Drei Frauen, drei Länder, drei Schicksale
Man nennt sie eine „Unberührbare“, dabei könnte Smita (Mia Maelzer) kaum offener und herzlicher sein. Die Inderin mit dem langen dunklen Haar lebt mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter in Nyamatabad, im Norden des Landes. Sie gehören der niedrigsten Kaste an. Ihren Lebensunterhalt verdient Smita, indem sie putzen geht. Das wenige Geld, das bleibt, spart sie, um ihrem Kind eine Ausbildung zu ermöglichen, die ihr selbst verwehrt blieb.
Es ist nicht nur Smitas Geschichte, die Laetitia Colombani in Der Zopf erzählt. In Monopoli, in der sonnigen Region Apulien, kämpft Giulia (Fotinì Peluso) darum, ihre Familie und das dazugehörige Perückengeschäft ihres Vaters über Wasser zu halten. Die Anwältin Sarah (Kim Raver) schlägt sich derweil als alleinerziehende Mutter von drei Kindern in Montreal durch. Nach einer Krebsdiagnose muss sie ihr privates und berufliches Leben neu ordnen. Die 1976 in Bordeaux geborene Laetitia Colombani stellt in ihrer Literaturverfilmung die jeweiligen Erfahrungen und Lebensumstände ihrer Protagonistinnen gleichberechtigt nebeneinander. Das Drama basiert auf ihrem eigenen Debütroman, der sie 2017 als Schriftstellerin bekannt gemacht hat. Für die Kinoversion hat Colombani ein Drehbuch verfasst, das jeder der Figuren und ihren jeweiligen Schauspielerinnen viel Spielraum für Empathie und einfühlsame Momente gibt.
Der Zopf, das weibliche Haar, hat eine symbolische Kraft, die die drei Erzählungen verbindet. Doch jeder der Handlungsstränge hat seine eigene Stimmung, einen eigenen Ton: Vom erstickenden Pathos in Smitas Dorf über die vermeintlich romantische Aussicht auf das italienische Meer bis hin zur unterkühlten Ästhetik von Sarahs Großstadtleben – Colombanis Inszenierung vermittelt geschickt die inneren Schwierigkeiten mit der äußeren Umgebung. Kameramann Ronald Plante gelingt es trotz der episodenhaften Struktur, ein einheitliches visuelles Motiv zu schaffen, indem er sich immer wieder Zeit für lange Einstellungen nimmt. Auch die drei Schauspielerinnen, so unterschiedlich ihre Figuren sein mögen, scheinen untereinander auf geheimnisvolle Weise in Verbindung miteinander zu stehen. Trotzdem will sich der Film am Ende nicht ohne Weiteres zu einem gelungenen Ganzen zusammenfügen. Es fehlt dem Drama insgesamt an Spannung und erzählerischer Zugkraft, wie sie im Roman angelegt ist. Ludovico Einaudi fügt den Bildern schließlich eine allzu sentimentale Filmmusik zu, die die von Colombani bedienten Klischees umso deutlicher in Erscheinung treten lässt.