainhard Fendrich auch gleich den Soundtrack lieferte oder Rudi Dolezals Hansi Lang – Ich spiele Leben (1984) der einen glorreichen Auftritt Musikers porträtiert, aber auch die Schattenseiten des Erfolgs thematisiert. Dazu gibt es ein Kurzfilmprogramm mit Arbeiten zwischen Pop und Avantgarde und Dokus über die Wiener Techno- und Undergroundszene. Woran es dem Programm vielleicht ein wenig mangelt, ist ein Blick über Wien hinaus: Was sich außerhalb der Bundeshauptstadt an Underground, Subversion oder schlicht Pop getan hat, lässt sich bestenfalls erahnen, was ein wenig schade ist. Kein Mangel an Pop aus allen Richtungen wird aber wohl bei den stets gut besuchten Diagonale-Partys herrschen, die die Filmschaffenden sicherlich auch heuer wieder intensiv für Networking in entspannter Atmosphäre nutzen werden.